Editorial

Herren der Fliegen

(22.08.2019) Insektenprotein für Hunde? Klar, warum nicht! Madebymade verarbeitet Maden zu Tierfutterzusatz. Wir haben uns die Protein-Fabrik vor Ort angeschaut. 
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„Nee, die beißt nicht!“ Kai Hempel, einer der Geschäftsführer der madebymade GmbH, auf deren 400-Quadratmeter-Gelände wir uns gerade befinden, meint damit nicht den freilaufenden Mischlingshund. Eine Schwarze Soldatenfliege, die der Reproduktionskammer entkommen ist, hat sich gerade auf Hempels Hand gesetzt. „Die sind das Harmloseste, was hier rumfliegt“, sagt er, denn auch stechen können sie nicht. 

Erst im letzten Jahr haben Hempel und sein Geschäftspartner, der Insektenphysiologe Jonas Finck, eine alte Lagerhalle der örtlichen Agrargenossenschaft in Pegau, 30 km südlich von Leipzig, angemietet. Das Büro des jungen Startups befinden sich aktuell noch in einem Container, in dem es ab und zu „recht kuschelig werden kann“. 

Macht aber nix, die meiste Zeit sind die beiden Jungunternehmer ohnehin bei ihren Fliegen in der riesigen Lagerhalle. Hempel und Finck züchten die tiefschwarzen, circa 2 cm langen Insekten aus einem guten Grund. Protein ist ein begehrter Stoff und Insektenprotein umso mehr, erklären sie.

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Nicht genug für alle

Denn mit der ständig wachsenden Zahl der Erdbevölkerung und der zunehmenden Entwicklung der Schwellenländer erhöht sich der Bedarf an dem kostbaren Gut. Die Produktion kann da langsam nicht mehr mithalten. Kühe, Schweine, Hühner, Getreide brauchen Platz – Platz, den es schon jetzt nicht mehr ausreichend gibt. Es entsteht ein sogenannter „Protein Gap“, sagt Finck, eine klaffende Lücke zwischen Angebot und Nachfrage. Insekten als alternative Proteinquelle könnten einige dieser Probleme lösen, denn abertausende Sechsfüßer lassen sich auf einer minimalen Fläche halten. Außerdem, fügt der Biologe hinzu, ist Insektenprotein durch den hohen Anteil „essentieller Aminosäuren“ besonders wertvoll. 

Tatsächlich haben es Mehlwürmer, Grillen oder Heuschrecken schon in diverse Supermarkt-Regale und auf so manchen Teller geschafft. Warum hat es den beiden Jungunternehmern aber die Schwarze Soldatenfliege (Hermetia illucens) angetan, und im Speziellen deren Larven? Es gibt mehrere Vorteile zählt Finck auf: die Larven sind gute Futterverwerter, sie brauchen keine spezielle Nahrung, können im Prinzip alles essen – „von Gülle bis Getreide“, wirft Hempel ein – allerdings beeinflusst die Nahrung auch den Protein-Output, ergänzt Finck. Ein weiterer Pluspunkt für die Soldatenfliege: Da sie in freier Natur auf und neben verrottenden Pflanzen und verwesenden Tieren lebt, hat sie eine gute Immunabwehr und kommt somit hervorragend mit Kontaminationen klar. Ursprünglich stammt die Fliege übrigens aus Südamerika, inzwischen ist sie aber fast überall zu Hause.

Larven der Soldatenfliege
Larven der Soldatenfliege. Foto: N.Färber

Als gelernter BWLer musste sich Hempel dieses Wissen über Insekten und speziell über die Schwarze Soldatenfliege selbst beibringen: „Mein Wissen, was Insekten angeht, basiert auf Youtube“, gesteht er. Auch was die Einrichtung der Lagerhalle anging, war Pioniergeist und DIY-Spirit gefragt. „Zu Beginn war hier gar nichts, kein Strom, kein Abwasser. Wir haben alles innerhalb eines Jahres eingebaut“, erzählt Hempel stolz. Auch die gesamte Anlage für Zucht und Verarbeitung der Larven ist eine Eigenentwicklung, „so etwas kann man nicht fertig kaufen“. Noch immer werden kontinuierlich Prozesse optimiert, aber es läuft. 

Der Rundgang beginnt

In der Reproduktionskammer schwirren hunderte Insekten vor speziellem UV-Licht vor sich hin und legen Eier, die „abgeerntet“ und separiert werden. Die daraus schlüpfenden Larven verbringen die nächsten Tage in großen Edelstahlwannen und können nach Herzenslust schlemmen. Obwohl sie Allesfresser sind, werden sie momentan vegan ernährt, also mit Obst und Gemüse, das bei Händlern aus der Region übrig geblieben ist und nicht mehr verkauft werden kann. Der Umweltaspekt ihres Unternehmens ist Hempel und Finck wichtig, streben sie doch eine geschlossene Kreislaufwirtschaft an. Auch mit größeren Einzel­händlern sei man schon im Gespräch. Statt in der Biotonne landen die leckeren Früchte also geschreddert und zu einer „Grießbreimasse“ verarbeitet im Darm der Larven. Später soll mit Milch und Joghurt auf vegetarisch umgestellt werden. Fleisch wird‘s für die Fliegen aber nicht geben. 

Von der Reproduktionskammer gehen wir zur Verarbeitungsstation in den nächsten Raum. Ein Trockenschrank trocknet die Larven, dann landen sie in einer Presse. Herauskommt zum einen hochwertiges Proteinmehl, das ähnliche Eigenschaften hat wie Fischmehl, und als Tierfutterzusatz für Hunde und Katzen in Säcken abgefüllt an einen Tierfutterhersteller verkauft wird.

Zum anderen werden hier die Lipide aus den Larven gepresst. Das Fettsäure-Profil, insbesondere der Anteil der gesättigten und ungesättigten Fettsäuren, ist vergleichbar mit dem von Fischöl. Das Endprodukt ist allerdings noch in der Entwicklung, aber „es gibt viele mögliche Anwendungen“, sagt Finck. Zum Beispiel werden manche Hundekuchen mit einem Lipidfilm besprüht, damit sie attraktiver für Bello und Co. sind. Oder auch als alternativer Schmierstoff wären die Larven-Lipide denkbar, beispielsweise als nachhaltiges Kettenöl für die Kettensäge, schlägt der Biologe vor. „Ich habe die Lipide sogar schonmal als Handcreme benutzt“, wirft Hempel ein. Vorstellbar ist also einiges, allerdings sind die praktischen Anwendungsmöglichkeiten momentan noch eingeschränkt. Für die Verwendung als Lebensmittel oder Kosmetik gelten nämlich ganz andere, viel strengere Produktionsbedingungen und Genehmigungsverfahren.

Maden-Kot als Dünger

Um auch restlos alles zu verwerten, also auch Häutungsreste und Exkremente der Larven, haben die beiden ein drittes Produkt im Visier. Pulverisiert fällt es gerade aus einer weiteren Maschine in den darunter stehenden Behälter. „Dieses ‚Pulver‘ hat zum Beispiel gute Dünger-Eigenschaften und erinnert an Balkonerde“, erklärt Finck. Auch daraus lässt sich was machen, sind sich die beiden sicher. 

Tatsächlich hat das sächsische Startup sehr viele Ideen zur Vermarktung ihrer Produkte. Auch die, ihre Technologie in andere Länder zu bringen, denn Anfragen gibt es bereits. Aber: „Wir verkaufen die Technologie nicht, wir betreiben sie einfach selbst“, sagt Hempel. Das würde per Fernwartung und smarter Monitoring-Systeme auch von Pegau aus gehen, sind die Jungunternehmer überzeugt. Vielleicht steht schon bald irgendwo in Mittelamerika eine madebymade-Maden-Fabrik?

Zunächst soll aber die Produktion vor Ort weiter ausgebaut werden. Eine neue Halle auf demselben Gelände ist bereits angemietet. Ab 2021 sollen bis zu zwei Tonnen Protein am Tag produziert werden. Ein ambitioniertes Vorhaben, das über Fördermittel und Bank-Darlehen realisiert werden soll.

Hempel (links) und Finck (rechts) bei der Arbeit
Hempel (links) und Finck (rechts) bei der Arbeit. Foto: N. Färber

Auch schon zuvor haben Hempel und Finck für die Finanzierung ihres Unternehmens verschiedene Geld-Quellen angezapft. Ganz zu Beginn gab‘s ein Technologiegründer-Stipendium und Fördermittel von der Sächsischen Aufbaubank. Auch war man nach „intensivem Klinkenputzen“ bei der Investorensuche erfolgreich. Das Leipziger Familienunternehmen Golzern Holding stellte die nötigen Mittel für die Pilotanlage bereit.

Mitarbeiter gesucht!

Wie aber sieht‘s mit der Konkurrenz aus? Insektenprotein ist ja gerade tierisch angesagt. „Konkurrenz belebt den Markt“, gibt sich Hempel unbekümmert, ergänzt aber, dass viele Firmen derzeit von Tierfutter auf Lebensmittel umsteigen. „Wir sehen das kritisch“, fügt er hinzu, denn es wird wohl noch fünf, sechs Jahre dauern, bis sich Insektenprotein auch hier als Leckerbissen durchgesetzt hat. Außerdem seien Soldatenfliegen, die ja von sich zersetzender organischer Materie leben, „nicht so sexy für die Lebensmittel-Produktion in Europa und speziell in Deutschland“. Bei entsprechender Nachfrage könne man darauf aber reagieren und umrüsten. 

Momentan scheint das Konzept der Insektenprotein-Fabrikanten aufzugehen. „Gestern erst habe ich jemand Neues eingestellt“, erzählt Hempel. Und das Team soll noch weiter wachsen. „Wir sind immer auf der Suche nach fähigen Mitarbeitern“, sagen die beiden. Voraussetzung: viel Eigeninitiative und Leidenschaft für das Projekt, Insektenerfahrung ist nicht nötig. Bewerbungen bitte an: madebymade GmbH in Pegau. 

Kathleen Gransalke





Letzte Änderungen: 22.08.2019