Editorial

Zwei Wege führen zum Ziel

(05.12.2019) Gegen die ß-Thalassämie kommt man mit lentiviralen Vektoren oder der Genschere CRISPR-Cas9 an. Das hoffen zumindest Bluebird Bio und CRISPR Therapeutics.
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Seit der Behandlung vor neun Monaten benötigt die ß-Thalas­sämie-Patientin keine Transfu­sionen mehr, heißt es in der offiziellen Presse­mitteilung der Firma CRISPR Therapeutics, mitge­gründet von CRISPR-Pionierin Emmanuelle Charpentier. Außerdem hat eine Sichelzell­anämie-Patientin seit ihrer Behand­lung vor vier Monaten keine Gefäß­verschlüsse mehr. „Die Beobach­tungszeiten sind sehr kurz und die Patien­tenzahl sehr klein“, kommentiert Andreas Kulozik, Professor für Pädiatrische Onkologie, Häma­tologie und Immuno­logie an der Universität Heidelberg. „Wir sind gespannt darauf, wie sich diese grund­sätzlich ermuti­genden Ergeb­nisse bei einer größeren Zahl von Patienten nach einer längeren Nach­beobach­tung bestätigen lassen“, erklärte der Forscher, der nicht an der Phase-1/2-Studie beteiligt ist.

Sowohl die ß-Thalassämie als auch die Sichelzell­krankheit beruhen auf mutations­bedingten Störungen der ß-Globin-Bildung. Bei der CRISPR-Cas9-basierten Therapie erhalten die Patienten ein Stamm­zell­präparat namens CTX001. Dies sind ihre eigenen, biotechno­logisch veränderten blut­bildenden Stamm­zellen, in denen die fötale Hämoglobin-Synthese mithilfe von CRISPR-Cas9 induziert wurde. Dies erfolgte durch Editieren eines Enhancers des BCL11A-Gens, das für einen Repressor der fötalen Hämoglobin-Synthese codiert. Die mangelnde oder fehler­hafte Bildung von ß-Globinketten kann so in den aus diesen Zellen gebildeten roten Blutzellen ausge­glichen werden.

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Kein Zusammenhang

In den beiden laufenden klinischen Studien der im schweize­rischen Zug ansässigen CRISPR Therapeutics AG und der in Boston, Massachusetts, behei­mateten Vertex Pharmaceuticals werden Patienten im Alter von 18 bis 35 Jahren einge­schlossen. Bisher beobachtete schwere unerwünschte Ereig­nisse sollen nicht in Zusammen­hang mit der CRISPR-Cas9-Behand­lung stehen, sondern werden als Folge der Inakti­vierung des Knochen­marks mithilfe des DNA-alkylie­renden, muta­genen Zytosta­tikums Busulfan und der Stammzell-Transplan­tation eingestuft. Es ist geplant, etwa 45 Patienten pro Studie in den USA, Kanada und Europa einzu­schließen und sie über zwei Jahre zu beobachten.

Die in Cambridge, Massachusetts, angesiedelte Firma Bluebird Bio geht einen anderen Weg zur Behand­lung der ß-Thalassämie. Sie bringt über einen lentiviralen Vektor in Patienten-eigene blut­bildende Stamm­zellen ein funktions­fähiges, gentechnisch verän­dertes ß-Globin-Gen ein. Der virale Vektor kann nicht replizieren und zerstört sich selbst. Das Zynteglo genannte Stammzell­produkt ist in der EU, Norwegen, Liechtenstein und Island bereits zugelassen, und zwar für Patienten ab 12 Jahren, für die es keinen geeig­neten Stamm­zell­spender gibt und die noch eine restliche ß-Globin-Synthese aufweisen. Die bedingte Zulassung stützt sich auf Daten aus zwei abge­schlossenen Phase-1/2-Studien und zwei laufenden Phase-3-Studien.

Jahrelanges beobachten

„Die abschließenden Ergebnisse sind in etwa zwei Jahren zu erwarten. Es ist zudem eine anschlie­ßende Langzeit-Beo­bachtung über 13 Jahre geplant. Aktuell läuft eine weitere Studie mit Patienten mit ß0-Thalas­sämie, die kein eigenes ß-Globin synthetisieren können. An dieser Studie nehmen wir ebenfalls teil“, berichtet Andreas Kulozik.

Manche Patienten nehmen die harsche Stammzell-Therapie gerne in Kauf, da ihnen die ständigen Transfu­sionen erspart bleiben. „Ein weiterer Vorteil einer solchen autologen Stammzell-Therapie ist, dass man immer verfügbare Stamm­zellen hat und es keine Graft-versus-host-Disease gibt“, so der Hämatologe. Zudem ist keine Immun­suppression nötig. „Andere Patienten kommen mit der konven­tionellen Behand­lung gut zurecht. Durch die Eisen­überladung infolge der Transfu­sionen kann es allerdings zu Multiorgan-Schäden insbesondere an Herz und Leber sowie zu verschie­denen endo­krinen Mangel­funktionen wie zum Diabetes mellitus und zur Infertilität kommen“, erklärte er.

Hohe Kosten bei wenigen Patienten

Auf die Frage, wie er die CRISPR-Cas9-basierte Therapie der ß-Thalas­sämie im Vergleich zur Behandlung mit Zynteglo einschätzt, sagte Kulozik: „Durch Inakti­vierung des BCL11A-Gens durch CRISPR-Cas9 wird die fötale Globin-Genex­pression re-induziert, wohingegen Zynteglo das fehlende adulte Globin ersetzt. Es ist eine aktuell noch offene Frage, ob sich dieser Unter­schied auf den klinischen Verlauf auswirkt, da das fötale Hämoglobin eine höhere Sauerstoff-Affinität hat als das adulte und daher den Sauerstoff in peripheren Geweben grund­sätzlich schwerer abgeben kann. Anderer­seits wird CRISPR-Cas9 über die physika­lische Elektro­poration und nicht durch einen viralen Vektor in die Zellen gebracht, was möglicher­weise eine bessere biolo­gische Sicher­heit mit sich bringen könnte. Die klinischen Studien und die Langzeit-Beobach­tung der Patienten werden zu diesen Fragen weitere Erkennt­nisse liefern.“

Die Konkurrenz der Firmen und Ansätze sieht er positiv, da bei mehreren verfüg­baren Therapien die Preise für die Behand­lung sinken werden. Allein eine Stammzell-Transplan­tation kostet ca. 200.000 Euro pro Patient. Die konser­vative Therapie mit Bluttrans­fusionen und täglicher Behand­lung mit teuren Eisenchelat­bildnern ist wegen der notwen­digen lebens­langen Gabe und der Therapie von häufig entste­henden Begleit­erkran­kungen langfristig noch kost­spieliger. Die Kosten für eine Zynteglo-Behand­lung werden pro Patient voraus­sichtlich über einer Million Euro liegen. „In Deutschland kommen in der aktuellen Zulassung etwa 100 Patienten für eine solche Behand­lung in Frage. Daher werden die Kosten für unser Gesund­heits­system über­schaubar bleiben.“

Bettina Dupont







Letzte Änderungen: 05.12.2019