Editorial

Plan B

(01.10.2020) Die Zellkultur-optimierten Mikroskopie-Kammern der bayrischen Life-Science-Firma ibidi sorgen für Durchblick – und inter­nationale Namens­verwirrung.
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Wir sprachen mit den beiden Physikern und Mitgründern Valentin Kahl (im Bild links) und Roman Zantl.

Herr Kahl, Herr Zantl, wenn Sie einem neuen Kunden erklären, was genau Sie verkaufen, was sagen Sie?
Valentin Kahl: Bis vor wenigen Jahren hätten wir gesagt: Mikroskopie-Kammern. Inzwischen ist es wirklich die Expertise, wie man Zellen auf einem Mikroskop unter lebens­ähnlichen Bedingungen kultivieren kann.
Roman Zantl: Das sind die Kniffe und Tricks, die wir am Markt eingeführt haben. Zum Beispiel „µ-Slide Chemotaxis“, in dem Sie Gradienten erzeugen können, die über mehrere Tage nahezu stabil sind. Oder die Perfusions­systeme, in denen Sie Endothel­zellen Shear Stress aussetzen können. Wir nähern uns immer mehr physio­logischen Bedingungen.

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Wer benötigt diese Expertise?
Kahl: Zu 80 Prozent sind das Universitäten sowie andere akademische Forschungs­einrichtungen und 20 Prozent die präklinische Forschung der Pharma­industrie. Unsere Kunden sind Menschen, die nicht mit vollauto­matisierten Systemen arbeiten. Um unsere Kammern zu verwenden, muss man eine Pipette in die Hand nehmen, und das sind selten Routine­labore, in denen große Screenings ablaufen.

ibidi wurde von Wissen­schaftlern gegründet. Was muss im Labor passieren, damit man sagt: Wir bauen eine Mikroskopie-Kammer und die ist sogar so gut, dass wir sie jetzt kommer­zialisieren?
Zantl: In München gab es einen Businessplan-Wettbewerb. Valentin Kahl lief in der Arbeits­gruppe herum und fragte, ob nicht jemand teilnehmen möchte. Die ursprüng­liche Idee war eigentlich, auf Mikroskopie-Kammern basierend eine Analyse­möglichkeit für lange DNA-Moleküle zu entwickeln. Beim Schreiben des Businessplans wurde diese Idee aber zu komplex. Wir haben uns gefragt: Was können wir sonst machen? Und haben dann entschieden, dass auch die Kammern an sich ein gutes Geschäfts­modell sind.

Das heißt, die Kammern – eigentlich das ibidi-Erfolgsprodukt – waren ein Plan B?
Kahl: Irgendwie schon. Wir haben mit Glaskammern angefangen. Damals gab es aber bereits Kunst­stoffe mit brillanten optischen Eigen­schaften, die eigentlich aus der Flach­bildschirm-Industrie kamen. Wir haben festgestellt, dass man damit hoch­auflösend und in einer sehr guten Qualität mikroskopieren kann. Glas ist gut, aber Produkte aus Kunststoff lassen sich einfacher herstellen, verkleben oder verschweißen – und sie können gasdurch­lässig sein. Zellen wachsen in solchen Kammern besonders gut. Damit war unsere erste Erfindung geboren: eine gasdurch­lässige Kunststoff­kammer mit einem Boden, der so dünn ist, dass man gut hindurch mikroskopieren kann.

Sie waren damals beide in der Arbeitsgruppe von Joachim Rädler an der Technischen Universität München. Stammt auch der Firmen­name noch aus dieser Zeit?
Zantl: Der Businessplan war schon weit fort­geschritten und wir hatten noch immer keinen Namen. Also haben wir uns zusammen­gesetzt und gesagt: Wir verlassen den Bespre­chungsraum erst wieder, wenn wir einen Namen haben. Dabei ist ibidi entstanden.
Kahl: Das steht eigentlich für Integrated Biodiagnostics. Viel wichtiger ist aber – und das ist so ein Physikerding –, dass der Name spiegel­symmetrisch ist. Egal von welcher Seite man ein durch­sichtiges Objekt anschaut, man kann immer ibidi lesen. Das hat uns von der Ästhetik gut gefallen.
Zantl: Der Name ist positiv, so haben wir ihn immer empfunden. Außerdem ist er, im Gegensatz zu unseren Produkt­namen, sehr elegant. [lacht]

Inwiefern?
Kahl: Ein Produkt heißt zum Beispiel µ-Slide VI. Die Zahl sechs ist römisch geschrieben, das µ griechisch. Auf der amerikanischen Tastatur gibt es kein µ, und auch römische Zahlen sind im englisch­sprachigen Raum wenig verbreitet. Amerikaner nennen den Objekt­träger deshalb u-Slide V one. Diese Namen sind also nicht wirklich inter­national, das ist eher etwas für den humanistischen Hochschul­absolventen aus Deutschland. [beide lachen]
Zantl: Viele Kunden sprechen einfach von ibidi-Slides, oder einfach: „I take an ibidi“. Das ist natürlich toll, dass die Marke ein bisschen für sich steht.

„Ein bisschen“ ist aber untertrieben. Sie sind jetzt seit fast 20 Jahren auf dem Markt und der Firma geht es gut.
Zantl: Es geht streng monoton nach oben.
Kahl: Ich muss korrigieren, es gab eine Delle im April. Aber wenn man die Kurve glättet, ist sie streng monoton, ja. Der Corona-Shutdown hat dazu geführt, dass alle Leute die Laboratorien fluchtartig verlassen haben. Wir hatten in April und Mai einen spürbaren Umsatz­einbruch, aber Ende September sollten wir wieder gleichauf sein mit Ende September 2019 und dann bis zum Jahresende noch etwas zulegen.

Wie hat ibidi sich denn in der Start-up-Phase finanziert?
Kahl: Am Anfang haben wir einen Businessangel überzeugen können, bei uns einzusteigen. Das sind keine institu­tionellen Investoren mit einem Exit-Horizont und Rendite-Erwartungen, sondern wohl­habende Menschen, denen es einfach Spaß macht, in Hochtechno­logiefirmen zu investieren. Außerdem haben uns BMBF-Verbund­projekte geholfen, weil wir dadurch viele Firmen und Forschungs­einrichtungen kennen­gelernt haben. 2006 gab es eine letzte Finanzie­rungsrunde und seit 2008 sind wir mehr oder weniger profitabel. Ausnahmen waren die Jahre, in denen wir unsere USA-Tochter gegründet haben sowie in ein größeres Gebäude von Martinsried nach Gräfelfing umgezogen sind. Aber – ja, es läuft gut.

Jetzt sind wir schon am Ende unseres Gesprächs. Habe ich etwas Wichtiges vergessen, möchten Sie noch etwas sagen?
Zantl: Ja, Sie haben vergessen zu fragen, was ibidi ausmacht, was uns erfolgreich macht. [beide lachen] Es sind die besten Mitarbeiter der Welt.

Die Fragen stellte Sigrid März

Steckbrief ibidi
Gründung: 2001
Sitz: Gräfelfing
Mitarbeiter: „66 Vollzeit-Äquivalente und 80 Köpfe“
Produkt: Funktionelle zellbasierte Assays, Produkte für Zellmikroskopie und Lebendzellanalytik

Foto: ibidi




Letzte Änderungen: 01.10.2020