Editorial

Interview mit Frankfurter Gentherapeuten

Am Uniklinikum Frankfurt wird die erste erfolgreiche Gentherapie an erwachsenen Granulomatose-Patienten durchgeführt. Einer der beiden Patienten starb im April - für die durchführenden Wissenschaftler kein Rückschlag.

(24.07.2006) Zwei Jahre führte die Arbeitsgruppe um Manuel Grez von der Abteilung für Hämatologie und Onkologie am Uniklinikum Frankfurt an zwei erwachsenen Patienten eine Gentherapie gegen Chronische Granulomatose (chronic granulomatous disease, CGD) durch. Im April diesen Jahres veröffentlichten die Wissenschaftler ihre Ergebnisse in Nature Medicine (Nat Med 2006 Apr; 12(4):401-9. Epub 2006 Apr 2.). Etwa zeitgleich verstarb einer der beiden Patienten. Obwohl die Gründe dafür noch nicht restlos geklärt sind, ist sein Tod für Grez und Kollegen kein Rückschlag für die Gentherapie.

In einem Interview befragt Laborjournal-Mitarbeiterin Christine Kost Christopher Baum, Dorothee Meike von Laer und Manuel Grez zu den Hintergründen dieser speziellen Gentherapie. In der kommenden Ausgabe von Laborjournal (LJ 9/2006) äußern sich die drei Wissenschaftler zur allgemeinen Situation der Gentherapie in Deutschland.

LJ: Herr Grez, Ihre CGD-Studie wurde im April als Durchbruch in der Gentherapie gefeiert, und ist sicher das Vorzeigeprojekt des BMBF-Verbundprojektes Treat-ID zur Gentherapie schwerer Immundefekte. Was war das Besondere daran?

Grez: Bei der Studie, die in Frankfurt durchgeführt wurde, handelt es sich um eine Genkorrektur für die septische Granulomatose, das ist eine Erkrankung der Fresszellen. Die Fresszellen dieser Patienten können Pilze und Bakterien nicht abtöten und sind deswegen extrem gefährdet gegenüber Infektionen. Der Defekt betrifft ein Gen, das für die Superoxidproduktion der Fresszellen wichtig ist. Wir haben versucht, durch Gentherapie eine funktionelle Kopie dieses Gens in die Zellen hineinzubringen. Hier in Frankfurt sind bis jetzt zwei erwachsene Patienten behandelt worden. Das ist das erste Mal, dass überhaupt erwachsene Patienten mit Erfolg behandelt worden sind. Die reinfundierten Zellen haben sich im Knochenmark der Patienten eingenistet. Sie haben dort proliferiert und in den ersten Monaten nach der Therapie dazu beigetragen, die Infekte, die beide Patienten hatten, zu eliminieren.

LJ: Es wurde immer besonders betont, dass erstmals erwachsene Patienten behandelt wurden. Ist das besonders schwierig?

Grez: Erwachsene Patienten sind vorher in den USA behandelt worden, allerdings ohne signifikanten klinischen Erfolg. Das heißt, die reinfundierten Zellen haben sich nicht im Knochenmark eingenistet. Bei unseren Patienten konnten wir die reinfundierten Zellen Monate nach der Gentherapie in hoher Anzahl im Blut nachweisen, was sicher zu einem besseren Gesundheitszustand der Patienten geführt hat.

Das Problem bei dieser spezifischen Erkrankung ist, dass die Zellen, die wir den Patienten zurückgeben, per se keinen Wachstumsvorteil gegenüber den nicht korrigierten Zellen haben. Wir bringen eine sehr kleine Anzahl von Zellen in den Patienten, die gegenüber der Masse an nicht korrigierten Zellen nur ein bis zwei Prozent ausmachen. Wir mussten die Patienten mit einer leichten Chemotherapie behandeln und so die endogenen Zellen teilweise eliminieren, damit die neuen Zellen Platz finden. Das war der entscheidende Unterschied zu früheren Protokollen, die nicht funktioniert hatten.

Im weiteren Verlauf der Studie hat sich herausgestellt, dass die Zellen, die wir in die Patienten hineingebracht haben, sich vermehrt haben und die Zahl der gentransduzierten Zellen im peripheren Blut der Patienten enorm angestiegen ist. Das ist den Patienten zunächst zugute gekommen, weil sie dadurch eine große Anzahl an funktionell korrigierten Zellen hatten. Das Wachstum birgt aber auch die Gefahr einer malignen Transformation. Dies ist aber bis heute bei keinem der beiden Patienten eingetreten.

Einer der Patienten ist im April dieses Jahres gestorben. Die Ursache des Todes ist bis jetzt nicht genau bekannt, alles deutet aber darauf hin, dass der Patient an seiner Grunderkrankung gestorben ist. Was wir schon vor dem Tod des Patienten beobachtet haben, ist ein Funktionsverlust der gentransduzierten Zellen. Wir wissen nicht, warum das passiert ist, und wir sind dabei, das genau zu analysieren.

LJ: Wie geht es den anderen Patienten?

Grez: Bei dem zweiten Patienten ist die Funktion der Zellen noch vorhanden. Wir haben keinen Verlust der Aktivität, wie wir das bei dem ersten Patienten gesehen haben. Der zweite Patient ist noch in guter Verfassung. Drei weitere Patienten sind in Zürich und London behandelt worden. Bei dem Züricher Patienten handelt es sich um ein fünfjähriges Kind, das aufgrund einer Pilzinfektion im Rückenmark seine Beine nicht bewegen konnte. Die Pilzinfektion ist nach der Gentherapie verschwunden, und das Kind kann wieder selbständig laufen. Klinisch gesehen ist dies eine enorme Verbesserung des Gesundheitsstatus dieses Patienten. Die Grunderkrankung wurde aber nicht vollständig eliminiert; das Kind leidet immer noch an CGD, so dass es ständig Antibiotika nehmen muss.

LJ: Welche Konsequenzen hat der Tod des Patienten für die CGD-Studie?

Grez: Im Moment haben wir einen selbstverordneten on hold. Wir werden bis zur Klärung der Frage, warum der Patient gestorben ist, nicht weitermachen. Ich muss dazu betonen, dass wir von der regulatorischen Behörde keine Anordnung haben, unser Protokoll zu stoppen. Es ist eine Indikation, die wir uns selbst gestellt haben. Aber wir planen, die Studie weiterzuführen, mit verbesserten Vektoren.

LJ: Was ist im Rahmen von Treat-ID für das CGD-Projekt geplant?

Grez: Zum einen die weiterführende Analyse der Patienten, die wir schon behandelt haben. Zum anderen die Entwicklung von Vektoren, die von Christopher Baum kommen, für die gezielte Anwendung bei der Septischen Granulomatose. Wir wollen die Expressionskassette für unser Transgen so optimieren, dass wir eine optimale Sicherheit und Effektivität dieses Vektorsystems erreichen.

LJ: War der Tod des CGD-Patienten ein Rückschlag für die Gentherapie?

Baum: Für den Patienten und seine Familie war das natürlich ein schlimmer Ausgang. Aber für das Feld an sich war es eine Erinnerung daran, dass man nach ersten Erfolgen nicht glauben sollte, schon das Grundproblem gelöst zu haben. Wir müssen nach wie vor auch die Erfolge der Gentherapie sehr nüchtern interpretieren und das Feld Schritt für Schritt weiterentwickeln. Und wir müssen aufpassen, den Patienten nicht zuviel zu versprechen. Das wird im Moment auch überall so umgesetzt. Alle Patienten in solchen Studiengängen werden darüber informiert, dass es sich um eine experimentelle Therapie mit unklarem Therapieerfolg handelt, auch mit unklaren Nebenwirkungen. Beide Seiten - Ärzte und Patienten - müssen da viel Risiko in Kauf nehmen.

Grez: Das ist sehr wichtig, weil die Gentherapie bis jetzt den Eindruck erweckt hat, die Patienten für immer zu heilen. Niemand kann das versprechen. Patienten werden in Gentherapiestudien sterben genau wie Patienten nach einer Knochenmarktransplantation sterben können. Die Gentherapie ist eine experimentelle Therapie, es sind Risiken dabei. Wir müssen das akzeptieren und lernen, wie wir die Risiken minimieren können.

Von Laer: Möglicherweise wurde dies noch nicht klar gesagt: Alle diese Behandlungen werden nur an Patienten vorgenommen, die keine anderen therapeutischen Optionen haben. Es geht nicht um die Behandlung leichter Erkrankungen, sondern um Schwerstkranke, die mehr oder minder dem Tod geweiht sind und man keine Möglichkeit hat, sie anders zu retten.

LJ: Als "Rückschlag für die Gentherapie" wurde der Tod des Patienten allerdings in einigen Medien bezeichnet. Unter anderem wurde der Gentherapie bescheinigt, noch lange nicht reif für die Klinik zu sein.

Grez: Journalisten haben die Freiheit, zu schreiben und zu sagen was sie meinen. Ob sie damit Recht haben oder nicht, ist eine andere Geschichte. Ich finde, die Gentherapie ist reif für die Klinik. Es sind in Europa bis heute etwa 25 - 30 Patienten mit schweren Immundefekten erfolgreich mit Gentherapie behandelt worden. Davon ist einer in Paris direkt als Konsequenz der Gentherapie und einer in Frankfurt an seiner Grunderkrankung gestorben.

Wenn man das vergleicht mit anderen Therapieformen, zum Beispiel der Knochenmarktransplantation, hat die Gentherapie einen enormen Erfolg in den letzten fünf Jahren erlebt. Das kann man nicht einfach unter den Tisch kehren. In London, Paris und Italien wurden erfolgreich SCID-Patienten behandelt. Diese Patienten haben heute ein Leben, das sie ohne Gentherapie niemals hätten führen können, genau wie unsere Patienten. Unsere Patienten waren in den letzten zwei Jahren infektionsfrei und in sehr guter Verfassung. Einer ist noch in sehr guter Verfassung. Wir haben weitere Patienten behandelt, bei denen die Ergebnisse noch zu frisch sind, um schon bekannt gegeben zu werden, aber die Patienten haben alle einen Nutzen aus der Behandlung gezogen. Ich glaube, es ist keine Frage, dass das Protokoll ein Erfolg ist.

LJ: Ein Kritikpunkt in der Berichterstattung war, dass der Erfolg der CGD-Studie medienwirksam verkündet wurde, die Journalisten über den kritischen Zustand und den Tod des Patienten bald darauf jedoch zunächst nicht informiert wurden. Warum ist dies nicht geschehen?

Grez: Es gibt eine ganze Reihe von Maßnahmen, die wir treffen müssen, ehe die Öffentlichkeit informiert wird. Zuerst müssen wir mit den Angehörigen sprechen. Das ist ganz klar die erste Priorität. Dann müssen wir die Behörden in Deutschland, in Europa und in USA informieren. Und man muss Rücksprache halten: Habt Ihr die Information bekommen, habt Ihr noch Fragen dazu, und so weiter. Drittens müssen wir die weiteren Patienten, die behandelt worden sind, informieren. Und es ist nicht so, dass die ständig auf unseren Anruf warten. Wir müssen die Patienten ausfindig machen und darüber informieren, was passiert ist, ehe wir die Presse informieren. Die Öffentlichkeit kommt erst an vierter Stelle dieser Informationsreihe. Wir können schon aus rechtlichen Gründen nicht sofort nach außen gehen.

LJ: Der klinische Studienleiter, Dieter Hölzer, hat auf dem Deutschen Internistenkongress aber schon darüber berichtet.

Grez: Da waren alle Maßnahmen, die ich erwähnt habe, schon gelaufen.

LJ: Die breitere Öffentlichkeit wurde aber nicht gleichzeitig informiert. War das möglicherweise ein Fehler?

Grez: Nein, das war kein Fehler. Wir müssen zuerst die wissenschaftliche Seite, unsere Mitarbeiter und Kollegen, und die Ärzte und Patienten informieren. Ich glaube, dass es ein Fehlverhalten gewesen wäre, wenn Mediziner und Wissenschaftler über Presseberichte erfahren hätten, dass einer der Patienten gestorben ist. Wir müssen mit soliden Informationen, die wissenschaftliche Kriterien erfüllen, nach außen gehen. Es reicht nicht aus, nur den Tod des Patienten zu erwähnen, sondern wir müssen auch in der Lage sein, die Ursache des Todes zu nennen, und eben diese primären Untersuchungen können relativ lange dauern, in unserem Fall eben die fünfzehn Tage, die wir gewartet haben, bis der Tod des Patienten verkündet werden konnte.

Man darf bei dieser Diskussion auch nicht vergessen, dass wir zwei Jahre gewartet haben, bis wir den Erfolg der Therapie gemeldet haben. Wir hätten ihn genauso gut zwanzig Tage nach Beginn der Therapie melden können. Wir haben das nicht gemacht, weil wir eine lange Beobachtungsphase abwarten wollten, um abgesicherte Daten zu haben. Uns jetzt vorzuwerfen, dass wir fünf oder vierzehn Tage gewartet haben, ist meiner Meinung nach ein Fehlverhalten von der journalistischen Seite, die nicht versteht, dass wir gewisse Maßnahmen treffen müssen, bevor wir die Öffentlichkeit informieren.

LJ: Hat die Berichterstattung dem Ansehen der Gentherapie in der Öffentlichkeit geschadet?

Baum: Das sehe ich nicht so. Die Berichterstattung ist naturgemäß darauf angewiesen, Schlagzeilen zu schaffen. Aber der Grundtenor ist eigentlich nicht negativ. Die Journalistin, die die Geschichte zuerst auf dem deutschen Internistenkongress aufgegriffen hat, hat einen sehr objektiven Bericht geschrieben. Dass hinterher der eine oder andere über Hörensagen zu extremeren Interpretationen kommt, kann man nicht verhindern. Wie Manuel gesagt hat, die Öffentlichkeit muss letztlich auf der Basis von Evidenz und nicht von Vermutungen informiert werden, und Evidenz braucht eben Zeit.

Grez: Es ist auch so, dass wir innerhalb der wissenschaftlichen Gemeinschaft sehr viel Zuspruch bekommen haben, Anfragen, und Aufforderungen, weiter zu machen. Unser Protokoll wird von wissenschaftlicher Seite noch heute als großer Erfolg betrachtet.



Zu den Personen:

Christopher Baum, geboren 1962, ist Präsident der Deutschen Gesellschaft für Gentherapie und Professor für Stammzellbiologie an der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH). Seit 2002 leitet Baum außerdem als Adjunct Associate Professor ein Forschungsteam am Cincinnati Childrens' Hospital in den USA. Sein wissenschaftliches Interesse gilt der Entwicklung sicherer und effizienter Verfahren in der Zell- und Gentherapie in der Hämatologie.

Dorothee Meike von Laer, geboren 1958, leitet seit 2000 die Abteilung für Angewandte Virologie und Gentherapie am Chemotherapeutischen Forschungsinstitut Georg-Speyer-Haus in Frankfurt am Main. Ihre Arbeitsgruppe hat ein therapeutisches Gen entwickelt, dass den Eintritt von HIV in Zielzellen hemmen kann. Seit Oktober 2005 koordiniert von Laer das BMBF-Verbundprojekt "Treat-ID" zur Gentherapie schwerer Immundefekte mit acht Verbundpartnern in Deutschland.

Manuel Grez, Jahrgang 1948, leitet eine Arbeitsgruppe am Chemotherapeutischen Forschungsinstitut Georg-Speyer-Haus in Frankfurt. Seit etwa zehn Jahren arbeitet der gebürtige Chilene an einer Gentherapie der Septischen Granulomatose (CGD). Im April 2006 gelang seinem Team ein viel beachteter Durchbruch (Nat Med 2006 Apr; 12(4): 401).





Letzte Änderungen: 27.07.2006