Editorial

Schweizer Schoggi gegen Corona

(16.04.2020) Das Züricher Biotech-Unternehmen Memo Therapeutics ruft zur Blutspende auf, um Antikörper gegen SARS-CoV-2 an den Start zu bringen.
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Christoph Esslinger, technischer Biologe und wissenschaftlicher Leiter des ETH-Sprösslings, erklärt, was B-Zellen COVID-19-Genesener damit zu tun haben.

Herr Esslinger, Sie rufen mit der Hack-Corona-Initiative zur Blutspende auf. Für „50 CHF + Schweizer Schoggi“ sollen Ihnen COVID-19-Genesene 30 ml Blut überlassen, damit Sie daraus B-Zellen isolieren können. Wie viele Menschen haben sich bisher gemeldet?
Christoph Esslinger: Über 100 schon. Letzte Woche kamen die ersten Probanden, um Blut zu spenden. Das heißt, wir machen bereits die ersten Antikörper-Bibliotheken aus rekonvaleszenten COVID-19-Patienten.

Was passiert mit den B-Zellen?
Esslinger: Wir entnehmen dem Blut so viele Memory-B-Zellen wie möglich, in der Regel so zwischen 100.000 und 300.000. Die B-Gedächtniszellen enthalten die relevanten Informationen zur Bildung von Antikörpern gegen zum Beispiel SARS-CoV-2, wenn der Körper eine Infektion mit diesem Virus durchlebt hat. Von jeder dieser B-Zellen ernten wir in einem mikrofluidischen Einzelzell-Verfahren die mRNA und immobilisieren sie auf einem Bead. Die mRNA wird, wiederum in einem einzelnen Tröpfchen, mittels RT-PCR in DNA umgeschrieben, welche via Plasmid in ein Lentivirus eingeschleust wird. Diese Lentiviren nutzen wir, um HEK-Zellen zu transfizieren. Die HEK-Zellen tragen dann die Antikörper-Information der B-Zellen, wir klonieren die Informationen quasi eins zu eins in eine stabile Zelllinie um.

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Warum ist das so wichtig?
Esslinger: Der größte Vorteil ist sicherlich, dass wir die Antikörper rekombinant in den HEK-Zellen vorliegen haben. So können wir die Antikörper verändern, sie etwa membranständig exprimieren. Das erleichtert es, für uns interessante Antikörper herauszufischen. Finden wir beim ersten Fischzug keinen passenden Antikörper, verändern wir ein paar Bedingungen und versuchen das Ganze noch einmal. Denn wir können die Zellen ja beliebig vermehren. Mit wertvollen Patienten-B-Zellen geht das nicht, die sind endlich und sehr empfindlich. Wir kopieren die B-Zellen und haben dann alle Zeit der Welt, sie zu charakterisieren. Mit unserer Technologie erreichen wir zudem Umklonierungs­quoten von 80 Prozent. Die klassische Hybridoma-Technologie schafft es, etwa 0,1 Prozent der Zellen zu erfassen.

Woraus resultiert dieser extreme Unterschied zwischen Hybridoma-basierten Ansätzen und Ihrem?
Esslinger: Um Hybridom-Zellen zu erhalten, muss man Zellen fusionieren. Das geht aber nur mit lebensfähigen Zellen. B-Zellen sterben außerhalb des menschlichen Körpers relativ schnell. Das Blut wird in der Klinik abgenommen. Wenn es bei uns ankommt, sind die Zellen schon nicht mehr so richtig fit. Wir haben für ein anderes Projekt mal Zellen bekommen, die wurden 2010 eingefroren und zwischendurch ein paar mal transportiert. Mit solchen halbtoten Zellen können Sie keine Hybridom-Zellen herstellen. Unser Einzelzell-Verfahren ist effizienter, denn wir nutzen nur die RNA der B-Zellen. Aus jeder ursprünglichen B-Zelle machen wir auf diese Weise auch gleich bis zu fünf Kopien und erhöhen damit die Redundanz. Beim Selektieren suchen wir dann nicht einen positiven Klon aus 100.000, sondern zehn aus einer Million. Das klappt meistens besser.

Sie durchsuchen also die Patienten-spezifischen Antikörper-Bibliotheken nach vielversprechenden Kandidaten?
Esslinger: Genau, in den Bibliotheken der stabilen HEK-Zelllinien können wir wieder im Einzelzell-Verfahren Klone identifizieren, die uns interessieren.

Wie hilft dieser Ansatz nun bei der aktuellen Corona-Pandemie?
Esslinger: Wir hoffen, dass wir schnell therapeutisch interessante Kandidaten präsentieren können. Wahrscheinlich werden wir innerhalb der nächsten sechs Wochen erste Antikörper haben, und diese direkt in rekombinanter Form in einer klonalen Zelllinie. Damit stehen also zügig Antikörper für weitere Experimente zur Verfügung. Ein großer Vorteil ist zudem, dass wir ja automatisch die gesamten Patienten­bibliotheken konserviert haben. Gerade steht das Spike-Protein von SARS-CoV-2 im Fokus, aber vielleicht findet sich ja bald ein weiterer Angriffspunkt für Antikörper. Während andere Methoden dann wieder von vorne mit der Suche beginnen müssen, können wir direkt auf unsere Bibliotheken zurückgreifen.

Wie hat sich Ihr Arbeitsleben in den vergangenen zwei Monaten verändert?
Esslinger: In der Firma hat sich im Prinzip nichts verändert. Aber natürlich ist das Interesse an unseren Projekten gestiegen, was wir durchaus begrüßen. Gerade starten wir die GMP-konforme Produktion von Antikörpern gegen das BK-Virus [BK-Polyomavirus, das nach Nieren­transplan­tationen zu schwer­wiegenden Komplikationen führen kann; Anm. d. Red.] für die klinischen Phasen. All diese Erfahrungen können wir wie eine Blaupause auch für das COVID-19-Projekt nutzen.

Auch in Corona-Zeiten möchte ich an der Tradition festhalten und frage deshalb auch Sie: Warum heißt Ihre Firma Memo Therapeutics?
Esslinger: Wir hatten die Firma am Anfang Y Biotech genannt, Y wegen Antikörper, und unsere Technologie hieß mit Bezug auf Memory-B-Zellen MemoMAB. Dann kam auf einmal heraus, dass es eine Firma in Italien gibt, die Y Bio heißt. Noch im Zuge der Firmen­gründung mussten wir also schnell einen anderen Namen finden und haben uns auf Memo Therapeutics geeinigt. MemoMAB dürfen wir wegen Markenrechte Dritter inzwischen auch nicht mehr verwenden. Aber Memo Therapeutics AG bleibt als Firmenname bestehen.

Die Fragen stellte Sigrid März

Steckbrief Memo Therapeutics
Gründung: 2012
Sitz: Schlieren/Zürich (Schweiz)
Mitarbeiter: 10
Produkt: Therapeutische Antikörper aus Ex-Patienten-B-Zellen

Foto: Pixabay/suju




Letzte Änderungen: 16.04.2020