Editorial

Krebszellen ein Gesicht geben

(07.02.2019) In Wien erhalten leukämische Zellen einen individuellen Personalausweis für die individuelle Krebstherapie. Die Firma Allcyte macht‘s möglich – und automa­tisiert.
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Laborjournal fragt: Warum heißt Ihre Firma Allcyte? Geschäftsführer, organischer Chemiker und Bildgeber Nikolaus Krall antwortet.

Herr Krall, Ihre Firma Allcyte charakterisiert onkologische Wirkstoffe anhand von Bild­daten in Einzelzell-Auflösung. Wie sind Sie zur Krebsforschung gekommen?

Nikolaus Krall: Nach meiner Grund­aus­bildung in Natural Sciences in Cambridge und Zeit in der translationalen Krebsforschung an der ETH Zürich bekam ich die Möglich­keit, bei Giulio Superti-Furga am CeMM, dem Zentrum für Molekulare Medizin der öster­reichischen Akademie der Wissenschaften, zu arbeiten. Von Anfang an stand die Firmen­gründung mit einer neuen Imaging-Technologie im Raum. Da mich die Translation vom Labor in die klinische Praxis interessiert, habe ich sofort ja gesagt. Ich habe meinen wissenschaftlichen Postdoc nie wirklich abgeschlossen, sondern quasi einen Postdoc in Firmengründung gemacht. [lacht]

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Das war alles 2017? Sie haben nicht allein gegründet sondern mit Berend Snijder, Gregory Vladimer und …

Krall: …und Giulio Superti-Furga, genau. Das war aber nicht alles 2017, ich bin 2015 nach Wien gekommen und habe ein Jahr an meinem Forschungsprojekt gearbeitet. 2016 haben wir die Firma Allcyte über eine Ausgründungs­förderung des Austria Wirtschaftsservice gegründet. Wirklich angefangen haben wir im Herbst 2017 mit einer Kollaboration mit Boehringer Ingelheim. Wir haben uns alle am CeMM kennengelernt, Giulio Superti-Furga ist dort wissenschaftlicher Direktor, Berend und Greg waren Postdocs wie ich. Berend Snijder ist mittlerweile an der ETH Zürich Assistenzprofessor, Greg und ich leiten die Firma.

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Pharmakoskopiker und Allcyte-Geschäftsführer Nikolaus Krall. Credit: Allcyte

Ihr Aushängeschild ist die Pharmako­skopie. Was ist das? Haben Sie diesen Begriff erfunden?

Krall: Der Begriff wurde geprägt von meinen Kollegen am CeMM, bevor ich dort war. Das ist die Zusammensetzung aus Pharmakologie und Mikroskopie. Im Endeffekt ist Pharmakoskopie eine Hochdurchsatz-Mikroskopie-Plattform, mit der wir vollautomatisch die Wirkung von Molekülen auf primäre Patientenproben untersuchen können.

Sie bekommen also Proben von Krebspatienten und charakterisieren diese mikroskopisch. Was schauen Sie sich an?

Krall: Genau, von einem AML-Patienten [AML = akute myeloische Leukämie], zum Beispiel, erhalten wir Knochenmark. Daraus werden die mononukleären Zellen aufgereinigt, in einer definierten Dichte in Nährmedium resuspendiert und in High content imaging-Platten gefüllt, in denen bereits Moleküle vorgelegt sind. Bei typischerweise 37°C inkubieren wir die Zellen für 18 bis 24 Stunden, fixieren sie und färben sie mit Fluorophor-gekoppelten Antikörpern sowie DAPI, um die Nuklei sichtbar zu machen. Die AML-Zellen sind dann beispielsweise CD34- und CD117-positiv, Apoptose können wir über die Morphologie des Zellkerns feststellen.

Das ist dann ein Gemisch aus gesunden Zellen und Krebszellen, oder?

Krall: Genau, das ist der Clou der Sache. Wir wollen in einer Krebstherapie nicht nur erreichen, dass wir den Krebs töten, das könnten wir auch mit Salzsäure. Wir wollen ein therapeutisches Fenster erzielen, wir wollen die Krebszellen mit einem Wirkstoff schneller töten als den Rest des Körpers. Und genau das können wir messen, denn mit den gesunden Zellen haben wir eine interne Kontrolle in unseren Platten. Wir selektieren mit unserem Assay also Moleküle, die möglichst selektiv die Krebszellen angreifen.

24 Stunden sind eine relativ kurze Inkubationszeit. Über längerfristige Wirkungen der Moleküle treffen Sie damit keine Aussage.

Krall: Vollkommen richtig. In manchen Anwendungen gehen wir deshalb auch über die 24-Stunden-Inkubation hinaus. Dennoch ist das klar eine Limitation. Wir können die Wirksam­keit und kurzfristige Toxizität an Zellen in der Probe messen, keine Langzeit-Toxizität. Wir behaupten aber auch nicht, dass wir die One and Only-Lösung für die persona­lisierte Medizin haben. Unser Ziel ist es, dem Arzt zusätzliche Daten zur Verfügung zu stellen, damit die Therapie-Entscheidung verbessert werden kann.

Sie schreiben auf Ihrer Webseite, dass Sie pro Zelle 350 Datenpunkte analysieren können. Welche Informationen sind das?

Krall: Können wir, ja. Das sind Aspekte wie Morphologie, Textur, Antikörper-Färbung. Und wenn ich Morphologie sage, dann ist das nicht ein Parameter, dann sind das gleich einhundert. Die meisten verwenden wir aber derzeit nicht, wir sammeln sie. Irgendwann wollen wir dann diese Daten mit Patientendaten korrelieren. So können wir in Zukunft neue Biomarker entwickeln und vorhersagen, wie ein Patient auf einen Wirkstoff reagiert. Wenn die Zelle zum Beispiel die und die Form hat, bedeutet das, dass dies oder jenes passiert.

Es dreht sich also alles um Zellen. Die finden sich dann auch im Firmennamen wieder?

Krall: Cyte, die Zelle. All steht für alles. Mit unserer Technologie können wir jede Zelle, die in unseren Assay eingebracht wird, auch wirklich analysieren. Bei der Durchfluss-Zyto­metrie werden Zellen durchs Gerät durchgewaschen oder bleiben im Röhrchen zurück. Bei uns werden 100% der Zellen ausgelesen. Daher kommt der Name.

Die Fragen stellte Sigrid März

    Steckbrief Allcyte

  • Gründung: 2017
  • Sitz: Wien (Österreich)
  • Mitarbeiter: 10
  • Produkt: automatisierte Hochdurchsatz-Mikroskopie-Plattform

Sie möchten mehr über Allcyte und Pharmakoskopie erfahren? Dann lesen Sie das Firmenportrait über das österreichische Start-up in der aktuellen Printausgabe von Laborjournal (1-2/2019).



Letzte Änderungen: 07.02.2019