Editorial

„Wir brauchen einen Verhaltens­kodex“

(29.04.2019) Weltweit sollen vorerst keine Eingriffe in die Keimbahn des Menschen mit Genom-Edi­tierung vorgenommen werden. Bärbel Friedrich erklärt warum.
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Laborjournal: Wie kam es zu diesem Aufruf im März in der Zeitschrift Nature?

Bärbel Friedrich: Ein wesentlicher Grund war die Vorstellung Genom-editierter Babys durch den chinesischen Wissenschaftler He Jiankui beim Genome Editing-Summit II in Hongkong 2018. Die Kinder haben offenbar ein inaktiviertes CCR5-Gen, was sie vor einer Infektion mit HIV schützen soll.

Welche Maßnahmen schlagen Sie vor?

Friedrich: Kurz gefasst brauchen wir endlich Rahmenbedingungen auf freiwilliger Basis, die in den einzelnen Staaten in Form von Regularien oder Gesetzen umgesetzt werden. Außerdem brauchen wir einen Verhaltenskodex, was diese Forschung betrifft, unterstützt durch Diskussionen mit allen beteiligten und betroffenen Gruppen. Beim jetzigen For­schungs- und Kenntnisstand ist es unver­antwortlich und in jeder Hinsicht abzulehnen, derartige Eingriffe in die menschliche Keimbahn vorzunehmen. Es müssen erst einmal Sicherheit und Wirksamkeit dieser Methoden belegt werden, bevor sie für Keimbahnveränderungen beim Menschen für klinische Zwecke eingesetzt werden könnten. Auch die Langzeitfolgen und weiteren Effekte solcher genetischen Veränderungen sind zu wenig erforscht. Ein Moratorium soll es ermöglichen, dass der Umgang mit diesen Methoden in der Zukunft sicher, transparent und nach ethischen Prinzipien erfolgt.

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Wer sollte denn an der Ausgestaltung von Rahmenbedingungen für das Genome Editing an menschlichen Keimzellen und Embryonen mitwirken?

Friedrich: Die WHO hat ein international besetztes Experten-Panel etabliert, das Vorschläge machen soll, wie der Einsatz von Genome Editing beim Menschen reguliert werden kann. Aufgrund der Komplexität des Themas braucht ein solches Panel Rat von verschiedensten Seiten, zum Beispiel von Patienten-Organisationen, gesellschaftlichen Gruppen, Religionsgemeinschaften, Wissenschaftlern, Ärzten und Juristen.

Was halten Sie von dem durch das WHO-Panel vorgeschlagenen Register für Genome-Editing-Studien am Menschen?

Friedrich: Ein solches Register finde ich sehr nützlich, da es Transparenz schafft und einen gesellschaftlichen Diskussionsprozess in Gang setzt. Auf diese Weise wird nicht nur die wissenschaftliche Seite abgesichert, sondern es kann sich ein politisch-gesellschaftlicher Konsens bilden. Entscheiden muss am Ende die Politik, aber die Wissenschaftler sollten diesen Entscheidungsprozess aktiv mitgestalten.

Wie sind denn vererbbare Eingriffe in die menschliche Keimbahn derzeit in Deutschland geregelt?

Friedrich: Nach §5 des Embryonenschutzgesetzes ist die künstliche Veränderung von menschlichen Keimbahnzellen und ihre Verwendung zur Befruchtung verboten. Verstöße werden mit bis zu fünf Jahren Gefängnis oder Geldstrafe geahndet.

Braucht es in Deutschland eine Lockerung der Regelungen, um medizinisch begründete Änderungen vornehmen zu können?

Friedrich: Aufgrund unserer Geschichte sind die Regelungen in Deutschland sehr strikt. Ich halte das Embryonenschutzgesetz dennoch für überholungsbedürftig. Die Leopoldina hat in einem Diskussionspapier 2017 gefordert, das Embryonenschutzgesetz der modernen Fortpflanzungsmedizin sowie veränderten Formen des Zusammenlebens und den damit verbundenen ethischen, juristischen, psychischen und sozialen Aspekten anzupassen. Derzeit beschäftigt sich eine Arbeitsgruppe der Leopoldina und der Partnerakademien mit der Forschung an humanen embryonalen Zellen. Deutschland sollte sich an solcher Forschung aktiv beteiligen und nicht nur Trittbrettfahrer sein wie bisher.

Halten Sie Eingriffe in die menschliche Keimbahn eher für ethisch oder für unethisch?

Friedrich: Das muss man differenziert betrachten. Die Scientific Community hat großes Interesse daran, schwere monogenetische Krankheiten wie Chorea Huntington durch Genome Editing in der Keimbahn behandeln zu können. In solchen raren Fällen fällt die Einstufung leicht, dass es sich um ethisch begründbare Vorhaben handelt. Bei Krankheiten, die das Leben verkürzen, zu Taubheit oder Blindheit oder in einem frühen Lebensabschnitt zu Krebs führen, ist die Antwort schon schwieriger. Wäre hierbei eine Anwendung von Genome Editing in der Keimbahn schon genetische Optimierung oder nicht? Bei genetischen Veränderungen, die zur Steigerung der Muskelmasse oder der Intelligenz führen sollen, fällt die Ablehnung als unethische genetische Optimierung eher leicht.

Was erwarten Sie für das Genome Editing in den nächsten zehn Jahren?

Friedrich: Man kann nicht ausschließen, dass irgendwo auf der Welt Alleingänge erfolgen werden. Für unseren Kulturkreis waren die chinesischen Genom-editierten Babys allerdings ein Schockmoment. Es werden sicherlich Maßnahmen ergriffen werden, um solche unverantwortlichen Vorhaben in Zukunft möglichst zu unterbinden.

Die Fragen stellte Bettina Dupont

Bärbel Friedrich ist Mikrobiologin und war von 2005 bis 2015 Vizepräsidentin der Leopoldina. 2013 erhielt sie das Bundesverdienstkreuz am Bande unter anderem auch für die „Profilierung der Wissenschaften in den neuen Bundesländern“.

Das ganze Interview mit Bärbel Friedrich gibt es im nächsten Laborjournal-Heft.



Letzte Änderungen: 29.04.2019