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Als Hochschullehrerin habe ich mir seit Anfang der 90er Jahre viele Ausreden von plagiierenden Studierenden anhören müssen. Seit 2011, als dem damaligen deutschen Verteidigungsminister zu Guttenberg sein Doktorgrad wegen Plagiierens entzogen wurde, sind sehr viele öffentliche Fälle von Plagiaten in den Wissenschaften offen gelegt worden. Teilweise werden dabei abenteuerliche Ausreden bemüht, um einen Plagiatsvorwurf zu entkräften oder zu leugnen. Nicht immer kommen die Ausreden von den Autoren selber, auch die Institutionen reden sich manchmal unverständlicherweise aus offensichtlichen Plagiaten heraus.
Studierende sind ausgesprochen kreativ, wenn es darum geht, Erklärungen dafür zu finden, warum ihre „Werke“ textidentisch zu Lehrbüchern oder Internet-Quellen sind. Einige meiner Studierenden haben bereits 2001, nachdem sie beim umfangreichen Plagiieren ertappt worden sind, erklärt:
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Über die Jahre habe ich weitere Ausreden eingesammelt. Sehr populär ist die Zeitmangel-Ausrede, dicht gefolgt von „Wikipedia-sagt-doch-schon-alles-warum-soll-ich-das-auch-schreiben“. Ein Student vermutete, seine Frau habe wohl nachts die Texte vom Buch abgetippt. Ein anderer beteuerte, seine Notizen ohne Quellenangabe schnell abgetippt zu haben, dann zwei Wochen bei der Attac-Demo in Griechenland gewesen zu sein – und anschließend habe er gedacht, die genialen Zeilen wohl selbst geschrieben zu haben. Ein tief-religiöser Student glaubte sogar, dass Gott ihm die Lösung seiner Schreibblockade eingegeben habe.
Auch im nichtwissenschaftlichen Bereich gibt es aparte Ausreden für Plagiate. Martina Gercke beteuerte etwa, ihre „Chick-Lit“ Romane seien anderen Romanen so ähnlich, weil sie die Texte von anderen Büchern als „Platzhalter“ verwendet hat, und lediglich vergessen habe, einige dieser Platzhalter zu überarbeiten.
Gestandene Wissenschaftler hingegen plagiieren nicht, möchte man meinen. Die der Wissenschaft Verpflichteten würden nur ehrlich arbeiten und nie die Texte oder Daten anderer ungekennzeichnet übernehmen oder eigene Texte mehrfach verwerten. Da täuscht man sich, leider.
In der Wissenschaft gibt es teilweise noch fantasievollere Ausreden oder Euphemismen. Schließlich darf man das böse Wort „Plagiat“ ja nicht sagen, weil das ehrabschneidend sein könnte – und dann werden Anwälte auf den Plan gerufen. Dabei wird letztlich ein Werk als „Plagiat“ bezeichnet und nicht eine Person als „Plagiator“, aber dieser feine Unterschied wird in der Aufregung schnell vergessen.
Statistische Verteilungen über die Häufigkeit dieser Ausreden können zum Glück nicht errechnet werden, da wir sonst darüber hätten Buch führen müssen. Folgendes bleibt daher ein Kuriositätenkabinett der besten Ausreden und Euphemismen:
Wenden wir uns nun dem wissenschaftlichen Publikationswesen zu. Auch dort gibt es wissenschaftliches Fehlverhalten, also nicht nur Plagiat, sondern auch Textrecycling („redundant publication“) und Forschungsergebnisaufsplittung („salami slicing“). Auch hier gibt es bedauerlicherweise viel Bedarf an Ausreden. Der Blog Retraction Watch sammelt seit einigen Jahren die wunderbaren Umschreibungen für „Plagiat“, die Verlage verwenden, wenn sie kundtun müssen, dass sie einen Aufsatz haben zurückziehen müssen: “improper citation methods”, “unacceptable level of text parallels”, “inclusion of significant passages of unattributed material from other authors”, “significant originality issue”, “unintended excessive reuse of the text”. Es wird auch auf „ehrliche Fehler” („honest error“) hingewiesen, als ob ehrliches wissenschaftliches Fehlverhalten irgendwie in Ordnung sei.
In vielen Diskussionen mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus Forschungsgebieten, in denen experimentell geforscht wird, habe ich gehört, dass der Methodenteil abgeschrieben werden darf. Manchmal frage ich dann, ob sie wirklich genau danach vorgegangen sind, oder ob sie die Methoden doch eher hinterfragt und abgeändert haben – und bekomme zur Antwort, dass hier ein Reagenz ausgetauscht wurde oder ein Kontrastmittel, oder dass die Dosierung leicht variiert wurde. Also doch nicht exakt dieselbe Methode. Vielleicht liegt das Problem, dass zunehmend Experimente nicht repliziert werden können, tatsächlich darin, dass die Methodenteile doch nicht ganz stimmen, aber weiterhin so abgeschrieben werden?
Und dann gibt es noch die Doppelpublikationen. Martin Tobin dokumentiert folgende schöne Ausreden von Autoren, denen „Duplicate Publication“ vorgeworfen wurden:
Fehlender Vorsatz oder Absicht wird von vielen in ihren Entschuldigungen verwendet. Als ob man jegliches Problemverhalten dadurch entschuldigen könnte, dass man nicht täuschen wollte. Es gibt in der Tat Fehler, die passieren. Wir sind ja alle nur Menschen. Dann können ja auch Korrekturen vorgenommen und kenntlich gemacht werden. Nur ist es kein Fehler, wenn elf Seiten einer Dissertation ohne Quellenangabe wortwörtlich aus Wikipedia übernommen sind; es ist kein Versehen, wenn zwei identische Arbeiten an zwei aufeinander folgenden Tagen bei zwei verschiedenen Journalen eingereicht werden; es geschieht nicht unbewusst, dass eine Case Study aus einem anderen Journal zu einem ähnlichen Fall verwendet wird (Diskussion inklusive) – und nur die Daten der eigenen Patienten eingesetzt werden.
Wir verlieren das Ziel aus den Augen: gute Wissenschaft. Zweitverwertungen sollten einfach ausgewiesen sein; Methodenteile sollten angeben, wo sie entnommen sind; Plagiate haben in der Darstellung von Wissenschaft nichts zu suchen; Daten sollten ehrlich wiedergegeben werden. Nur scheint all dies zunehmend ein systemisches Problem. Immer öfter werden wir mit wissenschaftlichem Fehlverhalten konfrontiert – und rasen direkt auf den Abgrund der Belanglosigkeit und Beliebigkeit zu, ohne dass es eine Notbremse gibt.
Martin Tobin notiert übrigens süffisant, dass er noch nie als Ausrede eines Ertappten gehört hat: „Wir dachten, es wäre eine gute Methode, um unseren Lebenslauf zu ergänzen.“ Das wäre auch zu viel verlangt. Denn wenn die Selbstreinigungskraft der Wissenschaft schließlich noch funktionieren sollten, dann sollte ja sowieso mehr Kreativität in die Arbeiten selbst gesteckt werden als in die Ausreden.
Von Debora Weber-Wulff, Berlin
Debora Weber-Wulff ist Professorin für Internationale Medieninformatik an der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin. Seit 2011 arbeitet sie an der kollaborativen Plagiatsdatenbank VroniPlag Wiki mit.
Dieser Essay erschien zuerst in Laborjournal 7/8-2015.