Editorial

Schnipp, schnapp, Virus ab!

(11.06.2020) Die Hamburger Provirex nutzt eine Designer-Rekombinase, um das HI-Virus aus dem Wirtsgenom zu schneiden. Starthilfe bekam das Start-up aus der Politik.
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Momentan beherrscht das SARS-Coronavirus-2 Schlagzeilen und unser Leben. Aber es ist beileibe nicht das einzige Virus, das uns das Leben schwer macht. Gerade mal 40 Jahre ist es her, da bedrohte ein bis dahin unbekanntes Virus schon einmal die Menschheit. Anfang der 80er-Jahre beobachteten Ärzte weltweit eine ungewöhnliche Häufung von Krebs­erkrankungen, besonders bei jungen Menschen. Wenige Jahre später beschrieben Luc Montagnier und Françoise Barré-Sinoussi das HI-Virus oder Humanes Immun­defizienz-Virus, das das menschliche Immun­system schwächt, indem es vornehmlich CD4-positive T-Helferzellen eliminiert. Bis heute sind wir es nicht wieder losgeworden. Und auch nach 37 Jahren intensiver Forschung gibt es noch immer keinen Impfstoff.

Allerdings haben sich die Behand­lungsoptionen deutlich verbessert. Eine HIV-Infektion ist heute kein Todes­urteil mehr, benötigt aber kontinu­ierliche medika­mentöse Behandlung mit einer sogenannten HAART – einer hochaktiven antiretro­viralen Therapie. Diese beinhaltet einen Cocktail aus verschie­denen antiviralen Wirkstoffen, darunter Nukleosid-/Nukleotid-Analoga, die die reverse Tran­skription inhibieren; sowie Inhibitoren wichtiger Viren­enzyme wie die Protease, die das Virus braucht, um reife Virionen zu produzieren. Einige dieser Enzym­hemmer, beispiels­weise Lopinavir/Ritonavir, sind versuchs­weise auch bei COVID-19-Patienten im Einsatz. Allerdings, wie es scheint, weniger erfolgreich.

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Expertise aus Hamburg und Dresden

In Hamburg und Dresden ist man seit mehr als 10 Jahren dabei, dem HI-Virus auch ander­weitig beizukommen. Mit einer Rekombinase wollen Joachim Hauber vom Heinrich-Pette-Institut (HPI) und Frank Buchholz von der TU Dresden sowie dem Max-Planck-Institut für molekulare Zellbiologie und Genetik das Provirus aus der DNA der Wirtszelle einfach heraus­schnippeln. Zu diesem Behufe gründete man im letzten Herbst die Firma Provirex. „Neben weiteren langjährigen Mitarbei­terinnen und Mitarbeitern des Projektes sind Herr Buchholz und ich Gründungs­gesellschafter“, erzählt uns Hauber.

Wie funktioniert das Ganze? Sicherlich hat der eine oder andere schonmal mit Rekombinasen gearbeitet. Diese Enzyme schneiden DNA spezifisch an einer bekannten Stelle, kleben die erzeugten Enden selbst wieder zusammen (ohne das zelleigene Repara­tursystem in Anspruch nehmen zu müssen) und lassen so eine fehlerfreie Genom-Editierung zu sowie die weitaus bekanntere Genschere CRISPR/Cas erblassen.

Erfreulicherweise für die Forscher ist die HI-Provirus-Sequenz links und rechts von 34 bp langen Long Terminal Repeats (LTR) flankiert – perfekte Schnitt­stellen für eine Rekombinase also. Nun müsste man ja eigentlich nur noch ein Enzym finden, das an exakt diese LTRs bindet und so die Virus­sequenz heraus­schneidet. Leider gibt die Natur so eine Rekombinase nicht her, darum bediente sich Frank Buchholz und sein Team den Möglichkeiten der molekularen Evolution und ließ das Enzym so lange evolvieren, bis es eben diese Schnitt­stellen des HIV-Provirus tatsächlich erkannte. Ursprüng­licher Ausgangs­punkt dieser Evolution war die Cre-Rekombinase des P1-Bakterio­phagen, das Endergebnis die Designer-Rekombinase Brec1 (broad range recombinase-1).

Erstmalig in Deutschland

„Weiter essentiell [für die Entwicklung] war mit Sicherheit die am HPI in Hamburg erfolgte und in Deutschland erstmalige Etablierung von HIV-1-infizierten humani­sierten Mäusen zur In-vivo-Analyse der Rekombinasen und dem damit erfolgten Nachweis antiviraler Eigen­schaften in einem infizierten Organismus,“, erläutert Hauber den nächsten Schritt zur zukünftigen HIV-Therapie. Die Teams charak­terisierten Brec1 funktionell und stellten zufrieden fest, dass die Rekombinase tatsächlich die Mehrzahl der bekannten klinischen HIV-1-Isolate mit hoher Spezifität erkennt. Die klinische Anwendung rückte also immer näher.

Nach weiteren erfolgreichen präklinischen Tests zur Zytotoxizität, Immuno­genität und Geno­toxizität ging es nun nicht mehr vorder­gründig um Forschung, sondern ums Geld. Hier kam, wie so oft, der bisher so flotte Entwicklungs-Zug kurz zum Stehen. „In den vergangenen Jahren haben meine Kolleginnen, Kollegen und ich viele Gespräche mit potenziellen Investoren aus Big-Pharma/Biotech, Venture Capital und dem privaten Sektor geführt. Diese waren leider nicht erfolgreich. Die Gründe waren vielschichtig, beispiels­weise wurde mehrfach angedeutet, dass die Indikation (HIV) nicht in das jeweilige Portfolio passen würde bzw. nicht von Interesse wäre,“ beklagt Hauber.

So schnell lässt also das Interesse der Industrie nach. Das ist erstaunlich, befinden wir uns doch laut WHO noch immer in einer globalen Epidemie, was HIV anbelangt. Weltweit sind fast 40 Millionen Menschen betroffen, in Deutschland etwa 88.000.

Made in Germany

Wenn nicht in der Industrie, so stieß man doch anderswo auf großes Interesse an der HIV-Therapie „made in Germany“. „Letztendlich haben unsere Publikationen, unter anderem in Science, PLoS Pathogens und Nature Biotechnology, nicht nur in der Wissenschaft, sondern auch in der Politik gewisse Aufmerk­samkeit erregt. Dort wurde auch wahr­genommen, dass es sich um eine originäre Technologie handelt, deren komplette R&D bisher in Deutschland durch­geführt wurde“, sagt Hauber. Das Bundes­ministerium für Bildung und Forschung stellte daraufhin fünf Millionen Euro zur Verfügung (die Else Kröner Fresenius-Stifung gab weitere 500.000).

Auch direkt in Hamburg, dem Sitz des HPI und Provirex, machten sich Politiker (allen voran SPD und Grüne) mit einem Antrag auf eine Millionen-Förderung in der Bürger­schaft stark für Provirex. „Die Wissen­schafts­senatorin Katharina Fegebank (Grüne) setzte sich für das Projekt mit Nachdruck ein. Die Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg ermöglichte durch einstimmigen Beschluss schließlich die Förderung. Für beide [Förderungen] sind wir sehr dankbar.“

In absehbarer Zeit kann also der nächste Schritt getan werden. Am Hamburger Universitätsklinikum wird die Rekombinase in einer klinischen Studie, die als Stammzelltherapie konzipiert ist, getestet. Behandelt werden sollen HIV-1-infizierte Patienten, die gleichzeitig an einem diffus großzelligen B-Zell-Lymphom (DLBCL) leiden. Nach Stimulation mit dem Granulo­zyten-Kolonie-stimu­lierenden Faktor (G-CSF) werden aus deren entnommenem Blut (nicht Knochenmark) die daraufhin vermehrt gebildeten CD34-positiven Blut­stammzellen isoliert. Diese Stamm­zellen erhalten ex vivo das Brec1-Gen-Konstrukt und werden zurück in den Patienten transplantiert. Wenn alles gut gegangen ist, produziert der Patient nun CD4-positive Lymphozyten, die fortan einge­schlichene HI-Proviren durch Brec1-vermittelte Rekom­bination wieder entfernen können. „Die Senkung der Provirus-Last sollte zur funktio­nellen Rekon­stitution des Immun­systems beitragen und eventuell eine medika­mentenfreie Remission bzw. Kontrolle der Virämie ermöglichen“, hofft Hauber.

Start im nächsten Jahr

Aktuell befindet sich die Studie in der finalen Vorberei­tungsphase. Mit dem Genvektor LV-Brec1, der gerade GMP-konform produziert wird, sollen im Spätsommer/Herbst die letzten, nicht-klinischen Experimente durch­geführt werden, die für die Clinical Trial Application nötig sind. „Es ist geplant, dass die ersten Patienten dann im Laufe des Jahres 2021 behandelt werden. Aufgrund der Corona-Krise erwarten wir nach unserer derzeitigen Einschätzung nur moderate zeitliche Verzö­gerungen,“ gibt Hauber einen Ausblick.

Provirex wird an dieser klinischen Studie jedoch nicht beteiligt sein. Dafür widmet sich die Firma bereits der Weiterentwicklung der Therapie. „Von entsprechenden Immun­reaktionen abgesehen, wird man natürlich bereits infizierte Zellen [...] kaum erreichen. Allerdings könnten neuartige, beispiels­weise auf Lipo­nanopartikel (LNP)-basierte Formu­lierungen die direkte und gezielte Verab­reichung von Brec1 in HIV-1-Patienten ermöglichen. Eine Kombination aus beidem, die kontinuierliche und lebens­lange Produktion Brec1-geschützter Lymphozyten – durch Genmodi­fizierung von Blut­stammzellen – und die Entfernung proviraler HIV-1-DNA aus bereits infizierten Lympho­zyten – durch punktuelle Injektionen von LNP-Brec1 – könnte jedoch zu einer nachhaltigen Virus-Eradizierung beitragen,“ sagt Hauber. Genau deshalb konzentriere man sich bei Provirex nun verstärkt auf diese Weiter­entwicklung.

Kathleen Gransalke

Bild: Pixabay/OpenClipart-Vectors & BruceBlaus (CC-BY-SA-4.0)




Letzte Änderungen: 11.06.2020