Editorial

Im Schatten des Fälschers

Die Aufdeckung des "Klonskandals" um den Koreaner Woo Suk Hwang droht, die Stammzellforschung weltweit in Verruf zu bringen. Dabei haben die Wissenschaftler schon genug Rückschläge zu verdauen.

(26.01.2006) Unmögliches wird sofort erledigt, Wunder dauern etwas länger. Gerade einmal ein Jahr ist es her, dass dieser Spruch, der hinter so manchem Tresen hängt, recht gut die Stimmung der weltweiten Gemeinde von Stammzellforschern beschrieb. In den Fachzeitschriften jagten sich die Erfolgsmeldungen: Wissenschaftler entdeckten neue Gene wie am Fließband und enträtselten in Rekord-verdächtiger Geschwindigkeit die Signale, dank derer aus einer einzigen Zelle komplette Organismen mit all ihren vielfältigen Organen und Geweben entstehen.

Schritt für Schritt erkundete man die Fähigkeit von Stammzellen aus Embryonen, aus Knochenmark oder Nabelschnurblut, in Versuchstieren "Wurzeln zu schlagen", sich zu vermehren und Schäden der unterschiedlichsten Art zu beheben. Dem großen Ziel aber schien keiner näher als der Woo Suk Hwang: Manch einer hätte ein Vermögen darauf gesetzt, dass der mittlerweile als Fälscher entlarvte Koreaner der Erste sein würde, der aus maßgeschneiderten menschlichen embryonalen Stammzellen eine "Wunderwaffe" zur Heilung der verschiedensten Krankheiten schmieden würde.

Diese Hoffnung hatte wohl auch die Wähler Kaliforniens angetrieben, als sie in einer Volksabstimmung im November 2004 drei Milliarden Dollar bewilligten für die Einrichtung eines speziellen Förderprogrammes. Es sollte Geld vergeben zur Entwicklung neuer Therapien gegen bislang unheilbare Krankheiten wie Alzheimer und Parkinson, Querschnittslähmungen, Multiple Sklerose und Hirntumore (Glioblastome), Diabetes und Herzleiden. Unter der Initiative, die als "Proposition 71" bekannt ist, sollten von vorne herein speziell jene Arbeiten gefördert werden, die durch ein US-Bundesgesetz wie auch in Deutschland stark eingeschränkt sind, nämlich die Erforschung von Stammzellen aus wenige Tage alten menschlichen Embryonen (hESC).

Diesem Ziel sind die Kalifornier indes kaum näher gekommen. Anwälte blockieren seit einem Jahr die Umsetzung des Wählerwillens. So wurde zwar im vergangenen November in San Francisco das "California Institute for Regenerative Medicine" eröffnet. Erst wenn ein Einspruch gegen die Zusammensetzung des Kontrollgremiums rechtskräftig abgelehnt ist, darf der Bundesstaat Kalifornien jedoch die 300 Millionen Dollar leihen, die für die erste Förderrunde vorgesehen sind. Die Urteilsfindung inklusive der bereits angekündigten Berufungen werde 15 Monate dauern, meint Instituts-Präsident Zach Hall, der früher das Nationale Institut für Neurologische Krankheiten und Schlaganfall (NINDS) geleitet und dort die Vergabe einer halben Milliarde Dollar an Forschungsgeldern überwacht hat. Mindestens bis zum Frühjahr 2007 müsse man sich deshalb mit privaten Spenden und einer "kreativen Finanzierung" behelfen, klagt Hall.

Die jüngste Hiobsbotschaft ereilte die internationale Forschergemeinde erst vor wenigen Tagen: Ira Black, Gründungsdirektor eines weiteren, für den US-Bundesstaates New Jersey geplanten Stammzellinstituts verstarb völlig unerwartet mit 64 Jahren an einer Infektion, die er sich bei der Behandlung eines gutartigen Tumors zugezogen hatte. Black hatte als erster gezeigt, wie sich aus Stammzellen des Knochenmarks Nervenzellen (Neuronen) für Transplantationen gewinnen lassen und er hatte "sein" Institut auf eine möglichst praxisorientierte Forschung ausgerichtet. Black war es auch gewesen, der Gesetzgeber und andere Meinungsführer des Bundesstaates davon überzeugt hatte, in New Jersey Stammzellforschung sowohl mit adulten als auch mit embryonalen Zellen voranzutreiben und dafür 380 Millionen Dollar bereit zu stellen. Immerhin ließ der frisch gewählte Gouverneur von New Jersey, Jon Corzine, keine Zweifel an seiner Unterstützung für das Institut aufkommen und versprach, binnen zwei Monaten einen Nachfolger zu benennen.

Von solch einer ungeteilten Unterstützung können deutsche Wissenschaftler nur träumen. Noch bevor die dreisten Fälschungen Hwangs publik wurden, bekamen Befürworter der Erforschung embryonaler Stammzellen den politischen Gegenwind durch die neue Regierung zu spüren. Zwar hatte auch Gerhard Schröder die Forschungsfreiheit auf diesem Gebiet nur mit mäßigem Erfolg gegen ethische Bedenkenträger aller Parteien verteidigt. Die promovierte Physikerin und Pastorentochter Angela Merkel jedoch hat die von Schröder angestrebte Lockerung des deutschen Embryonenschutzgesetzes stets abgelehnt. Prompt besetzte Merkel den Chefsessel im Bundesforschungsministerium mit ihrer katholischen Gesinnungsgenossin Annette Schavan.

"Wir brauchen eine Stammzellenforschung ohne ethisches Dilemma", hatte Schavan Journalisten kurz nach der Amtsübernahme diktiert und auf die im Koalitionsvertrag verankerte Schwerpunktsetzung auf adulte Stammzellen verwiesen, die beispielsweise aus dem Knochenmark Erwachsener oder aus Nabelschnurblut gewonnen werden können. Die Bevorzugung adulter Stammzellen bedeute keinen Standortnachteil für Deutschland, zitierte die katholische Nachrichten-Agentur KNA Schavan. Viele Wissenschaftler hätten erkannt, dass die embryonale Stammzellenforschung nicht soviel Erfolg verspreche wie zunächst angenommen und forschten längst in eine andere Richtung, sagte Schavan.

Beim internationalen Symposium der Deutschen Gesellschaft für Regenerative Medizin Anfang Dezember in Berlin indes wurde Schavans Äußerung von zwei der führenden deutschen Experten - Hans Schöler aus München und Jürgen Hescheler aus Köln - eher skeptisch aufgenommen.

Zwar gibt es seit Jahren Hinweise deutscher Wissenschaftler, dass die ethisch unumstrittenen Stammzellen aus dem Knochenmark speziell bei Herzpatienten enorme Heilkräfte entfalten können. Die Ergebnisse einer aktuellen belgischen Studie mit 70 Infarktpatienten (Lancet, Bd. 367, S 113) sowie kürzlich auf dem Fachkongress AHA in Dallas mündlich vorgetragene Resultate einer norwegischen Arbeitsgruppe an 101 Patienten fanden jedoch keine Besserung. Ob und unter welchen Umständen der Transfer von Stammzellen aus dem Knochenmark in den Herzmuskel nach einem Infarkt nun tatsächlich die Pumpleistung erhöhen kann, bleibt somit ungeklärt.

Die Grenzen der Erkenntnis wurden auch im vergangenen September auf einem Workshop im japanischen Kobe deutlich, den die Max-Planck-Gesellschaft, die Schering Forschungsgesellschaft und das japanische Riken-Zentrum für Entwicklungsbiologie gemeinsam veranstaltet haben. Dort lautete die zentrale Frage: Wie lassen sich ohne Rückgriff auf Eizellen und Embryonen möglichst vielseitige Stammzellen gewinnen und daraus gesunde Gewebe entwickeln?

Gesucht wird ein "magischer Cocktail" aus Proteinen, die das Wachstum steuern und mit dem sich die Entwicklung erwachsene Zellen kontrolliert umkehren ließe. Noch aber kennt keiner die Zusammensetzung dieses Cocktails und selbst Schätzungen über die Zahl der benötigten Proteine schwanken zwischen 3 und 20. Phillippe Colas von der Universität Oslo ist es immerhin gelungen, Hautzellen mittels Zellextrakten umzugestalten und dabei Gewebe zu ernten, die der Bauchspeicheldrüse, dem Herzmuskel sowie bestimmten Immunzellen ähnelten. "Auf jeden Fall haben wir etwas programmiert", sagt Collas - und räumt gleichzeitig ein, dass seine Arbeit dem Stochern im Nebel gleiche.

Der Entwicklungsbiologe und Max-Planck-Vizepräsident Herbert Jäckle ist sicher, dass es den gewünschten Ersatzteilkasten aus Stammzellen eines Tages geben wird. Er weiß aber auch, dass das Wunder noch dauern wird: "Es liegt noch ein sehr langer Weg vor uns, dessen Ende viele gar nicht mehr erleben werden."

Michael Simm



Letzte Änderungen: 14.02.2006