Editorial

„Wir müssen vorausschauend denken“

(19.05.2020) Erforschung und thera­peutische Anwendung von Hirn-Organoiden werfen auch ethisch-rechtliche Fragen auf. Hans-Georg Dederer versucht Antworten zu finden.
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Hans-Georg Dederer ist Lehrstuhl­inhaber für Staats-, Völker- und Internationales Wirtschafts­recht an der Universität Passau.

Laborjournal: Organoide mit den Kapazitäten echter Säuger­gehirne liegen in weiter Ferne. Kommt Ihr Forschungs­projekt nicht zu früh?
Dederer: Ganz im Gegenteil! Das Recht hinkt dem Erkenntnis­fortschritt in der Biomedizin meist hinterher. Therapie­ansätze auf der Basis induzierter pluripotenter Stammzellen sind bereits in der klinischen Prüfung. Die Themen Gehirn-Organoide und neuro­logisches Enhancement sind schon Gegenstand der öffentlichen Debatte. Medizin-ethische und -rechtliche Fragen dürfen die politischen Entschei­dungsträger aber nicht unvorbereitet treffen, da sonst mögliche abwehrende Über­reaktionen, wie etwa Moratorien, den Forschungs­fortschritt auf Jahre zurückwerfen könnten. Wir müssen also vorausschauend denken.

Wie tun Sie das?
Dederer: Wir möchten beantworten, welcher rechtliche Status Gehirn-Organoiden zukommen sollte, wie Enhancement-Methoden zu bewerten sind und inwieweit das Konzept der Patienten­einwilligung nach erfolgter Aufklärung, auch zu unbekannten Forschungs­zwecken, anpassungs­bedürftig ist. Zudem wollen wir Eigentums- und Persönlich­keitsrechte an biopsierten Zellen, induzierten pluripotenten Stammzellen und Gehirn-Organoiden klären, ebenso wie patent­rechtliche Frage­stellungen.

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Welchen Rechtsrahmen sehen Sie für Gehirn-Organoide voraus?
Dederer: Das hängt von ihren therapeu­tischen Möglich­keiten ab, die wiederum auf den Erkennt­nissen aus der Forschung mit Gehirn-Organoiden beruhen. Um all dies Medizin-rechtlich einzuschätzen, betrachten wir synchron eine Reihe von Regelwerken der Biomedizin wie zum Beispiel das Gentechnik-, das Arzneimittel- und das Transplan­tationsgesetz bis hin zu EU-Verordnungen über klinische Prüfungen und Arzneimittel für neuartige Therapien. Außerdem spielen Wertungen des Grundgesetzes eine Rolle, unter anderem die Rechte auf informa­tionelle Selbst­bestimmung, Patienten­autonomie und Forschungs­freiheit. Ebenso müssen wir die Schutz- und Förderpflicht des Staates bedenken, mit Blick auf Patienten schwerer neuro­degenerativer Krankheiten tätig zu werden. Zusätzlich ist das Daten­schutzrecht bedeutsam, da Analysen von Genom, Transkriptom oder Proteom sowie von Stammzellen und Organoiden Rückschlüsse auf persönlich­keitsrelevante Merkmale zulassen könnten. Unsere Analyse dieses Regelungs­geflechts wird ergeben, ob der geltende Rechts­rahmen an die Besonder­heiten von Gehirn-Organoiden samt ihren therapeu­tischen und Enhancement-Möglich­keiten adaptiert werden muss.

Müssten Sie unser veraltetes Gentechnik­gesetz dann nicht erstmal überarbeiten?
Dederer: Einem etwaigen Änderungs­bedarf des Gentechnik­rechts, insoweit es die Erzeugung, die Erforschung und den Einsatz genom­editierter Gehirnzellen und -organoide betrifft, geht unser Projekt gerade nach.

Wie unterscheiden Sie rechtlich zwischen therapeu­tischen und medizinisch nicht-indizierten „Verbesserungs“-Maßnahmen?
Dederer: Ein wesentlicher Aspekt unseres Projekts ist die Erarbeitung eines Kriterien­katalogs, um ausgehend vom Normal­zustand die Aspekte Prävention, Therapie und Enhancement voneinander abzugrenzen. Die Schwierigkeit ist dabei die Frage, was rechtlich gesehen der Normal­zustand ist. Für die Folgefrage, wie Enhancement reguliert werden sollte, gilt zunächst, dass Freiheits­eingriffe im Rahmen des Freiheits­prinzips gerecht­fertigt sein müssen. Dazu müssen wir die persönliche Freiheit wiederum mit Fragen der sozialen Gerechtigkeit und im Lichte verfassungs­rechtlicher Grund­vorstellungen vom Menschen abwägen. Eine Rolle spielt dabei auch, inwieweit der Staat den Einzelnen vor gesund­heitlicher oder persönlich­keitsrelevanter Selbst­gefährdung schützen darf.

Prävention bis Enhancement werden neben Gehirn-Organoiden auch mit entnommenem Hirngewebe und mit chimären Tiermodellen erforscht. Wie grenzen Sie diese drei Entitäten ethisch-rechtlich voneinander ab?
Dederer: Ihre Abgrenzung ergibt sich aus ihren jeweiligen Funktio­nalitäten und Anwendungs­bereichen. Je nach Entität sind unter­schiedliche Regulierungen nötig. Für Gehirn-Organoide und Ex-vivo-Hirngewebe stellen sich etwa Fragen zum Schutz persönlicher Daten, zu ihren jeweiligen Eigentümern, zur Regu­lierung von Therapien und zur Zustimmung zu thera­peutischen oder verbessernden Zwecken. Lässt sich eine grundrechtliche Schutz­würdigkeit von Organoiden begründen, wollen wir einen entsprechenden Kriterien­katalog erarbeiten. Auch der Aspekt einer Chimären­bildung bei Verwendung menschlicher Organoide in Tieren ist noch nicht rechtlich bewertet. Der entsprechende Paragraph 7 des Embryonen­schutz­gesetzes greift ja nicht, da Organoide nicht aus menschlichen Embryonen hergestellt werden. Bei der Trans­plantation humaner Organoide in Tiermodelle steht vor allem das Problem einer „Vermenschlichung“ im Raum.

Falls Gehirn-Organoide zu bewusstem Erleben oder Erinnerung fähig würden, welcher Schutz müsste ihnen im Vergleich zu menschlichen Probanden oder Tierversuchen zuerkannt werden?
Dederer: Klar ist zu diesem Zeitpunkt nur, dass Gehirn-Organoide nicht als Menschen einzustufen sind. Die im Grundgesetz verankerte Menschen­würde-Garantie wie auch das Recht auf Leben und körperliche Unver­sehrtheit stehen ihnen deshalb nicht unmittelbar zu. Auch ein Schutz im Sinne einer Vorwirkung oder Rück­erstreckung, wie er etwa Embryonen zugutekommt, ist für Gehirn-Organoide nicht denkbar. Denn sie sind intrinsisch nicht befähigt, sich zu einem geborenen individuellen Menschen zu entwickeln. Ihr etwaiger Schutzstatus müsste sich folglich konzeptionell und argumentativ anders begründen.

Wie adaptieren Sie Ihre Richtlinien an zukünftige, noch unbekannte Forschungs­resultate?
Dederer: Sollten wir mit Blick auf das spezifische Wesen von Gehirn-Organoiden auf Regelungs­lücken oder Unzuläng­lichkeiten stoßen, werden wir Anpassungs­vorschläge erarbeiten. Eine Anpassung der bestehenden gesetzlichen Regulierung ist dem Gesetzgeber vorbehalten. Dafür kann er unsere Vorschläge aufgreifen. Auch danach unterliegt der Gesetzgeber einer Pflicht zur Beobachtung und gegebenen­falls zur Nach­besserung seiner gesetzlichen Regelungen, soweit es um den Schutz grundrechtlich geschützter Positionen geht. Neue Forschungs­erkenntnisse können dann Anlass erneuter Nach­justierungen des Rechtsrahmens sein.

Das Gespräch führte Henrik Müller

Bild: Pixabay/Clker-Free-Vector-Images (bearbeitet)

Dieser Artikel erschien zuerst in Laborjournal Heft 5-2020. In dieser Ausgabe erfahren Sie noch viel mehr zu Organoiden: wie weit ist die Organoid-Forschung, was sind die größten Stolpersteine und wer kann Sie mit Materialien für Ihre 3D-Zellkultur versorgen.







Letzte Änderungen: 19.05.2020