Editorial

Die CRISPR-Flüsterer

(21.01.2019) CRISPR-Cas ist längst auch außerhalb der Labore bekannt. Solide Information, unterhaltsam aufbereitet, präsentiert der neue Blog CRISPR-Whisper.
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Das bakterielle Immunsystem CRISPR-Cas ist in aller Munde. Wohl nur wenige Tech­niken aus den Lebenswissenschaften haben das Potenzial, einen derartig großen Einfluss auf die Gesellschaft und das Selbstver­ständnis des Menschen auszuüben, wie die „Genschere“, mit der sich Genome punkt­genau und fast beliebig verändern lassen.

Die Hoffnungen, die die Genschere weckt, sind groß, vor allem bei der Therapie von heute noch nicht behandelbaren Erbkrank­heiten. Aber wie bei jedem mächtigen Werkzeug sind auch die Gefahren groß, die ein Missbrauch mit sich bringt. Man denke an gentech­nisch veränderte menschliche Embryonen, die Medienberichten zufolge in China bereits geboren worden sein sollen.

Kein Wunder, dass längst nicht nur Wissenschaftler über CRISPR-Cas sprechen. Dass jeder, der darüber spricht, aber auch weiß, wie die Methode funktioniert, ist zu bezweifeln. Hier Aufklärungsarbeit zu leisten, hat sich der gemeinnützige Verein Science Bridge an der Universität Kassel vorgenommen. Science Bridge sieht sich als Wissenschafts­vermittler und tritt in dieser Eigenschaft für Transparenz in der Wissenschaft ein. So war er z. B. Mitinitiator der Science-Märsche in Deutschland. Bekannt ist der Verein auch für seine sehr erfolgreichen Schülerlaborkurse.

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Mehr als nur Genschere

Dargestellt werden sollen im Blog CRISPR-Whisper hauptsächlich die Forschungsaktivi­täten des im letzten Jahr eingerichteten DFG-Schwerpunktprogramm SSP 2141: „Weitaus mehr als nur Verteidigung: die vielen verschiedenen Funktionen des CRISPR-Cas-Systems“. Der Name ist Programm: CRISPR-Cas ist als bakterielles Immunsystem und als gentechnisches Werkzeug bekannt. Dass es viele andere Funktionen in Prokaryoten wahr­nehmen kann, wissen bislang hauptsächlich Eingeweihte. Dabei ist die Genschere z. B. auch an der Reparatur von strahlungsgeschädigter DNA, an der Regulation der Virulenz, an der Stresstoleranz und an der Regulation von „Gruppenverhalten“ wie der Biofilm­bildung beteiligt.

Eine Beratertätigkeit für den SSP brachte den Science Bridge-Mitbegründer und emeri­tierten Genetik-Professor Wolfgang Nellen auf die Idee mit dem Blog: „Mir war klar, dass das Schwerpunktprogramm unbedingt eine gute Wissenschaftskommunikation braucht. Und plötzlich war ich kein Berater mehr, sondern Mitantragsteller. CRISPR-Whisper ist einfach ein wahnsinnig spannendes Projekt und eine große Chance, um solide über Wissenschaft zu informieren.“

Mit Comics zur Erkenntnis

Für ihren Blog haben sich die wissenschaftlichen „Brückenbauer“ um Nellen und die Science Bridge-Koordinatorin Heike Ziegler etwas Besonderes ausgedacht. Da der Blog aktuelle Forschung nicht nur für Wissenschaftler sondern für jeden Interessierten begreif­bar machen soll, wurden neue Wege der Darstellung gesucht. Heraus kam eine intensive Zusammenarbeit mit Grafikern und professionellen Illustratoren, den „Whisperern“, analog zum Pferdeflüsterer also eine Art CRISPR-Versteher.

Die Whisperer sind keine Wissenschaftler und hatten deshalb natürlich zuerst auch selbst keine Ahnung, was sich hinter der sperrigen Abkürzung CRISPR verbirgt. Aus diesem Grund verbrachten sie erst einmal zwei Tage im Labor und schilderten ihre Erfahrungen und Erkenntnisse anschließend direkt im CRISPR-Blog (CRISPR-Cas-Crash-Kurs). Wissenschaft von Laien für Laien sozusagen! Ein übersichtliches Glossar erläutert außerdem die wichtigsten Begriffe aus der Welt der Molekularbiologie allgemein verständlich.

„Unser Ziel ist es, vor allem Nicht-Wissenschaftler zu erreichen. Inwieweit wir das schaffen werden, ist natürlich die große Frage, denn es ist schwierig, aus der Filterblase der Forschung herauszukommen“, ist Nellen die Herausforderung bewusst. „Deshalb wünschen wir uns, dass unsere Leser uns weiterempfehlen und zwar am liebsten nicht an die Kollegen aus der Wissenschaft, sondern an die Oma, die Tante, den Gemüsehändler. Wir wollen, dass die Leute erkennen: ‚Wissenschaft ist gar nicht so furchtbar schwer. Ein bisschen was davon kann ich auch verstehen.‘“


Walter, das Cas-Enzym mit seinem CRISPR-Koffer in Großaufnahme. Credit: L. Kummer

Sinnvolle Kommunikation

Neben den Comics der Whisperer lebt der Blog vor allem von persönlichen Berichten „echter“ Wissenschaftler. Diese berichten von ihrem Alltag im Labor, von ihrer Forschung, aber auch davon, was sie persönlich antreibt und darüber wie und warum sie überhaupt den Weg in die Forschung gefunden haben. „Den Blog werden hauptsächlich die Wissen­schaftler der einzelnen Projekte des Schwerpunktprogramms schreiben“, so Nellen. „Aber bis so ein SSP richtig läuft, dauert es ein paar Monate, so dass im Moment auch ich noch Beiträge schreibe. Außerdem sind vielleicht noch nicht alle Projektleiter überzeugt, dass es sinnvoll ist, wenn sich ihre Mitarbeiter neben der Laborarbeit auch der Wissenschaftskom­mu­nikation widmen. Da müssen wir noch etwas Überzeugungsarbeit leisten.“

Noch befindet sich CRISPR-Whisper in der Startphase, und es geht ihm wie den meisten Blogs in diesem Stadium: Viele Rubriken sind noch nicht oder nur mit wenigen Inhalten gefüllt. Dass aus CRISPR-Whisper ein lebendiger, lehrreicher Blog wird, liegt aber nicht nur an den Wissenschaftlern, Illustratoren und Wissen­schaftskom­mu­nikatoren. Es liegt auch an jedem von uns, dem einzelnen Nutzer, der aufgerufen ist, die Beiträge zu lesen, zu kommentieren und das Portal durch Anregungen und Wünsche mitzugestalten. „Fragen und Kommentare sind immer willkommen“, so Nellen. Und das nicht nur auf der Blog-Seite, sondern auch bei anderen Sozialen Medien wie Twitter, Facebook und Instagram.

Vorurteile bekämpfen

Erste Reaktionen von Lesern seien bisher auf jeden Fall positiv gewesen, auch wenn der Blog bisher hauptsächlich Beiträge zu grundlegenden Themen enthält. „Wir wollen eine Mischung aus leicht verständlichen und anspruchsvollen Beiträgen bringen“, erklärt Nellen. „Vor allem zu den vielen verschiedenen Funktionen von CRISPR-Cas wird es in Zukunft noch spannende Geschichten geben.“ Daneben möchten die Blog-Betreiber versuchen, allgemeine Wissenschaftsmechanismen zu erklären, beispielsweise wie ein DFG-Schwerpunktprogramm überhaupt entsteht. „Viele Menschen stellen sich vor, dass ‚Drittmittel‘ sowas wie ‚Bestechungsgelder‘ aus der Industrie sind. Sie haben keine Ahnung, welche Arbeit ein Antrag macht und wie die Begutachtungsprozesse aussehen.“ Schließlich sollen auch die ethischen Aspekte der Genschere angesprochen werden.

Um den Austausch zwischen Wissenschaftlern und Laien noch weiter zu fördern, gehen die Whisperer sogar auf Tour. In einer Road-Show, die in Kassel startet, wird es verschiedene Veranstaltungen, Vorträge und Diskussionsrunden in ganz Deutschland geben. Als erstes geplant ist ein Dialogvortrag in Kassel zwischen Lennart Randau vom MPI für terrestrische Mikrobiologie, einem der wissenschaftlichen Projektleiter des Schwerpunktprogramms und dem CRISPR-Whisperer Lukas Kummer sowie begleitend dazu eine kleine Ausstellung mit Postern und einigen Forschungsinstrumenten. „Anhand einer alten, noch Telefonzellen-großen Sequenziermaschine und dem modernen Gegenstück, das heute nur noch so groß ist, wie ein USB-Stick, lässt sich gut der technische Fortschritt verdeutlichen.“

Weiterhin geplant sind sogenannte Science Cafes, die man sich als freie Diskussionsrunden in einer Kneipe vorstellen kann. Außerdem wolle man die Teilnehmer der Veranstaltungen dazu einladen, einen Tag ins Labor zu kommen und selbst die Pipette in die Hand zu nehmen. Die CRISPR-Whisperer haben dafür extra ein publikumstaugliches CRISPR-Experiment entwickelt. Dabei ist das ganze Projekt CRISPR-Whisper selbst ein großes Experiment wie Nellen weiß: „Wir haben viele ausgesprochen spannende Ideen. Wie die Roadshow dann am Ende wirklich aussehen wird, wissen wir natürlich noch nicht.“ Man darf also gespannt sein!

Larissa Tetsch



Letzte Änderungen: 21.01.2019