Editorial

Auf dem Weg zur künstlichen Zelle

(12.02.2019) Erstmals haben Forscher ein Netzwerk aus zellähnlichen Strukturen geschaffen, die miteinander kommunizieren und sich unterschiedlich entwickeln können.
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Signalmoleküle (blau) verbreiten sich im künstlichen Zellverband und ermöglichen eine Kommunikation durch die Membranen hindurch.

Irgendwo am Anfang der Entwicklung von komplexen Lebensformen stand der Über­gang von der Ein- zur Vielzelligkeit. Nur in einem vielzelligen Verband können sich Zellen unterschiedlich entwickeln und verschiedene Aufgaben übernehmen.

Dass sich solche dynamischen Verbände auch aus synthetischen, zellartigen Syste­men herstellen lassen, haben nun Aurore Dupin und Friedrich Simmel von der Technischen Universität München gezeigt. „Die synthetischen Zellen sind allerdings noch weit von der Komplexität echter Zellen entfernt – sie enthalten immer nur höchstens ein paar Gene“, räumt Friedrich Simmel, Professor für die Physik Synthetischer Biosysteme, ein. „Unsere ‚Zellen‘ können nicht wachsen oder sich teilen und haben keinen Stoffwechsel.“ Stattdessen bezeichne der saloppe Begriff „künstliche Zelle“ meist nur ein „kompartimentiertes biochemisches System, das irgendwie zellähnlich wirkt“.

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Intelligente Vision

Obwohl also bislang noch keine “echten” künstlichen Zellen existieren, haben Dupin und Simmel immerhin etwas erschaffen, das wichtige Eigenschaften eines echten Zellver­bandes nachempfindet. So können ihre von einer Lipidmembran umgebenen Wasser­tröpfchen, die mit einem Mikromanipulator zu einem Verband zusammengesetzt wurden, über chemische Botenstoffe miteinander kommunizieren und sich unterschiedlich entwickeln. „Unsere Arbeit ist im Moment noch recht Grundlagen-orientiert“, erklärt Simmel. „Grundsätzlich ist unsere Motivation, verschiedene ‚künstliche Zellen‘ mit unterschiedlichen Spezialisierungen zu realisieren, die dann miteinander kommunizieren und kooperieren sollen. Das hätte den Vorteil, dass man Minifabriken konstruieren könnte, in denen z. B. inkompatible Prozesse voneinander getrennt wären. Unsere Vision ist die Herstellung von intelligenten ‚Materialien‘, die aus solchen ‚künstlichen Zellen‘ bestehen und die sich an ihre Umgebung anpassen bzw. ‚ausdifferenzieren‘ können.“

Um dies zu erreichen, beluden die Forscher ihre zwischen 10 und 100 Mikrometer großen Tröpfchen mit verschiedenen chemischen Botenstoffen oder bakteriellen Zellextrakten, die eine temporäre Genexpression ermög­lichten. Die Botenstoffe konnten von einer Zelle zur nächsten gelangen und dort eine Reaktion auslösen – die Zellen kommunizierten miteinander. Je nach Molekülart geschah das entweder durch einfache Diffusion durch die Lipidmembran (z. B. im Fall des bakteriellen Signalmoleküls C6-HSL) oder durch Poren aus alpha-Hämolysin, die die Wissenschaftler in die Membranen einbauten (z. B. im Fall des Induktors Arabinose).

Sender und Empfänger

Ein einfaches System aus Sender- und Empfängerzelle sah beispielsweise folgender­maßen aus: Eine mit den Botenstoffen C6-HSL und Arabinose beladene Senderzelle war über eine Zelle mit Porenproteinen an eine Empfängerzelle gekoppelt. Letztere enthielt einen E. coli-Zellextrakt mit zwei Plasmiden, die jeweils für ein fluoreszierendes Protein kodierten, dessen Expression durch einen der beiden Botenstoffe angeschaltet wurde. Dabei stand das Gen für das Grün-Fluoreszierende Protein (GFP) unter der Kontrolle des Lux-Promotors, der durch C6-HSL angeschaltet wird, und das Gen des Rot-Fluoreszie­renden Proteins (RFP) unter der des durch Arabinose induzierbaren pBAD-Promotors. Zellen, die C6-HSL aufnahmen, leuchten folglich grün, solche, die Arabinose aufnahmen, rot. Eine Poren-vermittelte Diffusion erzeugte eine im Vergleich zur Membran-vermittelten Diffusion verzögerte Antwort, die sich durch die Menge an Poren und an Pufferzellen, die das Signal verdünnten, beeinflussen ließ.

Daneben wagten sich die Wissenschaftler aber auch an komplexere Systeme. Als Signal diente einmal das Fluorophor DFHBI, das frei durch die Membran diffundieren kann. Die Empfängerzellen enthielten eine RNA, die ein kurzes Stück einzelsträngige DNA band, sowie ein doppelsträngiges DNA-Konstrukt, dessen Promotor genau das Stück einzel­strängige DNA fehlte, das an die RNA gebunden vorlag. Gelangte nun DFHBI in die Zelle, band es an die RNA und verdrängt das Promotor-Bruchstück. Nach außen sichtbar wurde dies durch eine starke Fluoreszenz des gebundenen Fluorophors. Das freigewor­dene DNA-Stück ergänzte das DNA-Konstrukt, von dem nun eine Antisense-RNA abgelesen wurde, die komplementär zur Fluorophor-bindenden RNA war. Als Konsequenz wurde DFHBI aus der Bindung verdrängt und die Fluoreszenz ebbte ab. Auf diese Weise entstand ein Fluoreszenz-Puls, dessen Eigenschaften sich durch die anfängliche Konzentration an DFHBI und RNA-Polymerase regulieren ließen, und der die hintereinander geschalteten Zellen entlang lief.

Selbstverstärkende Prozesse

Ein weiterer Ansatz verstärkte das biochemische „Rauschen“ durch eine „undichte“ Transkription, um eine unterschiedliche Entwicklung einzelner Zellen anzustoßen. Dabei befanden sich die Gene, die für das Porenprotein alpha-Hämolysin und RFP kodieren, unter der Kontrolle des Promotors pBAD. Die Senderzellen produzieren das entspre­chende Signalmolekül Arabinose, das jedoch anfangs aufgrund fehlender Poren nicht in die Empfängerzelle gelangen konnte. Da die Expression des Hämolysin-Gens aber „undicht“ war, bildeten sich mit der Zeit dennoch Poren und Arabinose konnte die Expression des Hämolysins anschalten, worauf noch mehr Arabinose einströmte – eine klassische positive Feedback-Schleife. Bei einem Sender, der von vier Empfängern umgeben war, entwickelten sich mit der Zeit alle Empfänger unterschiedlich, weil das „Leck“ der Expression jeweils unterschiedlich groß war.

In Zukunft könnten auf diese Weise multizelluläre Systeme konstruiert werden, die ihre Umwelt wahrnehmen und darauf reagieren. „Die von uns als ‚Zellen‘ verwendeten Wasser-in-Öl-Emulsionströpfchen sind über Tage stabil“, erläutert Simmel. „Ein Hauptproblem ist aber der Umstand, dass die ‚Zellen‘ keinen Metabolismus haben und die Aktivität der Genexpressionsreaktionen nur einige Stunden anhält. In zukünftigen Projekten wollen wir versuchen, solche Systeme z. B. permanent mit Nährstoffen zu versorgen und Abfallprodukte abzutransportieren.“

Auch der Zusammenbau der Netzwerke soll vereinfacht werden: „In Zusammenarbeit mit der Gruppe von Hauke Clausen-Schaumann der Hochschule München haben wir bereits einen Prototypen für einen 3D-Drucker gebaut, der die Arbeit mit dem Mikromanipulator ersetzen soll.“

Larissa Tetsch

Dupin A und Simmel FC (2019): Signalling and differentiation in emulsion-based multi-compartmentalized in vitro gene circuits. Nature Chemistry, 11:32-39



Letzte Änderungen: 12.02.2019