Editorial

Nobles Geschäft

(05.11.2020) Emmanuelle Charpentier ist Nobelpreis­trägerin und Firmen­gründerin. Für ihre CRISPR Therapeutics gab es kürzlich gute und schlechte Nachrichten.
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Eine kleine Überraschung war es dann doch – nicht dass Emmanuelle Charpentier und Jennifer Doudna den Nobelpreis für Chemie bekommen haben, sondern bereits jetzt, nur acht Jahre nach ihrem „epochalen“ Science-Paper zur CRISPR/Cas-Genschere ... und auch noch während andauernder Patent-Streitig­keiten. Dem Nobel­komitee war’s egal, denn das Genom-Editier-Werkzeug hat Weltver­besserungs-Potential: „These genetic scissors have taken the life sciences into a new epoch and, in many ways, are bringing the greatest benefit to humankind.“

Nebenbei ist die Genschere auch noch eine solide Grundlage für ein Unter­nehmen. Kein Wunder also, dass Doudna und Charpentier mittlerweile drei Firmen gegründet haben. Bereits im Oktober 2011 erblickte Doudnas Caribou Biosciences das Licht der Firmenwelt. Charpentier machte sich mit CRISPR Therapeutics Ende 2013 zur Unternehmerin und trug sich 2014 mit einem weiteren Unternehmen namens ERS Genomics ins Handels­register ein. Letzteres hat als einzige Aufgabe, Lizenzen zu vergeben. Eine der letzten ging nach Wien zu Aelian Biotechnology, die über CRISPR/Cas-Screenings und Einzelzell-Sequen­zierungen unter anderem neue Drug Targets entdecken wollen. Auch Bayer und Evotec beispiels­weise besitzen CRISPR-Lizenzen von ERS Genomics (siehe dazu auch „Lizenz zum Schneiden“, LJ Online 21.06.2018).

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Schweiz und USA

Was macht nun CRISPR Therapeutics? Die Firma mit Hauptsitz im schweize­rischen Zug und mit Außen­posten in Cambridge (USA) und San Francisco will das Genom-Editier-Werkzeug nutzen, um Hämo­globinopathien und Krebs zu therapieren. Partner sind unter anderem Bayer, Probiogen und Curevac. Charpentier gründete das Unter­nehmen im November 2013 zusammen mit dem Mikrobiologen Rodger Novak und dem Immuno­logen Shaun Foy. Derzeit ist Charpentier im Scientific Advisory Board.

Nach nur sieben Jahren hat es die Firma bereits geschafft, einige ihrer Entwick­lungen in die klinische Prüfung zu bringen. Zum Beispiel eine Therapie namens CTX001 zur Behandlung von Beta-Thalassämie und der Sichelzell-Krankheit. Bei beiden Erkran­kungen führen Mutationen entweder zu weniger oder verändertem Hämoglobin – Patienten benötigen lebens­lange Behandlungen.

Hinter CTX001 steckt die Idee, einen adäquaten Hämoglobin-Ersatz zu finden. Den gibt es sogar schon, nämlich fötales Hämoglobin, das jeder Mensch etwa bis zu seiner Geburt produziert. Durch CRISPR/Cas-Editing von CD34-positiven Blutstamm­zellen soll die Produktion dieses fötalen Hämoglobins „wieder­belebt“ werden. An sieben Patienten hat man diese „Reanimations-Therapie“ in einer Phase-1/2-Studie bisher schon ausprobiert. Soweit sieht alles nach Plan aus – abgesehen von einer Zwangs­pause im März aufgrund der Coronavirus-Pandemie. Genauere Ergebnisse möchte das Unter­nehmen bis Ende des Jahres verkünden.

CRISPR-Krebstherapie

Noch interessanter und wahrscheinlich auch lukrativer für CRISPR Therapeutics ist die Immun­onkologie-Pipeline, die sich an den verheißungs­vollen CAR-T-Zelltherapien orientiert. Bei diesen manipuliert man T-Zellen so, dass sie einen synthe­tischen Rezeptor (CAR für Chimärer Antigen-Rezeptor) produzieren, der wiederum spezifische Tumor­antigene erkennt und somit das Immunsystem freundlich aber bestimmt darauf aufmerksam macht, den ungebetenen Gast gefälligst zu eliminieren.

Normalerweise werden dafür Patienten-eigene T-Zellen verwendet, die aufwendig isoliert, manipuliert und zurück­infundiert werden müssen. Wochen kann der Prozess dauern und selbst dann ist nicht gesagt, dass die Anti-Krebs-Superzellen auch „funktionieren“. Denn aktuell werden die CAR-Konstrukte über Vektoren integriert, die eher nach dem Zufalls­prinzip arbeiten. Präziser und schneller geht’s mit der Genschere, sagt CRISPR Therapeutics.

Denn die Firma verwendet keine Patienten-Zellen, sondern solche von gesunden Spendern, die man einfach auf Vorrat produzieren kann und bei Bedarf aus dem Regal („off-the-shelf CAR-T-Cells“) nimmt und verabreicht. Drei Modifi­kationen sind dafür nötig: Das CAR-Konstrukt wird per CRISPR/Cas präzise in den T-Cell-Receptor-alpha-constant (TRAC)-Lokus eingebracht und der natürliche T-Zell-Rezeptor (TCR) sowie der MHC I-Komplex werden rauseditiert, damit es nicht zu Abstoßungs­reaktionen kommt. Wir erinnern uns, die Spender­zellen kommen ja von einem fremden Individuum.

Alle guten Dinge sind drei

Gleich drei Programme sind hier bereits in der klinischen Phase. CTX110 ist auf CD19-positive Zellen (charak­teristisch für B-Zell-Lymphome) ausgerichtet, CTX120 auf BCMA (typisch für Myelome) und CTX130 zielt auf CD70-positive Krebszellen ab, die unter anderem in einigen soliden Tumoren auftauchen.

Nachdem man bei CRISPR Therapeutics Anfang Oktober den Nobelpreis gebührend gefeiert hatte, gab es Mitte Oktober Studien­ergebnisse zu verkünden. Die neuerliche Freude, diesmal über die durchaus positiven Befunde der CTX110-Therapie, wurde jedoch vom Tod eines Studien­teilnehmers getrübt.

Elf Patienten mit Non-Hodkin-Lymphom bekamen in dieser Phase-1-Studie 30, 100, 300 oder 600 Millionen gecrisprte CAR-T-Zellen verabreicht. Letztere Dosis erwies sich als tödlich. Drei Wochen nach der Behandlung kam der Studien­teilnehmer mit fiebriger Neutropenie (Verminderung neutrophiler Granulo­zyten im Blut) ins Krankenhaus, wo er neue Symptome entwickelte: Verlust des Kurzzeit­gedächtnisses und Verwirrung. Sein Zustand verschlechterte sich so sehr, dass an Tag 52 die lebens­erhaltenden Maschinen abgeschaltet werden mussten. Einer der Studien­leiter sprach dennoch in einer Presse­mitteilung von einem „acceptable safety profile“.

Auch in Hamburg wird rekrutiert

Eine zwischen­zeitliche Tomographie-Aufnahme hatte jedoch gezeigt, dass der Patient vollständig (100 % complete response rate) auf die Therapie ange­sprochen hatte. Ebenso wie 2 der 4 Teilnehmer, die eine Dosis von 300 Millionen Zellen erhalten hatten. „We are highly encouraged by today’s data“, bilanzierte Samarth Kulkarni, CEO des Unter­nehmens, und erklärte, dass nun weitere Patienten rekrutiert werden sollen, auch am Universitäts­klinikum Hamburg als einzigem europäischen Standort.

Geldsorgen hat CRISPR Therapeutics aktuell eher nicht. Stand September verfügt die Firma laut Geschäfts­bericht über 1,4 Milliarden US-Dollar an Bargeld, Barwerten und Sicherheiten. Nicht weniger als 71 Millionen davon flossen allein im dritten Quartal 2020 in Forschung und Entwicklung – das ist derzeit auch noch nötig, um die Schere handlicher zu machen und weiter zu schärfen.

Kathleen Gransalke

Foto: Pixabay/Briam-Cute



Letzte Änderungen: 05.11.2020