Editorial

Infizierte Insekten

(24.02.2020) Fast 500 verschiedene, zum Teil unbekannte Viren haben Berliner Forscher in Hexapoda aufgespürt. Interessant für Diagnostik und die Nahrungs­mittelindustrie.
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Viren sind eine ständige Bedrohung – für Pflanzen, Tiere und nicht zuletzt den Menschen (wie wir ganz aktuell beobachten). Viele von ihnen werden von Insekten übertragen. Diese sogenannten Arboviren untersucht Christian Drosten vom Deutschen Zentrum für Infektionsforschung der Charité Berlin.

Während über die humanpathogenen Viren bereits recht viel bekannt ist, ist die virale Vielfalt in Insekten insgesamt noch wenig erschlossen. Bisherige Studien beschränkten sich vor allem auf blutsaugende Insekten, die durch ihre Lebensweise für eine Übertragung von Krankheitserregern prädestiniert sind. Bedenkt man aber, dass die Insekten die vermutlich artenreichste Tiergruppe auf der Welt sind, ist zu vermuten, dass in ihnen noch manch ein Virus seiner Entdeckung harrt, darunter bestimmt das ein oder andere mit dem Potenzial, auch beim Menschen Krankheiten auszulösen – etwa wenn Klimaveränderungen das Zusammenspiel von Wirt, Überträger und Pathogen verändert. Grund genug für Drosten und sein internationales Forscherteam die Gesamtheit der Insektenviren (genauer: der Einzelstrang-RNA-Viren) einmal genau unter die Lupe zu nehmen.

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Datenbank-Recycling

Zum Einsatz kam dafür eine Transkriptom-Datenbank aus insgesamt 1.243 verschiedenen Arten, die zuvor der Erstellung von Stammbäumen gedient hatte und dementsprechend Daten aus allen 34 noch existierenden Ordnungen der Hexapoda umfasst. Neben den Insekten gehören dazu die Doppelschwänze (Diplura), Beintastler (Protura) und Springschwänze (Collembola). Damit handelt es sich laut Drosten um „die wohl bisher größte Einzelstudie in der Entdeckung neuer Viren“. Als Marker diente die Sequenz der RNA-abhängigen RNA-Polymerase RdRp, einem Enzym, das den RNA-Einzelstrang der Viren zu einem Doppelstrang ergänzt und dadurch die Vermehrung des Erbguts ermöglicht. Mit Ausnahme der Deltaviren kommt es deshalb bei allen Einzelstrang-RNA-Viren vor. Pro- und Eukaryoten, die ein DNA-Doppelstrang-Erbgut besitzen, haben das Enzym dagegen nicht.

Mit Hilfe dieses Markers wurden insgesamt 488 viralen Sequenzen in 324 Arthropoden-Arten aufgespürt. Viele von ihnen hatten große Ähnlichkeit zu Sequenzen aus Bunyaviren sowie den Articulavirales und Haploviricotina. Bunyaviren vermehren sich häufig in Blutsaugern wie Stechmücken, Zecken und Sandmücken der Gattung Phlebotomus. Durch Stiche können sie auf Wirbeltierwirte übertragen werden. Ein Beispiel ist etwa der Erreger des Rifttalfiebers, der bei Wiederkäuern ein hämorrhagisches Fieber verursacht. Als klassische Zoonose kann das Virus auch auf den Menschen überspringen und eine potenziell tödliche Infektion hervorrufen. Ein Vertreter der Articulavirales infiziert dagegen Buntbarsche – als Tilapia bekannte, beliebte Speisefische, die im großen Umfang in Kultur gehalten werden und dadurch anfällig für Infektionen sind, die großen wirtschaftlichen Schaden verursachen.

Familien neu definiert

Die neu entdeckten Viren weisen eine große Vielfalt auf. So deutet die taxonomische Untersuchung darauf hin, dass vermutlich 20 neue Gattungen in sieben Virusfamilien definiert werden müssen. Diese Zahlen sind vorerst Schätzwerte, denn in lediglich 61 Fällen konnte bisher das (zumindest beinahe) vollständige Genom sequenziert werden. Vor allem bei sogenannten segmentierten Viren, deren genetische Information auf mehrere RNA-Fragmente aufgeteilt vorliegt, ist eine vollständige Sequenzierung die Ausnahme. Zudem lässt sich schwer sagen, ob sich die aufgespürten Viren überhaupt noch aktiv replizieren.

Die Forscher um Drosten hoffen nun, dass ihnen die Daten helfen, Infektionen bei Patienten mit unklaren Symptomen besser zu diagnostizieren – denn nur nach dem, was man kennt, kann man gezielt suchen. Außerdem wollen sie mehr über die Evolution von Insektenviren und das Wechselspiel zwischen Virus und Wirt herausfinden. Aber auch die Industrie hat Drosten zufolge Interesse an den Daten: „Abgesehen von Krankheits-bezogenen Studien und Untersuchungen zur Erreger-Ökologie interessieren sich Industriezweige für die Daten, die mit Insekten arbeiten. Das schließt auch die Nutzung von Insekten als Proteinquelle für die menschliche Ernährung ein.“

Larissa Tetsch

Käfer S. et al. (2019): Re-assessing the diversity of negative strand RNA viruses in insects. PLoS Pathogens, 15: e1008224

Foto: Pixabay/ekamelev





Letzte Änderungen: 24.02.2020