Editorial

Innovationsinflation

Bundesforschungsministerin Annette Schavan startet mit 14,6 Milliarden Euro ihre "Hightech-Strategie" zur besseren Kooperation von Wissenschaft und Wirtschaft. Die Frage ist: Wer muss sich mehr auf wen zu bewegen?

(30.08.2006) Es ist wohl das erste Mal, dass Annette Schavan so richtig die Top-Schlagzeilen der Republik besetzt. Am Mittwoch stellte die Forschungsministerin der großen Koalition mit einem 112 Seiten-Papier die Eckpfeiler ihrer sogenannten "Hightech-Strategie" vor. Satte 427mal kommen darin die Worte "Innovation" oder "innovativ" vor. Womit klar wäre, worum es geht, oder?

Also konkret: Bis 2009 will der Bund demnach 14,6 Milliarden Euro in Forschung und Entwicklung investieren. 12 Milliarden Euro sollen in die Forschung und Verbreitung neuer Technologien fließen, wozu 17 sogenannte "Hightech-Sektoren" definiert wurden - allen voran die Nanotechnologien, die Gesundheits- und Medizintechnik, die Entwicklung neuer Sicherheitstechnologien, aber auch politisch heikle Forschungsfelder in der Energieentwicklung oder der Grünen Gentechnik.

Damit will die Bundesregierung zum einen ihren Beitrag leisten, um gemäß der Lissabon Strategie der Europäischen Union bis 2010 den Anteil von Forschung und Entwicklung am Bruttoinlandsprodukt auf 3 Prozent zu erhöhen. (Folgerichtig fordert Frau Schavan, dass nun die Länder und Wirtschaft nachziehen sollen.) Zum anderen soll diese Initiative jedoch vor allem Arbeitsplätze in Deutschland schaffen. Bis zu 1,5 Millionen neue Stellen im Hightech-Bereich sieht Ministerin Schavan am Horizont ihrer Initiative.

Wie das? In Deutschland gebe es zwar viele Innovationen, die jedoch zu selten in marktfähige Produkte umgewandelt werden, heißt es in dem BMBF-Papier. Keine wirklich neue Erkenntnis. Diesen Missstand wolle die Strategie nun durch die bessere Kooperation von Wissenschaft und Wirtschaft beseitigen. Auch klar, aber wie konkret? Indem man nun für die deutsche Wissenschaft einen Wettbewerb starte, der "vorbildliche Beispiele für den Austausch von Wirtschaft und Wissenschaft" auszeichnen solle. Nun, auch keine wirklich neue Idee.

Die Einsichten und Absichtserklärungen, wie Schavans Papier sie formuliert, sind also keineswegs so innovativ wie die inflationäre Verwendung des Wortes suggerieren will. Wie in so vielen Initiativen zuvor wird sich der konkrete Wert dieses neuerlichen Wettbewerbs erst herausschälen, wenn die geförderten Projekte letztlich auf dem Tisch liegen. Erst an den jeweiligen Einzelfällen wird sich zeigen, ob "Wissenschaft und Wirtschaft" wirklich einander näher rücken und dabei neue, effektivere Wege der kooperativen Produktentwicklung finden und tatsächlich begehen. Bis dahin bleibt zu befürchten, dass viele Forscher angesichts ihrer Fördermittelknappheit wieder einfach nur dem Imperativ des Geldes folgen - und in blumenreichem Antragsdeutsch quasi über Nacht zu potenziellen Produktentwicklern mutieren.

Überhaupt, die Forscher. Die kommen in dem Papier seltsam schlecht weg. Als ob sie die Hauptschuldigen seien für die zu große Kluft zwischen Grundlagenforschung und entwickelten Produkten. Mangelnden unternehmerischen Spirit unterstellt man ihnen oft. Und als Beispiel wird immer wieder der MP3-Player hervorgezerrt, der zwar hierzulande erfunden wurde, jetzt aber von ausländische Firmen in Massen produziert und verkauft würde. Waren daran aber tatsächlich Forscher schuld?

Zuerst einmal: Ein Forscher wird Forscher, weil er Forscher sein will - und nicht Produktentwickler oder irgendetwas anderes. Wenn etwa heutzutage viele junge Forscher den Weg in kleine, frisch gegründete Biotech-Unternehmen suchen, dann ist das leider oftmals aus der Not geboren. Die allermeisten hätten lieber ein warmes Plätzchen in irgendeinem akademischen Institut oder industriellen Forschungslabor. Nur gibt es diese Plätzchen leider nicht in dieser Menge.

Wer dagegen Produktentwickler sein will, ist die Industrie. Natürlich kann sie nicht alle Ideen alleine haben, sie kann auch nicht alles nur in ihren Mauern entwickeln. Deswegen braucht sie eine Art vernünftiges Scouting-System, mit dem sie das Produktpotenzial von Forschungsergebnissen frühzeitig erkennt - sei es von sich aus, oder wenn Forscher von außen zu ihnen kommen.

Genau das hat jedoch in den vergangenen Jahren mehr als unzureichend funktioniert. Beispiele gibt es zumindest in der Biomedizin genug. Dreißig Jahre lang unterhielt etwa der Basler Pharmariese Roche bis 2002 das nicht nur für seine drei Nobelpreise weltbekannte Basel Institute of Immunology. Dessen langjähriger Direktor, Fritz Melchers, erinnert sich, dass Mitarbeiter des Instituts Roche immer wieder durchaus anwendungsreife Resultate präsentierten - die Firma aber fast jedes Mal seltsam antriebsarm reagierte.

Oder der Freiburger Max-Planck-Forscher Markus Simon, der mit seinen Kollegen ein vielversprechendes Protein für einen Borreliose-Impfstoff identifizierte. Garching Innovation, die Technologietransfer-Stelle der Max-Planck-Gesellschaft, ging seinerzeit damit bei allen in Frage kommenden deutschen Firmen hausieren. Nachdem die jedoch dankend abgelehnt hatten, griff GlaxoSmithKline zu und entwickelte den Impfstoff LYMErix in Großbritannien. (LYMErix machte später andere Probleme. Siehe hier).

Oder der Martinsrieder Max-Planck-Direktor Axel Ullrich, der hierzulande immer wieder als Prototyp des medizinischen Grundlagenforschers mit unternehmerischer Ader herhalten muss. Gerade hat die EU den multi-spezifischen Tyrosinkinase-Hemmer SUTENT, der auf Ullrichs Forschungsergebnissen basiert, als Medikament gegen Nieren- sowie Magen-/Darmkrebs zugelassen; die Wirksamkeit gegen weitere Tumoren wird noch getestet. Die geschätzte 1 Milliarde Dollar Jahresumsatz wird jedoch der US-Pharmariese Pfizer machen. Auch Ullrich berichtet vom Desinteresse der deutschen Pharmafirmen, die sich letztlich dadurch allesamt selbst aus dem Geschäft brachten. Dabei hatte gerade er schon gezeigt, was seine Ideen wert sein können: Andere Ergebnisse aus Ullrichs Labor waren bereits zuvor erfolgreich zu Roches Brustkrebsmedikament Herceptin weiterentwickelt worden.

Offenbar erkennen Forscher das Anwendungspotenzial ihrer Ergebnisse durchaus - und signalisieren es auch (zumal sie damit auf weitere Fördermittel hoffen können). Eher scheinen hierzulande die professionellen Produktentwickler manchmal die Potenziale nicht wirklich zu erkennen - und lassen die Forscher so lange vor der Tür stehen, bis jemand anderswo Produkt entwickelt und Profit macht.

Es lohnt sicherlich, auch hier einen Hebel anzusetzen. Nicht nur bei den vermeintlichen unternehmerischen Schnarchnasen von Forschern.

Ralf Neumann



Letzte Änderungen: 01.09.2006