Chemisch definierter Lungen-Dummie
(28.10.2020) Mit Lungenorganoiden lässt sich die Immunantwort auf eine SARS-CoV-2-Infektion analysieren. Exakt definierte Kulturmedien sind dabei essentiell.
SARS-CoV-2 infiziert in der Lunge insbesondere die Zellen des Alveolarepithels, das die Lungenbläschen auskleidet. Wer den Infektionsmechanismus und die Abwehrreaktionen in diesen Zellen versteht, kann Therapieansätze entwickeln. Forscher verwenden deshalb häufig aus Alveolarepithel-Zellen gezüchtete Lungenorganoide als Modell für die Infektion mit SARS-CoV-2. Bisher kommen sie dabei aber nicht ohne Feeder-Kulturen und Kälberserum aus. Die co-kultivierten Fibroblasten liefern die nötigen Wachstumsfaktoren, erschweren aufgrund biologischer Schwankungen aber auch die Analyse und Interpretation der gewonnenen Daten. Das Gleiche gilt für undefinierte Medium-Zutaten wie Serum und Hirnanhangsdrüsen-Extrakt.
Das Alveolarepithel besteht aus zwei Zelltypen: Den langgestreckten, für den Gasaustausch zuständigen AT1-Zellen sowie den kugelförmigen AT2-Zellen. Letztere fungieren als multifunktionale Stammzellen. Sie können sich selbst erneuern oder zu AT1-Zellen differenzieren. Sie sekretieren aber auch sogenannte Surfactant-Proteine, welche die Oberflächenspannung senken. Surfactant-Proteine halten die Alveolen in Form, dienen aber auch als Waffe gegen eindringende Viren und pathogene Mikroorganismen. Darüber hinaus sind AT2-Zellen reich bestückt mit dem Rezeptor ACE2, den nicht nur SARS-CoV-2 als Einfallstor nutzt, sondern auch verwandte Viren wie zum Beispiel SARS-CoV.
Suche nach aussichtsreichen Paaren
Um bei der Kultivierung von Lungenorganoiden aus AT2-Zellen möglichst standardisierte Bedingungen zu schaffen, stellte das Team des Zellbiologen Purushothama Rao Tata von der Duke University School of Medicine in Durham, USA, ein definiertes Medium zusammen. Dazu analysierten seine Mitarbeiter zunächst das Transkriptom von AT2-Zellen aus Mäusen, die sie in einem klassischen Medium kultivierten. In den Daten suchten sie nach Ligand-Rezeptor-Paaren, die in Fibroblasten beziehungsweise AT2-Zellen differenziell exprimiert wurden.
Mit den identifizierten Molekülen peppten sie schließlich ein Basismedium auf und testeten dieses bei der Fibroblasten-freien Kultur von AT2-Organoiden. Heraus kam ein zunächst für Mäuse entwickeltes Serum- und Feeder-freies Medium (SFFF), das die Gruppe schließlich auch an die Kultur humaner AT2-Organoide anpasste. Um zu verhindern, dass sich die AT2-Zellen differenzieren, fügten die Forscher einen Inhibitor der BMP-Signalleitung hinzu und erhielten hierdurch ein AT2 Maintenance Medium (AMM). Mit einem weiteren Inhibitor-freien Medium (ADM), das zehn Prozent Humanserum enthält, konnten sie die Differenzierung von AT2-Zellen zu AT1-Zellen gezielt induzieren.
Nur runde Zellen
Für die Organoid-Kultur isolierte das Team AT2-Zellen aus gesundem humanen Lungengewebe und kultivierte diese in SFFF-Medium. Auch nach der Subkultivierung über zehn Passagen enthielten die Organoide ausschließlich runde AT2-Zellen. Die auf einer Matrigel-Matrix in SFFF-Medium kultivierten AT2-Zellen infizierten die US-Amerikaner schließlich mit einer SARS-CoV-2-GFP-Fusion. Anhand der Fluoreszenz verfolgten sie danach das Infektionsgeschehen in den Lungenorganoiden.
Das Virus vermehrte sich in den infizierten Zellen rasant und trug nach zwei Tagen schon fast zu fünf Prozent des Transkriptoms bei. Im Vergleich zu nicht-behandelten Kontroll-Organoiden exprimierten die infizierten Zellen vermehrt Interferone, die als Liganden wiederum die Expression entsprechender Rezeptoren aktivierten. Dafür waren Gene, welche die DNA-Replikation und den Zellzyklus fördern, reprimiert.
Immunhistochemische Analysen brachten noch mehr zum Vorschein. Demnach befiel das Virus etwa 30 Prozent der Zellen und drosselte in diesen die Produktion der Surfactant-Proteine. Besonders stark infizierte Zellen produzierten die wenigsten Surfactant-Proteine, wodurch sie teilweise ihre Form verloren. Die normalerweise kugelförmigen AT2-Zellen streckten sich und ähnelten eher AT1-Zellen, obwohl sich an ihrer Identität nichts geändert hatte. Ein bedrohliches Bild ergab sich aus Immunfärbungen des Apoptose-Markers Caspase 3. Demnach induziert das Virus den Zelltod nicht nur in infizierten Zellen, sondern auch in umliegenden nicht-infizierten Zellen.
Wie in echten Lungen
Transkriptom-Analysen von Organoiden und menschlichen Lungenproben zeigten, dass die infizierten Lungenorganoide das Geschehen in Lungen von COVID-19-Patienten widerspiegelten: Chemokin- und Cytokin-Produktion sowie Interferon-Liganden und -Rezeptoren werden durch die Infektion hochgefahren. Eine erhöhte Caspase-3-Aktivität kündigt den Zelltod an.
Die Lungenorganoide sprechen wie echte Lungen auf die Behandlung mit Wirkstoffen an. So induzierten zum Beispiel Interferone den Tod der AT2-Zellen. Eine Vorbehandlung der Lungenorganoide mit einer niedrigen Interferon-Dosis vor der SARS-CoV-2-Infektion hemmte dagegen die Vermehrung des Virus.
Andrea Pitzschke
Katsura H. et al. (2020): Human lung stem cell-based alveolospheres provide insights into SARS-CoV-2 mediated interferon responses and pneumocyte dysfunction. Cell Stem Cell, DOI: 10.1016/j.stem.2020.10.005
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