Editorial

Der Beinahe-Bühnenheld

(12.03.2019) So manchem Manne gab vor allem dessen Liebste den entscheidenden Kick in die Forschung. Unser Gesuchter ist ein Paradebeispiel dafür. Kennen Sie ihn?
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Es war der Darsteller des König Kreon, der bei einer Schultheater-Aufführung von „Antigone“ derart auffiel, dass er schließlich ein Stipendium erhielt. Von seiner Mutter ermutigt, schrieb sich der junge Mann daraufhin an einer Universität im Süden der USA zum Studium von Theater und Ballett ein. Doch lange ging es nicht für ihn mit Rollentraining und Spitzenschuhen. Ob am Ende seine damalige Freundin Judy die multiplen Begabungen ihres Partners mit solch „brotloser Kunst“ als allzu verschwendet ansah, wissen wir nicht wirklich. Er selbst jedoch bestätigte zumindest, dass Judy ihm damals die Pistole auf die Brust setzte, indem sie sagte, sie würde ihn nur heiraten, wenn er in die Wissenschaft ginge.

Derart überzeugt machte der Sohn eines Welt- und Koreakriegs-erprobten Piloten der US-Air Force gleich zwei Bachelor – einen in Biologie und den anderen in Chemie. Und im gleichen Jahr, 1968, heiratete er „seine“ Judy.

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Vielleicht wollte Judy mit ihrer Forderung auch ein drohendes Vagabundenleben aufgrund wechselnder Bühnen-Engagements ihres Zukünftigen vermeiden. Doch mit der Wissen­schaft fuhren sie kaum besser. Den Master fertigte ihr Ehemann an einer Universität im Mittleren Westen der USA an – in bioorganischer Chemie. Für seinen PhD verschlug es ihn wieder zurück in den Süden der USA – und thematisch zu den Retroviren. Sein anschließender Postdoc führte das junge Paar samt den zwei kleinen Töchtern weiter nach New York. Und 1977 nahm der mittlerweile 33-Jährige seine Familie aufgrund eines weiteren Postdoc-Stipendiums mit in den äußersten Nordwesten der USA. Hier war er immerhin endlich an dem Ort angekommen, an dem er schon bald eine besondere methodische Idee realisieren sollte, bei der letztlich auch die Geographie eine nette kleine Nebenrolle spielte.

Das Interesse seiner dortigen Kollegen galt insbesondere den Antigen-Epitopen retro­viraler Strukturproteine. Doch wie sie dabei vorgingen, war unserem Gesuchten bald ein Gräuel: Aufwendig trennten sie in mehreren Chromato­graphie­schritten die Capsid-Proteine auf und testeten sie einzeln auf bestimmte Bindeaffinitäten. „Das muss doch einfacher und schneller gehen“, dachte er eines schönen Tages im Jahre 1979. Und tatsächlich: In nur zwei Wochen hatte unser „Beinahe-Bühnenheld“ durch zwei Kunstgriffe das Prinzip einer Methode beisammen, mit der sich alle Virus-Proteine in einem einzigen Durchgang testen ließen.

Als unser Tüftler lediglich noch einzelne Abläufe optimierte, publizierten zwei andere Gruppen unabhängig davon ganz ähnliche Ansätze. Da er seine Methode jedoch für besser hielt, schrieb er ebenfalls noch ein Manuskript für Analytical Biochemistry. Die Editoren lehnten es ab, unser Postdoc ärgerte sich kurz – und kümmerte sich kaum mehr darum.

Allerdings hatte er einigen befreundeten Kollegen bereits „Preprint“-Kopien des Manu­skripts geschickt. Und diese bildeten bald die Basis für eine exponentielle Xerox-Vermehrung. Unser Gesuchter, der inzwischen an die südliche Westküste weitergezogen war, erinnert sich: „Irgendwann haben Tag für Tag Leute aus der ganzen Welt angerufen, da ihre Kopien mittlerweile so schlecht waren, dass sie sie nicht mehr lesen konnten.“ Hätte es damals doch nur schon Preprint-Server gegeben…

Am Ende überzeugte er die Editoren von Analytical Biochemistry, dass es doch verrückt sei, wenn so viele eine Technik anwenden wollen, die nirgendwo veröffentlicht ist. 1981 erschien das Paper schließlich. „Und sofort wurde ich mit Reprint-Anfragen geflutet“, amüsiert sich der Autor noch heute. Knapp 9.000-mal wurde der Artikel inzwischen zitiert.

Etwa zur gleichen Zeit machte unser Gesuchter den nächsten Karriereschritt – in die Industrie. Er sprach bei einer kleinen kalifornischen Biotech-Firma vor, wurde eingestellt und arbeitete dort fortan an rekombinanten Vakzinen. Gut zwei Jahre später landete die Firma auf anderem Gebiet zwei absolute Blockbuster. Als unser Vakzin-Spezialist die Firma nach elf Jahren verließ, hatten seine Aktienoptionen ihn zu einem vermögenden Mann gemacht.

Er tingelte noch ein paar Jahre durch andere Biotech-Firmen, bis die US-Army ihn 2001 nach 35 Jahren in der Reserve als Spezialist für Infektions­krankheiten nochmals in den aktiven Dienst berief. Vier Jahre später verließ er die Armee als Colonel. Seitdem sieht man den Ex-Oberst vorwiegend auf seinem hauseigenen Platz den Golfschläger schwin­gen.

Ein bewegter Lebenslauf also, über den unser Gesuchter vor sieben Jahren selber verriet: „Die beste Zeit hatte ich mit der Pipette an der Bench, da war ich am effektivsten.“

Judy hatte es wohl damals schon geahnt. Wie heißt ihr Mann?

Ralf Neumann

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Letzte Änderungen: 12.03.2019