Kein Problem!
(10.09.2020) Beim unabhängigen Biomed X Institute hat man den Spieß umgedreht. Man fragt Pharmafirmen direkt nach ihren Problemen – und löst sie. Auf ganz eigene Art.
Spannende Forschung und vielversprechende Ergebnisse gibt es genügend in den Lebenswissenschaften, nur finden diese allzu selten den Weg in ein Pharma-Unternehmen. Denn zwischen diesen beiden Welten klafft sehr oft eine große Lücke. Genau diese Lücke will Christian Tidona mit seinem BioMed X Institute schließen. Seit 2013 ist er erfolgreich damit beschäftigt, großartige Forschung und kommerzielle Ziele miteinander zu verbinden.
Der Molekularbiologe und Virologe hat gleich nach seiner Promotion in den 1990er-Jahren angefangen, Start-ups zu gründen und Netzwerke zu leiten, die die Kooperation von akademischer Forschung und Industrie fördern. Bei Gesprächen mit Industrievertretern hat er dann festgestellt, was eigentlich fehlt: „Wir brauchen etwas, womit wir nicht die Fehler machen, die Biotech-Start-ups normalerweise machen“, erzählt er. Über 80 % neugegründeter Biotech-Firmen scheitern nämlich und zwar nicht an der Technologie, sondern am Übergang in die Großindustrie. Die hat nämlich ganz andere Anforderungen an Skalierbarkeit, Validierung und vor allem an den Preis. „Wir haben das mit BioMed X ein bisschen umgedreht: Wir sprechen zuerst mit Pharma und fragen, was ihre größten Probleme in der frühen Forschung sind. Und welches Budget dafür bereitsteht“, erklärt Tidona. „Zweitens geht unser Ansatz darauf zurück, dass Talent auf der Welt eigentlich gleich verteilt ist. Man muss es nur an einem Ort bündeln, also rekrutieren“, sagt der Gründer.
Problemlösung in 3 Phasen
Ganz praktisch funktioniert BioMed X also so: In Phase 1 identifiziert man zusammen mit dem Industriepartner das nächste zu lösende Problem. Dieses wird dann weltweit an den besten Universitäten ausgeschrieben. „Darauf bewerben sich Postdocs aus der akademischen Wissenschaft mit einem sehr originellen Projektvorschlag. Normalerweise bekommen wir 200–600 Projektvorschläge aus bis zu 80 Ländern“, sagt Tidona stolz. Über die Projektvorschläge entscheidet ein Komitee und sucht die besten 15 Kandidaten aus, welche eingeflogen werden.
Hier beginnt Phase 2 – ein fünftägiges Innovations-Bootcamp in Heidelberg. „Die ausgewählten Kandidaten sehen sich dort zum ersten Mal und wir helfen ihnen, sich in fünf Gruppen zu finden, die im Wettbewerb stehen. Diese Gruppen arbeiten parallel in fünf Tagen und vier Nächten an einem wirklich herausragenden Projektvorschlag“. Hier entstehen dann die wirklich brillanten Lösungen, meint Tidona. Am letzten Tag entscheidet eine Jury, in der das Senior-Management des Pharma-Partners sitzt, welcher Vorschlag der vielversprechendste ist. Der Gewinner darf seine eigene Forschungsgruppe am BioMed X Institute gründen, meistens sucht er sich noch 1–2 Postdocs aus seinen Bootcamp-Kollegen aus.
Dann kommt Phase 3, wie Tidona beschreibt: „Der Kandidat oder die Kandidatin wird mitsamt Familie nach Heidelberg umgesiedelt. Jobs für Ehepartner, Kindergartenplätze, Wohnungen usw. wird von BioMed X organisiert. Dann leben und arbeiten sie bis zu fünf Jahre an unserem Institut.“ Laboranten und Doktoranden werden später ganz normal hinzu rekrutiert.
Eine besondere Atmosphäre
BioMed X ist zwar offiziell als GmbH geführt, die Christian Tidona zum größten Teil gehört, verhält sich aber mehr wie ein Forschungsinstitut. So liegt es mitten im Technologiepark Neuenheimer Feld der Uni Heidelberg und hat Rahmenverträge mit Forschungseinrichtungen vor Ort. Die Wissenschaftler können also alle Geräte und Einrichtungen nutzen. Selbst wenn es darum geht, eine Maus- oder Zelllinie von anderen Instituten auszuprobieren, bekommen sie meist eine nicht-kommerzielle Nutzungsvereinbarung.
Dennoch herrscht eine besondere Atmosphäre am Institut, was Tidona als Ökosystem beschreibt: „Ganz wichtig ist die Zusammenarbeit zwischen den Forschergruppen, gegenseitige Hilfe und reger Austausch“ sagt er. Die besten Ideen würden in den „Friday-Meetings“ aufkommen oder wenn die Leute zusammen essen oder feiern, und sich über Gruppen hinweg über neue Technologien oder Probleme unterhalten. Dazu braucht man die richtigen Leute, die vollkommen verinnerlicht haben, dass man dadurch wächst, wenn man anderen hilft. Konkurrenzdenken sei fehl am Platz, betont Tidona. Der Unternehmer weiß aber auch, dass seine wissenschaftlichen Überflieger oft sehr selbstbewusst sein können und nicht gut im Team zusammenarbeiten. „Das ist auch der Grund dafür, warum wir sie im Bootcamp auf Herz und Nieren prüfen. Bei uns haben nur Kandidaten eine Chance, die sich neben ihren herausragenden wissenschaftlichen Kompetenzen auch in Stress-Situationen gegenseitig unterstützen. Einzelkämpfer haben bei uns keine Chance“, sagt er strikt.
Zurzeit beherbergt das BioMed X Institute sieben Forschergruppen – zum Beispiel zu RNA-Splicing bei Krebs (gesponsert von Merck) und zur Rolle von Glia-Zellen bei der Entstehung psychischer Störungen (gesponsert von Boehringer Ingelheim). Die Projekte werden von Mentoren begleitet und jeden Monat wird neu entschieden, wie es weitergeht – ob sich beispielsweise eine große Erfindung anbahnt, die patentiert werden sollte.
Patente bleiben vor Ort
Apropos Geistiges Eigentum. Die Forschungsergebnisse und daraus resultierende Patente gehören zunächst BioMed X, die Pharma-Partner können diese jedoch nach Ablauf der Projektlaufzeit erwerben. Tidona erklärt: „Wenn die Firmen eine festgelegte Einmalsumme am Ende zahlen, bekommen sie alle Ergebnisse und Rechte aus dem Projekt. Wenn sie das nicht leisten, bleibt alles bei BioMed X und wir können es mit jemand anderem versuchen. Seither haben wir sieben Projekte abgeschlossen und sechs an den Pharma-Partner übertragen.“ Im Projektverlauf zahlt der Pharma-Partner zudem für die Forschung einschließlich Overhead, ähnlich einer akademischen Kooperation.
Zu den Erfolgsgeschichten gehört auch ein Projekt zur Alzheimer-Forschung zusammen mit AbbVie in Ludwigshafen. Deren Problem: Alzheimer-Forschung in der Petrischale zu modellieren, ist sehr schwierig. Die österreichische Forscherin Dagmar Ehrnhöfer kam von der University of British Columbia und hatte die Idee, sich auf das Tau-Protein zu konzentrieren. Dieses hat nämlich sehr komplexe post-translationale Modifikationen, die je nach Krankheitsstadium variieren. Mit ihrer Forschergruppe bei BioMed X hat Ehrnhöfer herausgefunden, wie man diese Modifikationen als Surrogat nehmen kann, um den Krankheitsverlauf sehr schnell zu diagnostizieren. Außerdem entwickelte sie In-vitro-Tests für neue Arzneimittel gegen die Aggregatbildung dieser toxischen Tau-Spezies. Nach vier Jahren wurde nicht nur ihre Arbeit von AbbVie übernommen, sondern sie und ein Teil ihrer Forschergruppe gleich mit.
Christian Tidona hat auch eine langfristige Vision. Er will etwas schaffen, das auch in 50 oder 100 Jahren noch besteht. Daher schöpft er Überschüsse nicht ab, sondern investiert in neue Geräte oder zukünftig einmal in neue Standorte. Für seine Herangehensweise ist er kürzlich sogar vom Business Worldwide Magazine zum „Biotechnology CEO Of The Year – Europe“ gekürt worden.
Karin Lauschke
Foto: Biomed X