Editorial

Gentechnikschein-Gefechte

(03.09.2019) Bis Anfang 2021 muss jeder Projektleiter in Deutschland seinen Gentechnikschein erneuern. Wer sich zu spät darum kümmert, könnte ein böses Erwachen erleben.
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Bislang war es eine einmalige Angele­genheit, die Zulassung zur Leitung einer gentech­nischen Anlage zu erhalten – eine Aner­kennung auf Lebenszeit ähnlich dem Pkw-Führerschein. Das ändert sich jetzt. „Seit 1990 arbeiten wir beanstan­dungsfrei unter der Gentechnik-Sicherheits­verordnung. Doch ausgerechnet für Arbeiten der Sicherheits­stufe 1, bei denen keine Gefahr für Mensch und Umwelt besteht, hat die Bundes­regierung jetzt Verschärfungen angebracht“, erklärt Petra Kauch, eine auf Gentechnik spezia­lisierte Fachanwältin für Agrar- und Verwaltungs­recht in Lüdinghausen, Nordrhein-Westfalen.

Kauch bezieht sich damit auf die Neuordnung der Gentechnik-Sicherheits­verordnung (GenTSV), wie sie am 1. März 2021 in Kraft treten soll. Von da an schreibt §28 GenTSV allen Projektleitern vor, ihre gentechnische Sachkunde im Fünf-Jahres-Rhythmus unter Beweis zu stellen. Für jeden, der seinen GenTSV-Schein vor 2016 erworben hat, ergeben sich daher unmittelbare Konsequenzen. Nimmt er nicht binnen der nächsten 18 Monate an einer entsprechenden Fortbildungsveranstaltung teil, könnte der „Laborführerschein“ aberkannt werden. Eine Stilllegung des Labors wäre die Folge.

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Mehr Bedarf als Kurse

„Auf einen Schlag ist der Bedarf an verpflichtenden Kursplätzen weitaus größer als es Kurse gibt. Man müsste die Kurskapazitäten verfünf- bis -zehnfachen, um allen gerecht zu werden“, erklärt Rechtsanwältin Kauch.

Was jedoch führte zu der gesetzlichen Verschärfung? Im Juni 2018 verordnete die Bundes­regierung, die Sicherheitsmaßnahmen im GenTSV zu aktualisieren. Auslöser waren zum einen die neuen Techniken des Gene Drive sowie der Wunsch nach einer Verbesserung der Abfall- und Abwasserentsorgung. Zum anderen sollte infolge des Bologna-Prozesses geregelt werden, wie Projektleiter ihre Sachkunde nachzuweisen haben.

Das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) erarbeitete daraufhin einen Gesetzentwurf. Auf Nachfrage teilte eine Sprecherin des BMELs mit: „Der Regie­rungs­entwurf für die GenTSV sah ursprünglich in §28 Abs. 3 vor, dass die zuständige Behörde die erneute Teilnahme des Projektleiters an einer anerkannten Fortbildungs­veranstaltung anlass­bezogen anordnen kann. Auf Initiative Hessens hat der Bundesrat diese Regelung durch eine Pflicht zur regelmäßigen Aktualisierung der Fortbildung ersetzt.“

Der „Schwarze Peter“ liegt in Hessen

Welches waren die hessischen Beweggründe für diese Initiative? Gegenüber Laborjournal erläuterte eine Presse­sprecherin des Hessischen Land­wirtschafts­ministeriums: „Die Vollzugs­erfahrung in der Vergangenheit hat gezeigt, dass es bei den Projektleitern Wissenslücken in folgenden Bereichen gibt: Rechts­grundlagen und Verpflichtungen gemäß GenTSV, Aufzeichnungs­verordnung, Kriterien zur Einstufung gentechnischer Arbeiten und Umsetzung von Sicherheits­maßnahmen. Dass es Defizite gibt, war offenbar Konsens. Ansonsten hätte eine Regelung für den Fall, dass ein Projektleiter nicht mehr über die bei der Fortbildung vermittelten Kenntnisse verfügt, von vornherein keinen Eingang in den Entwurf gefunden. Aus Sicht des Vollzugs erschien es uns aber schwierig, im Einzelfall festzulegen, wann die Wissenslücken ausreichend relevant sind, um den Besuch einer Fortbildung anzuordnen; von einer Stigmatisierung betroffener Projektleiter einmal ganz abgesehen. Es erschien uns deshalb zielführender, geeignete Fortbildungs­maßnahmen für alle Projektleiter in angemessenen zeitlichen Intervallen verpflichtend vorzusehen.“

Der beschlossene §28 GenTSV stößt natürlich auf heftige Kritik. „Rechtlich habe ich Bedenken wegen der Rückwirkungs­pflicht“, offenbart Fachanwältin Kauch. „Natürlich kann man beim Pkw-Führerschein die Klassen ändern, aber doch nicht rückwirkend für diejenigen, die bisher unter den geltenden Bedingungen ihre Eignung erworben haben.“

Nicht praxistauglich

Neben der Rückwirkungspflicht wird auch die Praxis­tauglichkeit der Kursinhalte nach §28 GenTSV bemängelt. Carsten Roller, VBIO-Ansprech­partner im Ressort „Ausbildung & Karriere“ erklärt: „Eine solche Fortbildungs­veranstaltung dauert mindestens 16 Stunden, und als Referenten müssen Vertreter der Überwachungs­behörde und ein Volljurist beteiligt sein. Außerdem muss zur Anerkennung durch die Überwachungs­behörde ein starres Curriculum eingehalten werden. Für aktuell Wichtiges bleibt da fast keine Zeit. Einen erfahrenen Projekt­leiter alle fünf Jahre in solch eine Pflicht­veranstaltung für Anfänger zu schicken, ist wie einen Tankerkapitän immer wieder den Segelschein machen zu lassen.“

Den Überwachungsbehörden der Länder liegt derzeit keine Information vor, wie die neuen Vorgaben umgesetzt werden sollen. Nachfragen zu Kursinhalten gemäß neuem §28 GenTSV und zur Bescheidung der Sachkunde sind vergeblich. Alle Betroffenen blicken auf die nächste Sitzung der Bund-Länder-Arbeits­gemeinschaft Gentechnik (LAG) am 6. und 7. November 2019 in Magdeburg.

Gentechnik-Projektleiter sollten proaktiv handeln

Bis alle Durchführungs­behörden Auskunft erteilen können, wird Betroffenen noch etwas mehr als ein Jahr bis zum Inkraft­treten der GenTSV-Neuordnung am 1. März 2021 bleiben. Rechtsanwältin Kauch rät deshalb: „Um ihre Fortbildung sicher über die Bühne zu bekommen, sollten Projektleiter proaktiv bei Kursanbietern nachfragen, ob sie in der nächsten Kapazitäts­schwelle dabei sein können. Falls einem Projektleiter tatsächlich die Sachkunde aberkannt würde, müsste der Betreiber der gentechnischen Anlage im Wege der Klage die Wirkung des alten GenTSV-Scheins zu erreichen versuchen.“

Eine Reihe von Kursanbietern finden sich unter www.lag-gentechnik.de/Fortbildung.html. Viel Erfolg!

Henrik Müller

Dieser Artikel wurde für die Online-Veröffentlichung stark gekürzt. Den ausführlichen Artikel können Sie in der demnächst erscheinenden Laborjournal-Ausgabe 9-2019 lesen.






Letzte Änderungen: 03.09.2019