Editorial

Vom Ruhm der Täufer

(24.07.2020) Ein paar Gedanken über Sinn und Unsinn der Einführung neuer Begriffe in den Biowissenschaften.
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Klare Begriffe sind wichtig, keine Frage. Schließlich muss man wissen, worüber man redet. Gerade in der Wissenschaft.

Wo käme man schließlich hin, wenn man etwa „Kernteilung“ sagt – und der eine denkt an die gewöhnliche somatische Teilung, die andere dagegen an die Reifeteilungen der Keimzellen. „Mitose“ und „Meiose“ machen als Begriffe also Sinn – schaffen unmittelbar Klarheit, worüber man spricht.

Die Kehrseite solcher Namensfindung jedoch ist, dass manche Leute Begriffe einführen wollen, wo sie gar nicht notwendig oder kaum passend sind – oft nur mit dem Hintergedanken, dass der entsprechende Begriff auf ewig mit ihrer „Tauf-Person“ verknüpft sei. Wie der Calvin-Zyklus, das Broca-Areal oder die Homöobox mit Walter Gehring.

So wurde beispielsweise auch Nobelpreisträger Sydney Brenner nicht müde, immer wieder zu betonen, dass er es damals war, der den Begriff „Codon“ zuerst kreiert habe – und zwar bevor Marshall Nirenberg und Co. den genetischen Triplett-Code letztlich entschlüsselten. Was unlängst einen alten Zeitzeugen der molekularbiologischen Pioniertage zu dem süffisanten Kommentar veranlasste: „Ach, der Brenner – der will doch damals die Ideen zu allem zuerst gehabt haben.“

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Claim schon mal abgesteckt

Passend dazu auch eine Anekdote, die dem Autoren dieser Zeilen vor längerer Zeit selbst passierte – wenn auch bereits vor einiger Zeit: Die Daten für ein Kooperations-Paper waren gerade fertig, der Entwurf für ein erstes Manuskript stand an. Da sagte der ehrgeizige Nachwuchs-Gruppenleiter zu dem frisch gebackenen Postdoc (also zu mir): „Wir müssen uns unbedingt noch einen schnittigen Begriff für das Phänomen ausdenken.“ Und als ich ihn fragend anschaute, fügte er mit verschwörerischem Lächeln hinzu: „Klar, den braucht’s für unser Paper nicht wirklich. Aber wer weiß jetzt schon, was daraus einmal werden kann? Am Ende geht das Feld auf wie ein Hefeteig – und dann haben wir den Claim quasi per Begriffshoheit schon abgesteckt.“

Wir veröffentlichten das Paper schließlich ohne neuen Begriff. Alles, was uns einfiel, klang am Ende doch allzu arg übertrieben – weshalb wir es ließen. Welches der niedere Zweck solcher Namens-Schöpfungen sein kann, war mir dadurch allerdings allzu klar geworden.

Und es ist damit ja nicht gerade besser geworden zuletzt. Auch jenseits davon, dass nach dem Genom eine Zeitlang unzählige weitere „Ome“ – manchmal mehr, öfter aber weniger passend – aus dem Ärmel geschüttelt wurden wie Sand aus dem Strandtuch.

"Es ist kein Begriff, sondern eine Bewegung"

Aber es sind ja bei Weitem nicht nur die „Ome“. Ich erinnere mich noch gut, wie vor einiger Zeit zwei Herren namens Lloyd Smith und Neil Kelleher versuchten, in Nature Methods den nächsten Knaller einzuführen: „Proteoform: a single term describing protein complexity“ titelten sie damals ihre Correspondence (Vol. 10: 186-7). „Proteoform“ soll demnach alle Formen beschreiben, die ein einzelnes Protein annehmen kann. Die bereits bekannte „Protein-Isoform“, so die Autoren, sei hierzu nicht ausreichend, da diese nur die genetische Variation bei der Übersetzung ein und desselben Leserasters in ein Protein umfasst. Spätestens sämtliche Modifikationen, die nach der Translation stattfinden, würde der Begriff aber nicht treffen. Auch die „Protein-Spezies“ wäre in der hergebrachten Bedeutung nicht geeignet, da dieser Begriff wiederum nicht zwischen Proteinformen unterscheidet, die von demselben Gen stammen oder von verschiedenen.

Wer noch genauer wissen will, was denn nun die „Proteoform“ von weiteren, teilweise überlappenden Begriffen wie „Proteinform“ und „Proteinvariante“ unterscheidet, den verweisen wir an dieser Stelle auf das Original-Paper. Die Autoren selbst schienen damals jedenfalls sehr überzeugt von ihrer „Namens-Schöpfung“. So zitierte damals etwa der Nature-Methods-Blog methagora Kelleher mit den Worten: “It’s not just a term, it’s a movement.”

Begriffe helfen – oder auch nicht

Wow, wie so oft schienen also auch Smith und Kelleher damals ziemlich überzeugt von ihrer Namensschöpfung. Aber hat die „Proteoform“ am Ende wirklich dabei geholfen, dass die Spezialisten besser über das reden können, was sie meinen? Womöglich deuten knapp 600 Publikationen, die PubMed über die letzten sieben Jahre unter dem Suchbegriff „Proteoform“ auflistet, tatsächlich darauf hin. Womöglich aber auch nicht.

Doch selbst wenn doch: Im Zweifelsfall hatte Sydney Brenner diesen oder einen gleich gemeinten Begriff wahrscheinlich sowieso bereits vor Jahrzehnten sinnierend auf irgendeinen Zettel gekritzelt.

Ralf Neumann

Zeichnung: Rafael Florés

 

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Letzte Änderungen: 22.07.2020