Editorial

Heft mit Geschichte

(11.02.2019) Vor 150 Jahren erblickte Nature das Licht der Publikationswelt. Es sollte allerdings noch eine Zeit dauern, bis die Zeitschrift zu dem wurde, was sie heute ist.
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„NATURE! We are surrounded and embraced by her: powerless to separate ourselves from her, and powerless to penetrate beyond her.“

Mit diesen (übersetzten) Worten des Herrn Geheimrats Johann Wolfgang von Goethe schlug das akademische Publikationswesen vor genau 150 Jahren ein neues Kapitel auf. Am 4. November 1869 erschien die erste Ausgabe der Zeitschrift Nature.

Ob Goethes „Natur“-Essay tatsächlich den Namen des neuen Magazins inspirierte, ist unbekannt. Vier Monate vor der Erstausgabe legte sich Verleger Alexander Macmillan jedoch auf „Nature“ fest – sehr zur Begeisterung seiner Mitstreiter. „Klar und einfach, die beste Idee überhaupt“, urteilte etwa Thomas H. Huxley, vergleichender Anatom und glühender Verehrer von Darwin, dessen „Origin of Species“ gerade mal 10 Jahre zuvor veröffentlicht wurde.

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Ein Treffpunkt der Wissenschaft

Huxley war ein Nature-Unterstützer der ersten Stunde. Denn schon früh hatte er erkannt, dass das bisherige System, wissenschaftliche Entdeckungen nur innerhalb von Akademien und wissenschaftlichen Gesellschaften zu verbreiten, nicht sonderlich sinnvoll ist. Denn nur Mitgliedern war es vorbehalten, diese Veröffentlichungen zu lesen. „Es braucht einen anerkannten Ort, an dem man sich treffen kann – sonst werden wir auf immer unwissend sein, darüber, wo wir sind und was wir schreiben“, träumte Botaniker Joseph Hooker bereits 1865 in einem Brief an Huxley.

Und genau so ein Treffpunkt sollte mit Nature geschaffen werden. Nebenbei wollte man auch die breite Öffentlichkeit an den Erkenntnissen der Wissenschaft teilhaben lassen. Nun musste man nur noch eingangs erwähnten Verleger Macmillan von der Idee über­zeugen. Diese Aufgabe übernahm Astronom und Helium-Entdecker Norman Lockyer, der Macmillan bereits von einer früheren Veröffentlichung kannte und tagtäglich mit zwei Freunden des Verlegers mit dem Zug nach London pendelte.

Die Sache war Anfang 1869 geritzt: Lockyer wurde Chefredakteur und nur wenige Monate später erschien die erste Ausgabe zum Preis von vier Pence – etwas günstiger als andere Wochenzeitschriften zur damaligen Zeit, die sechs Pence kosteten.

Dinosaurier, Sonnenfinsternis und Cholera

In der Erstausgabe schrieb Huxley über Dinosaurier des Trias und Lockyer über die totale Sonnenfinsternis vom August 1869. Außerdem gab es Neuigkeiten aus der Physiologie, der Chemie, Physik, Astronomie sowie den Akademien & wissenschaftlichen Gesell­schaften. Auf den insgesamt 21 Seiten fanden auch neun Buch-Rezensionen Platz. Unter anderem dabei: „Lehrbuch der Botanik für Gymnasien und Realschulen“ (Zitat: „It is German, of course...“) und „Pathologie der menschlichen Stimme“ des deutschen Mediziners Michael J. Roßbach.

Anfänglich veröffentlichte man jedoch noch keine originäre Forschung, sondern be­schränkte sich auf Nachdrucke von Papern oder Konferenz-Präsentationen. In den ersten dreißig Jahren machte das Heft Verleger Macmillan (aus finanzieller Sicht) keine wirkliche Freude – obwohl man zwischenzeitlich den Preis auf sechs Pence und die Seitenzahl auf 28 erhöht hatte. Ab 1890 ging es aber dann kontinuierlich bergauf: die Zahl der Abon­nenten stieg und das Heft begann, sich mit Erstveröffentlichungen einen Namen zu machen. So erschien im Januar-Heft 1896 das erste Mal überhaupt ein Artikel (inklusive Bildern) über „eine neue Art von Strahlen“, die Röntgen-Strahlen.

Glück im Unglück hatte man während der zwei Weltkriege. Die Produktion lief weiter, jedoch mit Verzögerung; während der Luft­waffenangriffe im Zweiten Weltkrieg wurde der damalige Chefredakteur Jack Brimble zwar verletzt, das Londoner Büro selbst aber verschont. Nach 1945 stieg die Zahl der Abonnenten wieder an, das Heft hatte nun 40 Seiten.

Legere Begutachtung

Obwohl nun auch unveröffentlichte Forschungsergebnisse in die Redaktion trudelten, hatte man noch immer kein Begutachtungssystem für die Manuskripte. Brimble hatte wohl die Angewohnheit, zugesandte Artikel mit in den elitären Athenaeum Club zu nehmen und die dortigen Wissenschaftskollegen nach ihrer Meinung zu befragen. Eine eher legere Art des Peer Reviewings. Legendär in diesem Zusammenhang ist auch das berühmte Watson-Crick-Paper, das 1953 ohne gründliche Begutachtung erschienen ist. Heute, so sagt man, hätte das Manuskript aufgrund seiner spekulativen Natur keine Chance auf Veröffent­lichung.

Apropos Ablehnung. Ein gewisser Hans Krebs hatte seine Entdeckungen zum metabo­lischen Zitronensäure-Zyklus in den 30er Jahren ebenfalls an Nature geschickt, wurde jedoch aus Platzgründen abgelehnt. Zwei Monate später veröffentlichte er seinen Krebs-Zyklus in Enzymologia und erhielt dafür 1953 den Nobelpreis. Bei einer neuerlichen Korrespondenz mit Nature konnte sich Krebs einen süffisanten Kommentar nicht verkneifen: „Professor Krebs freut sich darüber berichten zu dürfen, dass das das einzige Mal in seiner Karriere war, dass ein Editor eines seiner Paper an ihn zurückgeschickt hat, mit dem Vorschlag, es doch in einem anderen Journal zu veröffentlichen. Es ist das Paper, das das Konzept des Zitronensäure-Zyklus enthielt. Um aus der offiziellen Mitteilung des Karolinska-Instituts Stockholm zu zitieren: die Entdeckung des Zitronensäure-Zyklus hat sich als würdig für den Nobelpreis für Medizin oder Physiologie erwiesen.“

Die Ablehnung eines so wichtigen Papers hat dem Erfolg der Zeitschrift jedoch keinen Abbruch getan. Das aktuelle Heft ist die 7.742 Ausgabe, im Jahr 2017 verzeichnete man eine Druckauflage von rund 53.000 und eine geschätzte Leserschaft von 400.000. Online klickten sich pro Monat drei Millionen „unique user“ rein.

Frau am Steuer

Mitte letzten Jahres trat ein neuer Chefredakteur das Erbe von Norman Lockyer an. Zum ersten Mal in der zum damaligen Zeitpunkt noch 149-jährigen Geschichte von Nature eine Frau, und dazu noch eine Biologin. Genetikerin Magdalena Skipper hat nun das Steuer in der Hand und muss das traditionsreiche Blatt durch schwierige Fahrwasser manövrieren. „Ich fühle mich sehr geehrt, dass mir die Leitung von Nature anvertraut wird“, sagte sie kurz nach ihrer Ernennung in einer Pressemitteilung. „Diese Rolle zu übernehmen ist auch deshalb so spannend, weil wir gerade in einer Umbruchphase stecken und sich die Arbeit von Forschern ebenso verändert wie die Wege, auf denen Wissenschaft verbreitet wird.“

In der Tat könnte demnächst wieder ein neues Kapitel im akademischen Publikations­wesen aufgeschlagen werden. Ob Nature dabei in seiner jetzigen Form noch eine Rolle spielen wird, bleibt abzuwarten. In der Redaktion sollte man daher den Geburtstag möglichst ausgiebig feiern. Vielleicht folgen nicht mehr so viele weitere.

Kathleen Gransalke



Letzte Änderungen: 11.02.2019