Editorial

Wie lange ist unendlich?

(01.01.2019) HIGHLIGHTS AUS 25 JAHREN LABOR­JOURNAL: Ein Neurobiologe wartete trotz unzähliger E-Mails acht Monate auf die Nachricht, dass sein Manuskript abgelehnt wurde.
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Den Neurobiologen Gunnar Dietz interessiert, was Nervenzellen absterben lässt und wie man das verhindern kann. Nach Stationen in Tübingen und Göttingen forscht er heute in Kopenhagen. Es geht Dietz darum, Behandlungsmethoden für Schlaganfall oder für neurodegenerative Erkrankungen wie Morbus Parkinson zu finden. Er beschäftigt sich auch mit dem Überleben von Retinaneuronen nach Durchtrennung des optischen Nervs und mit dem Toxin- und Sepsis-induzierten Zelltod von Nervenzellen.

Seit 2001 hat er zu diesen Themen 26 Artikel veröffentlicht, unter anderem in Brain Research, Annals of Neurology, Stroke, Journal of Neurochemistry, Molecular and Cellular Neuroscience und Neuroscience Letters. Dietz ist also ein erfahrener Publizierer, der weiß, welcher Artikel zu welchem Journal passt.

Florian Nagel, ein Doktorand von Dietz, hatte gefunden, dass dopaminerge Neurone in der Mäuse-Retina resistent sind gegen bestimmte Toxine, während die gleichen Gifte dopaminerge Neurone in der Substantia nigra töten. Das ist interessant, denn bei der Parkinson-Krankheit sterben dopaminerge Neurone der Substantia nigra, und bislang ist nicht bekannt, was gerade diese Neurone so empfindlich macht. 

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Seltsame Ähnlichkeit

Zugegeben, es handelt sich um ein „negatives“ Ergebnis. Doch auch negative Ergebnisse beschreiben die Wirklichkeit; und zudem können sie den Kollegen Zeit und Arbeit sparen. Und noch etwas haben negative mit positiven Ergebnissen gemein: Sie veralten und werden entwertet, wenn die Konkurrenz sie schneller publiziert.

Priorität ist das A und O in der Forschung: Der Erste sahnt den Ruhm ab, der Zweite bestätigt den Ruhm des Ersten. „Am besten wir schicken das an Neuroscience Letters“, dachten sich Dietz und Nagel, denn Neuroscience Letters preist sich auf seiner Netzseite als „devoted to the rapid publication of short, high-quality papers of interest to the broad community of neuroscientists“. Außerdem hatte Dietz zuvor gute Erfahrungen mit der Zeitschrift gemacht. Er ging davon aus, dass dort rasch entschieden würde, ob man an seinem Manuskript interessiert sei oder nicht.

Dietz legte auch deswegen Wert auf eine schnelle Entscheidung, weil er schon einmal „gescoopt“ worden war. Auf einer Tagung im Oktober 2000 hatte er als Erster mitgeteilt, dass in einem In-vivo-Modell systemisch applizierte Tat-Fusionsproteine vor einem Schlaganfall schützen können. Bei der Tat-vermittelten Proteintransduktion werden Proteine mithilfe der basischen Domäne des HIV-Tat-Proteins durch Zellmembranen und sogar die Blut-Hirn-Schranke geschleust. Dietz hatte die Arbeit zuerst Ende März 2001 bei Nature Medicine und dann beim Journal of Neuroscience eingereicht.

Bei Nature Medicine kam die Absage bereits vier Wochen später. Beim Journal of Neuroscience jedoch dauerte es länger. Dietz, der mehrmals nachfragte, erfuhr, dass einer der Reviewer sein Gutachten nicht abliefere, so dass man nach einem neuen suchen müsse. Nach zweieinhalb Monaten kam die Absage.

Daraufhin machte Dietz aus den Daten zwei Manuskripte, was sich wegen eines Laborumzugs eine Weile hinzog. Ein Jahr, nachdem Dietz sein Manuskript an das Journal of Neuroscience geschickt hatte, konnte er die überarbeiteten Manuskripte bei Annals of Neurology und Molecular and Cellular Neuroscience wieder einreichen. Sowohl Annals of Neurology als auch Molecular and Cellular Neuroscience akzeptierten die Manuskripte (Kilic et al. 2002, Ann. Neurol. 52: 617-22 sowie Dietz et al. 2002, Mol. Cell. Neurosci. 21: 29-37).

Jedoch: Wenige Monate vor der Veröffentlichung von Dietz’ Arbeiten waren ähnliche Ergebnisse im Journal of Neuroscience erschienen (Cao et al. 2002, J. Neurosci. 22: 5423-31). Die Ähnlichkeit der Arbeiten ergibt sich schon aus den Titeln: „Intravenous TAT-Bcl-XL is protective after middle cerebral artery occlusion in mice“ (Kilic et al.) beziehungsweise „In Vivo Delivery of a Bcl-xL Fusion Protein Containing the TAT Protein Transduction Domain Protects against Ischemic Brain Injury and Neuronal Apoptosis“ (Cao et al.).

Dietz fand das seltsam. Er schrieb an den Seniorautor des Artikels von Cao et al., Jun Chen von der University of Pittsburgh, und stellte ihm in freundlichem Ton einige technische Fragen zu Details der Methoden. Jun Chen antwortete nicht. Er ist, zumindest heute, Associate Editor des Journal of Neuroscience. Der Artikel von Cao wurde inzwischen 182-mal zitiert, Dietz’ Artikel in Annals of Neurology nur 84-mal.

Das Große Warten

Mit den Parkinson-Daten des Doktoranden Florian Nagel sollte das nicht passieren: „Besser Erster in einer Zeitschrift mit niedrigem Impact-Faktor als Zweiter in einer höherrangigen“, dachte sich Dietz. Außerdem erschwert eine schnelle Veröffentlichung das Nachmachen der Ergebnisse durch Gutachter.

Also schickten Nagel und Dietz ihr Manuskript am 11. März 2008 mit dem üblichen Begleitbrief an Stephen Waxman, den Chefredakteur der Zeitschrift Neuroscience Letters (mit dem niedrigen Impact-Faktor 2). Eine Liste von acht möglichen Reviewern lieferten sie mit. Einen Tag später kamen per E-Mail die Manuskriptnummer und die Bestätigung, dass das Manuskript eingegangen sei.

Dann geschah erst einmal nichts. Am 1. Mai erlaubte sich Dietz anzufragen, ob es schon Rückmeldung von den Reviewern gäbe. Die Redaktion antwortete am gleichen Tag, dass es Schwierigkeiten gäbe, Reviewer zu finden. Aber man würde sich Mühe geben, die Sache zu beschleunigen. „Please rest assured that we will contact you as soon as a decision is made”, hieß es noch.

Danach geschah wieder nichts.

Am 11. Juli, also vier Monate nach Einreichen, schrieb Dietz erneut an Neuroscience Letters. Umgehend kam die Antwort, dass man Schwierigkeiten habe, geeignete Reviewer zu finden, und dass man dankbar sei für sechs bis zehn Namensvorschläge. Dietz schickte eine Liste von weiteren acht Reviewern.

Danach geschah nichts.

Am 15. August fragte Dietz wieder bei Neuroscience Letters an, wie es mit dem Manuskript ausschaue. Wieder hieß es, man habe Schwierigkeiten, geeignete Reviewer zu finden. Was Dietz’ eingereichte Liste von Reviewern betreffe, so obliege es dem Chefredakteur, ob er sie benutze oder nicht. Im Übrigen sei dieser in Urlaub.

Als Dietz am 6. Oktober immer noch nichts von dem Manuskript gehört hatte, wandte er sich an den Verlag Elsevier, dem die Zeitschrift Neuroscience Letters gehört.

Am 31. Oktober, mehr als sieben Monate nach Einreichung, erhielt Dietz von Neuroscience Letters die Nachricht, dass man immer noch keinen Reviewer gefunden habe. Dietz könne sein Manuskript zurückziehen und anderswo einreichen, oder man könne sich weiterhin um Reviewer bemühen. Dietz, der den Eindruck hatte, es bewege sich etwas in der Sache, optierte für die zweite Möglichkeit.

Und in der Tat, in der Sache bewegte sich etwas. Am 2. Dezember 2008 erhielt Dietz folgende Nachricht:

„Thank you for submitting your manuscript to Neuroscience Letters. Your paper, ‚Dopaminergic amacrine interneurons in the mouse retina are resistant against the application of various Parkinsonian toxins’, has been reviewed by members of the Editorial Board. On the basis of this review, the Editors feel that Neuroscience Letters is not the appropriate venue for your manuscript, and we are returning your manuscript to you so that you can submit it to another journal without delay.

While you may be disappointed by this decision, we hope that you will continue to consider Neuroscience Letters for publication of future manuscripts.“

Nach endloser Wartezeit, nach unzähligen E-Mails von Dietz (oben wurden nur einige aufgezählt) hatte sich Neuroscience Letters also dazu durchgerungen, das Manuskript abzulehnen. Die Ablehnung als solche fand Dietz nicht tragisch. Was ihn ärgerte, war das lange Hinhalten. Und was ihn auf die Palme brachte, ja was er als Hohn empfand, war der Halbsatz: „… so that you can submit it to another journal without delay“.

Er beschwerte sich bei Elsevier und forderte, dass der Verlag die Sache untersuche. Man teilte ihm mit, dass man Neuroscience Letters kontaktiert habe und der zuständige Redakteur sich melden würde.

Stinksauer

Dieser tat das am 12. Dezember und schrieb, dass drei Gutachten eingeholt worden seien. Er habe die Gutachten anonymisiert angehängt. Des Weiteren entschuldigte sich der Redakteur für das missverständliche Schreiben.

Einige Tage später wurde Dietz von einer Dame von Elsevier telefonisch versichert, dass Waxman für sein Verhalten gerügt werde. Herr Waxman ist inzwischen nicht mehr Chefredakteur von Neuroscience Letters. Ob wegen der Affäre Dietz, war nicht zu eruieren.

Dietz fand zwei der Gutachten hilfreich, das dritte bestand im Wesentlichen in der Aufforderung, den Gutachter zu zitieren. Das umgearbeitete Manuskript hat er inzwischen bei Brain Research Bulletin eingereicht und innerhalb von vier Wochen faire Kommentare erhalten. Das Manuskript ist inzwischen in einer überarbeiteten Form angenommen worden.

Unser Neurobiologe ist dennoch stinksauer auf Neuroscience Letters.

Wie kann man als Autor solche Abenteuer vermeiden? Vielleicht hätte Dietz weniger Geduld an den Tag legen sollen. Es gibt auf seinem Gebiet mehrere Zeitschriften mit ähnlichem Impact-Faktor. Informieren Sie sich also über die Publikationsmöglichkeiten und setzen Sie sich eine Geduldsgrenze. Wird diese Grenze überschritten, teilen Sie der Zeitschrift umgehend mit, Sie würden Ihr Manuskript stornieren.

Eine andere Möglichkeit ist, bei mehreren in Frage kommenden Zeitschriften erst einmal ein Abstract einzureichen und nachzufragen, ob überhaupt Interesse an der Arbeit besteht. Im vorliegenden Fall hätte Dietz eine Voranfrage an NeuroReport, Neuroscience Research, Journal of the Neurological Sciences, Cellular and Molecular Neurobiology oder Experimental Brain Research richten können. Alle behandeln ähnliche Themen und haben einen ähnlichen Impact-Faktor.

Lassen Sie sich jedenfalls nicht nach über sieben Monaten des Wartens dazu breitschlagen, noch länger zu warten. Das ist nicht nur jenseits der Gedulds-, sondern auch jenseits der Schmerzgrenze. Bei NeuroReport hätte Dietz in dieser Zeit acht Manuskripte veröffentlichen können!

Generell: Man sollte ein Manuskript nicht gerade zur Ferien- oder Kongresszeit einreichen. Auch fachlich fundierte Eigenwerbung im Brief an den Editor kann nie schaden.

Schließlich sollte man es vermeiden, die Reviewer zu verärgern. Kennen Sie nicht auch dieses gefühlsmäßige Schwanken zwischen Frustration und Empörung nach dem Lesen einer Veröffentlichung, in der nichts Neues steht oder in der die Daten nichts taugen? Genauso ärgern sich Reviewer, wenn vorläufige Manuskriptversionen eingereicht wurden und offensichtliche Experimente fehlen. Es kann dann zu mehreren Verbesserungsrunden kommen. Ist das eingereichte Manuskript von geringer Qualität, landet es zum Peer Review auch schnell beim Postdoc oder beim fortgeschrittenen Doktoranden. Salben Sie also die Ecken und Kanten Ihrer Arbeit mit Hirnschmalz, bevor Sie sie einreichen!

Den Dietzschen Wartemarathon erklärt das nicht: Bei Dietz fehlten keine offensichtlichen Experimente, auch hat er dem Chefredakteur im Begleitbrief die Bedeutung der Arbeit erklärt. Zudem kann ein Reviewer nicht verärgert sein über ein Manuskript, das er gar nicht kennt: Dietz’ Manuskript wurde erst nach über sieben Monaten einem Fachkollegen vorgelegt. Wollte Neuroscience Letters die Arbeit grundsätzlich nicht haben? In Ordnung. Doch dann hätte die Zeitschrift Dietz sofort Bescheid geben sollen.

Gutachter entlohnen

Normalerweise ist Neuroscience Letters schneller. Eine Analyse der Zeitspanne zwischen Einreichung und Annahme von 15 Forschungsarbeiten zwischen 2006 und 2008 zeigte, dass Neuroscience Letters und die beteiligten Peer Reviewer dafür im Mittel 95,3 Tage benötigen.

Was lief bei Dietz schief? Hatte Neuroscience Letters wirklich Schwierigkeiten, für den kurzen, unkomplizierten Beitrag von Nagel und Dietz einen Reviewer zu finden? Sollten wirklich alle sechzehn vorgeschlagenen Personen abgelehnt haben? Schwer vorstellbar. Anfragen von Laborjournal bei Neuroscience Letters blieben unbeantwortet.

Möglicherweise wird hier ein grundsätzliches Problem sichtbar: Eigentlich ist es eine Zumutung  für die Wissenschaftler, umsonst Manuskripte für Verlage begutachten zu müssen. Die gründliche Bewertung eines Manuskriptes nimmt einige Stunden in Anspruch. Warum sollte einer dafür seine wertvolle Zeit opfern?

Daher könnten auch die Zeitschriften etwas dafür tun, den Review-Prozess zu beschleunigen. Sie könnten die Gutachter für ihre fachkundige und termingerechte Arbeit entschädigen. Die Mittel dafür müssten gerade bei Elsevier-Zeitschriften im Überfluss zur Verfügung stehen. Und umgekehrt gibt es genug bestens ausgebildete Wissenschaftler, die das Geld dringend gebrauchen könnten.

Bettina Dupont und Hubert Rehm



Letzte Änderungen: 01.01.2019