Editorial

Titel-Schachereien

(11.09.2019) Aus unserer Reihe 'Anekdoten aus dem Forscherleben': Ob man Publikationen humorvolle oder sachliche Überschriften gibt – wie man's macht, ist's verkehrt. 
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Es war bereits Abend, als Professor Faller noch in seinem Büro saß und nach einem eingängigen Titel für das neueste Manuskript seiner Gruppe suchte. Und wie er fand, war ihm gerade in der Tat eine brillante Idee für eine wirklich witzige Überschrift gekommen...

Da gab es doch diesen Gitarre-klampfenden Jungen, dessen Songs vor allem Doktorandinnen gerade allzu gerne nachträllerten. Und hieß vor kurzem nicht einer seiner Hits "What Lovers Do In Bad Times"? Faller musste jedenfalls sehr breit grinsen, als ihm in Anlehnung daran plötzlich die Titelzeile "What Livers Do In Bad Times" in den Kopf schoss. Schließlich beschrieb sein Manuskript tatsächlich biochemische Stressreaktionen der Leber.

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Weniger Zitate wegen witziger Titel?

Nachdem sich Fallers Amüsement wieder gelegt hatte, begannen jedoch umgehend Zweifel an ihm zu nagen. Und zu allem Unglück fiel ihm auch noch ein Artikel über die Überschriften wissenschaftlicher Publikationen ein, den er vor einiger Zeit in einem Fachblatt gelesen hatte. Er erinnerte sich vage, dass insbesondere das Fazit hinsichtlich humorvoller Titel nicht gerade positiv war. Und tatsächlich – als er den Artikel online aufrief, las er gleich im Abstract: „Humorvolles Schreiben ist ganz offensichtlich nachteilig im Hinblick auf die spätere Zitierhäufigkeit. Insbesondere Artikel mit vermeintlich witzigen Titeln werden im Vergleich zum Durchschnitt signifikant weniger häufig zitiert.“

„Schade“, klagte Faller innerlich. „Dies wird zwar sicherlich dazu beitragen, dass wir Wissenschaftler uns weiterhin dümmlich als humorlose Nerds abkanzeln lassen müssen. Aber sollte ich es andererseits wirklich in Kauf nehmen, auf diese Weise Dutzende von potenziellen Zitierungen zu verlieren?“

„Bist du verrückt?“, krächzte das Eitelkeitszentrum in Fallers Gehirn sofort als Antwort. „Willst du wirklich riskieren, in puncto Zitierzahlen hinter Kolleginnen und Kollegen wie der dummen Snipe oder dem eitlen Pavo zurückzufallen?“

Nicht zitiert!

Am Ende veröffentlichten Faller et al. die Arbeit mit dem Titel „Biochemical Changes in the Liver as a Consequence of Metabolic Stress“. Langweilig, sicher. Aber die Geschichte ist noch nicht zu Ende...

Um einiges später las Faller eine Arbeit einer spanischen Nachwuchsgruppe, die den Ergebnissen, die er mit seinen Leuten in besagtem Artikel beschrieben hatte, ein nettes kleines Detail über ein bestimmtes Leberenzym hinzufügte. Als Faller jedoch die Referenzliste durchmusterte, schwollen meine Halsschlagadern sofort zur Dicke von Sonnenblumenstängeln an: Die Spanier hatten sein Paper nicht zitiert!

Folglich konfrontierte Fallerden Seniorautor mit seiner Wut, woraufhin sich dieser gleich mehrmals entschuldigte. Allerdings sei das Paper nur ein Seitenprodukt seiner eigentlichen Forschung gewesen. Und da er die Community der Leber-Biochemiker nicht wirklich kenne, habe er Fallers Paper wohl komplett übersehen. Zumal der vage Titel keineswegs habe vermuten lassen, dass der Inhalt für dessen eigene Enzym-Studie von irgendeiner Bedeutung hätte sein können.

Fallers Mund klappte weit auf angesichts dieses Bekenntnisses. Entsetzt stellte er sich vor, dass ihm womöglich Dutzende weiterer Zitate aus demselben Grund entgangen sein könnten. Und wieder ließ das Eitelkeitszentrum seines Gehirns einen quälenden Schrei los.

Vielleicht doch lieber Monstertitel?

Nichtsdestotrotz versuchte Faller, seine Lektion daraus zu lernen. Er schwor sich, in Zukunft alle wichtigen Aspekte einer Studie so präzise wie möglich in die Überschriften seiner Artikel zu packen. Die Folge waren natürlich wahre Monstertitel, wie etwa "Inhibitory Effects of Oxytocin and Oxytocin Receptor Antagonist Atosiban on the Activities of Carbonic Anhydrase and Acetylcholinesterase Enzymes in the Liver Tissue of Mice“. Ob Faller auf diese Weise allerdings seine Zitierraten hatte erhöhen können? Er wusste es nicht, und auch keiner sonst. Schließlich gab es keine Möglichkeit, dies zu evaluieren – beispielsweise durch einen Vergleich mit alternativen Titeln. 

Die „Monstertitel“-Strategie stieß jedoch auf noch ein weiteres Hindernis: Nicht jeder Editor war davon angetan. 

Beispielsweise wollten Faller et al. einem Review den Titel "The Liver Does Not only Produce Nutrients and Energy but also Maintains Fluid and Electrolyte Balance and Creates Immune Substances” geben. Der Editor bestand jedoch auf "Alternative Functions of the Liver“. Und genau wie Faller letztlich befürchtete, wurde der Review bereits bei der ersten Nennung falsch zitiert: „Aside from its main task in nutrient metabolism the liver also produces a couple of hormones (Faller et al., 2018)”, hieß es in dem Paper. Ein weiteres Beispiel also, dass viele Autoren anscheinend kaum weiter als über die Titel hinaus lesen, wenn sie die Referenzlisten für ihre eigenen Manuskripte zusammenstellen.

Schluss mit der Absurdität!

Faller hatte demnach beide Fälle innerhalb kurzer Zeit erlebt: Dort nicht zitiert zu werden, wo er es verdient gehabt hätte – wie auch unverdient im falschen Kontext zitiert zu werden. Und da wurde ihm schließlich die Absurdität der ganzen Angelegenheit klar: „Wie konnte ich jemals so dumm sein, sogar beim Formulieren der Überschriften noch krampfhaft auf die vermeintlich höchstmögliche Anzahl von Zitierungen zu schielen?“, dachte er kopfschüttelnd. 

Interessanterweise blieb sein Eitelkeitszentrum stumm bei dieser Einsicht. Und so überschrieb Faller seinen nächsten Review zufrieden lächelnd mit "Fifty Ways to Love Your Liver“.

Ralf Neumann

("Forscher Ernst" wird gezeichent von Rafael Florés)

 

(Die einzelnen Geschichten dieser Kolumne sind uns in aller Regel nicht genau so, aber doch sehr ähnlich referiert worden.)

 

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Letzte Änderungen: 10.09.2019