Editorial

Reine Knopfsache

(25.02.2019) Hin und wieder werden im Labor ganz besondere Fertigkeiten benötigt. Glück für unsere (andere) TA, dass die Doktorandin mit Nadel und Faden umgehen kann.
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Im Labor herrscht eine strikte Kleider­ordnung. Der Laborkittel ist das Marken­zeichen unseres Berufsstandes. Sobald ich meinen Kittel anziehe, schalte ich in den Arbeitsmodus. Gehe ich in die Pause, ziehe ich ihn aus.

Es gibt sie in zweierlei Ausfertigung. Mit Druckknöpfen oder mit angenähten Knöpfen. Wie auch immer hauptberufliche Textil­verarbeiter Letzteres nennen. Als optimal gilt eine Druckknopfleiste, da sich diese im Notfall sekundenschnell öffnen lässt. Die Notentriegelung ist quasi schon eingebaut. Wobei ich glaube, in einem akuten Notfall könnte ich auch eine ganze Reihe von angenähten Knöpfen abreißen.

Das glaube ich nicht nur, ich weiß es. Weil ich es auch ohne Not regelmäßig schaffe. Jedenfalls bei einzelnen Knöpfen. Besonders die mittleren Exemplare sind diesbezüglich gefährdet, und das hat nun wirklich nichts mit meinem Body-Mass-Index zu tun.

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Glücklicherweise finde ich die abgerissenen Knöpfe ebenso oft wieder, wie ich sie verliere, damit ist das Problem aber erst zur Hälfte gelöst. Denn wie kriege ich den Knopf jetzt wieder dran?

Annähen, ist klar. Ich habe sogar die perfekte Ausrüstung in Form eines Nähsets aus einem meiner letzten Hotelbesuche zur Hand. Blöd ist nur, wenn man zu einer Generation gehört, die Handarbeiten nie richtig gelernt hat. Obgleich mich das Druckwerk „Strick dir deinen Zombie“ in der Auslage einer namhaften Buchhandlung enorm faszinierte, bin ich in Handarbeitskunde nicht besonders belesen. Was daran liegen könnte, dass ich das Buch damals nicht gekauft habe.

Im vorliegenden Fall geht es aber nicht um etwas so Komplexes wie einen Zombie zu stricken, ich will nur einen Knopf annähen. Meine Mutter hat mir ein oder zweimal gezeigt wie das geht. Aber wie das so ist mit nicht fortlaufend abgerufenem Wissen, das Gehirn verdrängt den unnützen Ballast ins Unterbewusstsein oder sonst wohin. Vielleicht bin ich auch einfach zu bequem, dieses Wissen in mein Langzeit-Gedächtnis zu integrieren. Es gibt schließlich einfachere Wege.

In der Regel behelfe ich mir mit einem Life-Hack-Video aus dem Internet, was meist zu recht haltbaren Resultaten führt. Aber was tun, wenn das Labor voller Praktikanten ist? Vor denen werde ich mir doch keine Blöße geben und ein dreiminütiges Video übers Knopf­annähen laufen lassen, während ich daneben unbeholfen mit Nadel und Faden hantiere. Am Ende steche ich mir in den Finger und falle vor aller Augen in einen tiefen Schlaf. Da Nähnadeln kleiner sind als Spindeln, dürfte dieser zwar weniger als 100 Jahre dauern, blöd wäre es trotzdem.

Andererseits will ich auch nicht mit mangelhaft beknopftem Kittel durchs Labor laufen. Klassische Zwickmühle. Was tun? In einem solchen Fall ist es gut, wenn man eine Doktorandin seines Vertrauens beiseite nimmt und ihr das Dilemma leise ins Ohr raunt.

„Kannst du nähen?“ Sie guckt ungläubig.

„Ja. Du nicht?“

„Sonst würde ich dich nicht fragen“, antworte ich mit leiser Stimme, denn ein Praktikant geht gerade vorbei. Sie zwinkert verschwörerisch, nimmt mir Kittel und Knopf aus der Hand und macht sich ans Werk. Ich bewundere die präzise gesetzten, sauberen Stiche ihrer Näharbeit.

„Nähst du auch deine Druckknöpfe selber wieder an?“, erkundige ich mich mit Blick auf ihren ordentlich beknopften Laborkittel.

Sie schaut mich tadelnd an.

„Druckknöpfe werden nicht angenäht, sondern eingeschlagen.“

Ich nicke gelehrig und verfolge den Rest ihrer Näharbeit in reumütigem Schweigen. Meine Handarbeitsgöttin kennt sich wirklich aus. Bestimmt könnte sie sogar völlig ohne Buch­vorlage einen Zombie stricken.

Maike Ruprecht



Letzte Änderungen: 25.02.2019