Editorial

Auf Wachstumskurs

(14.02.2019) Mit Blauer Biotechnologie an die Börse. Die Wiener Marinomed hat mit Erkäl­tungsmittelchen aus Meeresalgen einen Volltreffer gelandet.
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Der Marinomed-Vorstand (v.l.n.r.): Pascal Schmidt (CFO), Eva Prieschl-Grassauer (CSO) und Andreas Grassauer (CEO)

Klingelingeling – freudig bringt der Marinomed-Vorstand am 1. Februar die Wiener Börsenglocke zum Klingen. Nach einem ersten abgebrochenen Versuch Ende letzten Jahres besiegelt das Glockengeläut nun endgültig den Börsengang des Wiener Biotech-Unternehmens. „Mit der Präsenz an der Wiener Börse und durch den Dialog mit Investoren sind wir noch besser positioniert, um unsere Wachstumsziele zu erreichen. Der Börsengang sichert höchste interna­tionale Aufmerksamkeit für unser Unterneh­men,“ gibt Andreas Grassauer, Marinomed-CEO und gelernter Virologe, zu Protokoll.

Ursprünglich sollten 400.000 Aktien ausgegeben werden, zu Preisen zwischen 75 und 90 Euro. Nun beschränkt man sich auf knapp 300.000 neue Inhaberaktien (für je 75 Euro) und hofft auf einen Bruttoemissionserlös von rund 22 Millionen Euro. Erfolg, zumindest temporär, ist programmiert. Denn ein Großteil der Altaktionäre und das Unternehmen selbst haben sich eine Sperrfrist von 12 Monaten verordnet. In dieser Lock-Up-Periode darf keine Aktie verkauft werden. Aktuell (am 14.2.) liegt das Wertpapier bei 78,30 Euro.

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Medizin aus dem Meer

Gegründet hat Grassauer die Firma zusammen mit seiner Frau (Eva Prieschl-Grassauer, jetzt CSO) und weiteren Partnern 2006 als Spin-off der Veterinärmedizinischen Universität Wien. Bereits 2017 erfolgte die Umwandlung in eine Aktiengesellschaft. Der Firmenname Marinomed kommt nicht von ungefähr. Gründungsidee war, im weiten Meer nach einzelnen Substanzen zu suchen, die gegen Allergien oder Entzündungen wirksam sind. Und so entstammen dann auch die ersten Erfolgsprodukte der Firma Meeres-bewohnenden Rotalgen (Rhodophyceae). Aus diesen haben die Wiener Carrageene isoliert – Polysac­charide bestehend aus sich wiederholenden Galaktose-Einheiten – die bei Raumtempe­ratur Gele bilden. Und genau so eine Gel-artige Schutzschicht auf beispielsweise Mund- und Nasenschleimhaut ist ziemlich praktisch bei viralen Infekten. Diese hält die bösen Viren fern und die Schleimhaut feucht.

Aus dieser Entdeckung entwickelte Marinomed verschiedene Nasen- und Rachensprays sowie Lutschpastillen, die auch bereits in über 30 Ländern verkauft werden. In Österreich zum Beispiel unter dem Namen Coldamaris; in Deutschland sind allerdings nur die Nasensprays (Algovir Erkältungsspray) erhältlich. Warum es Rachensprays und Pastillen nicht in Deutschland, dafür aber in Hongkong, Bulgarien, Iran oder Rumänien gibt, erklärt sich vielleicht aus der Business-Strategie von Marinomed: Forschung und Entwicklung findet in Wien statt, Produktion und Vertrieb überlässt man Lizenz-Partnern.

Erkältung lohnt sich

Mit ihren Erkältungsmittelchen, die ja besonders zur kalten Jahreszeit ein Verkaufsschlager in jeder Apotheke sind, hat Marinomed im Jahr 2017 einen Umsatzerlös von 4,7 Millionen Euro erzielt. Aber da geht doch noch was. „Das relevante Segment des pharmazeutischen Marktes – Husten, Erkältungen und Allergien – ist die zweitgrößte Kategorie der rezept­freien Medikamente,“ heißt es auf der Marinomed-Webseite. „Experten prognosti­zieren für die kommenden Jahre ein weiteres Wachstum dieses Segments von rund 5 % per anno“. Große Sorgen um den Umsatz muss man sich also in Wien nicht machen. Und so können sich die Grassauers auf weitere Entwicklungen konzentrieren. Zum Beispiel auf ein Kombinationspräparat namens Carravin, bestehend aus dem bewährten Rotalgen-Polymer und dem alpha1-Adrenozeptor-Agonisten Xylometazolin. Letzterer bringt durch seine vasokonstriktorische Wirkung Nasenschleimhäute zum Abschwellen.

Der Erlös des Börsengangs soll aber vorrangig dem zweiten Standbein von Marinomed zu Gute kommen. Mit der Marinosolv-Plattform möchte das Unternehmen wasserunlösliche Arzneistoffe wie Steroide oder Immunsuppressiva in Lösung bringen, getreu dem Firmenmotto: „Solving the un(dis)solvable“.

Dafür hat man sich eine besondere Mixtur ausgedacht, die allerdings diesmal wenig mit dem Meer zu tun hat. Saponine aus der Süßholzwurzel (Glycyrrhizin) oder der Rosskastanie (Aescin), zusammen mit 10 % Propylenglycol oder Dexpanthenol als Lösungs­mittel, sorgen dafür, dass sich um den Wirkstoff Mizellen bilden und ihn somit besser bioverfügbar machen. Das häufig bei Nasenpoly­pen und allergischer Rhinitis verschriebene Mometasonfuorat, ein Steroid, machte Marinomed so 100-fach löslicher als in Wasser. Das Immunsuppressivum Tacrolimus ist im Saponin-Cocktail gar 200 mal löslicher. Unter dem Namen Tacrosolv befindet sich Letzteres gerade in einer klinischen Phase-1-Studie und soll, wenn alles gut geht, bei allergischer Bindehaut-Entzündung und dem Trockenen-Auge-Syndrom zum Einsatz kommen.

Gut gelöst

Weiter ist man schon mit der Neuformulierung von Budesonid, einem Kortikosteroid, das bei allergischer Rhinitis verschrieben wird. Hier klärt aktuell eine Phase-3-Studie, ob das Präparat besser abschneidet als das Konkurrenzprodukt Rhino­cort Aqua 64. Die Vorteile von Budesolv 10 werden beim Blick auf die Wirkstoff-Konzentrationen schnell klar: Rhino­cort enthält 64 Mikrogramm Budesonid, Marinomeds Version nur 10 Mikrogramm. Mit abschließenden Daten ist noch dieses Jahr zu rechnen.

Ganz Geschäftsmann statt Wissenschaftler verkündet CEO Grassauer in einer Presse­mitteilung von Ende November: „Mit Marinosolv planen wir den Einstieg in den Multi-Milliarden Markt für die Behandlung von Allergien und Augenerkrankungen. (…) Beide Plattformen [Marinosolv und die Rotalgen-Präparate] werden wir weiter ausbauen und damit unsere Position in äußerst attraktiven Wachstumsmärkten weiter stärken.“

Unter anderem auch in China. Kürzlich ist man mit der Pharma-Gruppe Link Health eine Partnerschaft eingegangen, die Zulassung und Vertrieb der Marinosolv-Produkte im Reich der Mitte und der Milliarden potentiellen Kunden übernehmen soll.

Kathleen Gransalke



Letzte Änderungen: 14.02.2019