Editorial

Der Preis des Preises

(24.05.2018) Im Sommer 1995 ging unser Autor Hubert Rehm dem „Fall Montalcini“ nach – und stellte am Ende die begründete Frage: Kann man den Nobelpreis kaufen?
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Der Nobelpreis ist ein besonderer Preis. Er ehrt nicht nur, er gibt dem Auserwählten quasi die mystische Aura des Genies. Und er macht reich. Diejenigen, die ihn kriegen, sowieso – und manchmal auch andere.

Anfang der 1950er Jahre implantierte die Italienerin Rita Levi-Montalcini an der Washington University in St. Louis/USA ein Sarkom in Hühnerembryos. Überrascht stellte sie fest, dass das Sarkom von sympathischen Rückenmarksganglien innerviert wurde. Das Sarkom gab also einen Faktor ab, der das Wachstum sympathischer Nervenfasern förderte.

Montalcini taufte den Faktor Nervenwachstumsfaktor (NGF) und entwickelte einen Nachweistest. Später stellte sich heraus, dass periphere sympathische Nervenzellen nur mit NGF gedeihen. Für die Entdeckung des NGF erhielten Rita Levi-Montalcini und Stanley Cohen 1986 den Nobelpreis für Medizin.

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Der erste Verdacht, dass es bei der Preisvergabe nicht mit rechten Dingen zugegangen sein könnte, tauchte im Februar 1994 auf. Die italienische Staatsanwaltschaft verhaftete im Rahmen der Aktion „Mani pulite" (Saubere Hände) den Leiter der italienischen Arzneimittelbehörde, Duilio Poggioloni. Wegen des Verdachts auf Bestechung. Vor dem Untersuchungsrichter behauptete Poggioloni Eigenartiges: Der Geschäftsführer des italienischen Pharmakonzerns Fidia, Francesco della Valle, habe ihm nach der Nobelpreiszeremonie triumphierend erklärt, er habe den Preis für die Montalcini gekauft. Für 63 Millionen Kronen.

Fidia spendierte Kaffee und bezuschusste Kongresse

Zu Fidia. Die italienische Pharmafirma lebte hauptsächlich und nicht schlecht von einem Medikament: Cronassial. Cronassial bestand aus Gangliosiden, von denen Fidia behauptete, sie hülfen bei neurologischen Erkrankungen. Auf den Kongressen der Neuroszene aber erzählte man sich schon Anfang der 1980er Jahre augenzwinkernd, dass Cronassial nichts tauge. Und trank dazu den von Fidia spendierten Kaffee. Denn Fidia bezuschusste Kongresse, vergab Stipendien – und finanzierte sogar ein Forschungsinstitut: das Fidia Institute for Neurosciences in Georgetown (Direktor: Erminio Costa). Und all den Bescherten war es anscheinend gleichgültig, dass das Geld aus dem Verkauf von Quacksalben stammte. Vielleicht wussten sie es nicht? Wenn das auch schwer vorstellbar war.

Kam Rita Levi-Montalcini dank Fidia zum Nobelpreis?

Wer Quacksalben vertreibt, muss aber nicht unbedingt Nobelpreise kaufen. Als jedenfalls Poggiolonis Vorwürfe bekannt wurden, stellten sich die Italiener geschlossen hinter die Montalcini. Auch von ausländischen Wissenschaftlern erhielt sie Solidaritätserklärungen (in diesem Zusammenhang: Nobelpreisträger dürfen Preiskandidaten vorschlagen). Zudem brandmarkte der italienische Forschungsminister die Vorwürfe als Verleumdung, della Valle stritt natürlich ab, jemals so etwas gesagt zu haben – und die Montalcini selbst vermutete, dass hinter Poggioloni eine Intrige multinationaler Pharmakonzerne stecke, die die italienische Pharmaindustrie ruinieren wollten.

Prestige des Nobelpreises für das Cronassial genutzt

Der Verdacht schien entkräftet. Wer nimmt auch schon die Aussage eines bestechlichen Beamten ernst? Reporter der schwedischen Tageszeitung Dagens Nyheter nahmen sie jedoch ernst und fanden folgendes heraus: Fidia hatte ein Problem. Die Firma durfte Cronassial in Nordeuropa und den USA nicht verkaufen, weil dessen Wirksamkeit nicht nachgewiesen war.

Die Manager von Fidia planten nun, das Prestige des Nobelpreises einzuspannen, um die Zulassung in USA und Europa doch noch durchzusetzen. Dazu brauchten sie eine Person mit nobelverdächtigen Leistungen, die bereit war, sich mit der Firma zu verbinden. Anfang der 80er Jahre verfiel die dessen Direktion auf die Montalcini. Fidia spendierte ihr Forschungsgelder, organisierte Symposien zu ihren Gunsten und stiftete eigens einen Rita Levi-Montalcini-Preis.

Ein schwerwiegendes Votum bei der Preisvergabe

Dieses Marketing erwies sich als nicht hinreichend. Es galt, nachzuhelfen. An der richtigen Stelle. Diese Stelle ist das Nobelkomitee, denn dort fällt die Entscheidung über den Preis. Thomas Hökfelt war seit 1981 Mitglied im Komitee. Ihn erkor Fidia zur Kontaktperson. Die Firma zahlte ihm Kongressreisen und verschaffte ihm auch den angesehenen Camillo-Golgi-Preis von 1986. Kurz, Hökfelt wurde mit allen Mitteln gefördert.

In der entscheidenden Sitzung des Nobelkomitees stimmte Hökfelt dann für die Montalcini. Sein Votum wog schwer, denn er war der einzige Neurobiologe im Komitee. Ob Hökfelts Entscheidung von Fidias Zuwendungen beeinflusst war? Wir wissen es nicht. Für Fidia jedenfalls hatte sich der Aufwand gelohnt: Der Umsatz von Cronassial stieg nach dem Nobelpreis um das Doppelte. Es gelang schließlich auch, Cronassial in Deutschland zuzulassen. Und so hätte die Geschichte fast ein Happy End gehabt. Fast.

1989 musste Cronassial in Deutschland vom Markt genommen werden, weil es in Verdacht stand, das Guillain-Barre-Syndrom, eine Form von Paralyse, auszulösen. 1993 verbot auch die italienische Gesundheitsbehörde den Verkauf von Cronassial. Fidia ging pleite.

Hätte die Montalcini auch ohne Fidias Unterstützung den Nobelpreis bekommen? Wichtig scheint die NGF-Forschung jedenfalls zu sein, vergab doch der Senat der Max-Planck-Gesellschaft in den 1970er Jahren eine Direktorenstelle für NGF-Forschung. Und als jener Direktor abtrat, wurde sein Assistent, der ebenfalls über Wachstumsfaktoren arbeitete, Direktor am gleichen Institut. Diese direkte Nachfolge des Assistenten lässt sich wohl nur mit der überragenden Bedeutung der Wachtumsfaktorenforschung erklären. Wollen wir mal annehmen.

Hubert Rehm



Letzte Änderungen: 24.05.2018