Editorial

Präsidiale Ehre

(29.11.2018) Der AiCuris GmbH gehört die Zukunft – und der Deutsche Zukunftspreis. Den bekam die Firma gestern für ihre „lebens­rettende Innovation gegen gefährliche Viren“.
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Holger Zimmermann und Helga Rübsamen-Schaeff mit Frank-Walter Steinmeier

Vor gut 20 Jahren hatte der damalige deutsche Bundespräsident, Roman Herzog, ein großes Anliegen. „Wissenschaftliche Leistungen, Erfindergeist und innovatorische Kraft müssen wieder stärker gefördert und vor allem wieder stärker von der Öffent­lichkeit anerkannt werden.“ Und so ersann er den „Deutschen Zukunftspreis“, der in einer feierlichen Gala (übertragen vom öffentlich-rechtlichen Fernsehen) an Personen über­reicht werden soll, die sich durch exzellente „technische, ingenieur- oder natur­wissen­schaftliche Leistungen“ hervorgetan haben.

Gesagt, getan und so bekam 1997, direkt aus den Händen Roman Herzogs, der Ingenieur Christhard Deter aus Gera den allerersten Deutschen Zukunftspreis. Deter hatte die Laser-Display-Technologie entwickelt, mit der man auch auf riesigen Leinwänden gestochen scharfe Bilder hinbekommt.

Editorial
Getriebe, Wasserstoff und Viren

Zurück in die Gegenwart – der aktuelle Bundespräsident heißt Steinmeier und dieser vergab gestern Abend den Deutschen Zukunftspreis 2018. Nominiert waren insgesamt drei Teams. Team 1 (vom Maschinenbau-Unternehmen Wittenstein SE) entwickelte eine neue Art von Getrieben; Team 3 (bestehend aus Forschern von der Uni Erlangen-Nürnberg, dem Forschungszentrum Jülich und der Hydrogenious Technologies GmbH) wartete mit einem neuartigen Wasserstoff-basierten Energiespeicher auf. Beide mussten sich aber dem siegreichen Team 2, der AiCuris Anti-Infective Cures GmbH aus Wuppertal, geschlagen geben.

Helga Rübsamen-Schaeff, Gründungs-CEO und heutige Vorsitzende des wissenschaft­lichen Beirats, sowie Holger Zimmermann, CEO, nahmen die präsidiale Auszeichnung freudig entgegen. „Mit diesem renommierten Preis ausgezeichnet zu werden, ist eine große Ehre für uns und einer der Höhepunkte meiner wissenschaft­lichen Karriere“, sagte Rübsamen-Schaeff.

Jeder Zweite infiziert

Wofür aber bekam AiCuris den Preis? Die Firma entwickelte einen Wirkstoff (Letermovir), der vor den Angriffen des humanen Cytomegalie-Virus (CMV) schützt. Jeder Zweite ist mit diesem doppelsträngigen DNA-Virus aus der Familie der Herpesviren infiziert, bei den meisten hält das Immunsystem das Virus jedoch unter Kontrolle. Nur bei immunge­schwächten Personen, beispielsweise Transplanta­tionspatienten, kann es seine Patho­genität entfalten. Es kommt zu Fieber, Lungenentzündung und im Falle von Transplan­tationen zu Abstoßungsreaktionen.

Einige Wirkstoffe gegen CMV-Infektionen, die auf eine Polymerase abzielen, sind bereits zugelassen, aber Letermovir ist anders. „Wir haben Zellen infiziert, chemische Substanzen darauf gegeben, und dann festgestellt, ob das Virus gehemmt wird oder nicht. Und interes­santerweise haben wir dabei mehr als einmal die Terminase gefunden. Das musste ja irgendeinen Grund haben. Und das Gute ist: Der Mensch hat keine Terminase. Wenn wir also das virale Enzym angreifen, laufen wir nicht Gefahr, auch ein Enzym des Menschen zu treffen, wie bei der Polymerase“, erzählt Rübsamen-Schaeff in einem Vorab-Interview für den Zukunftspreis.

Unerwartetes Ende

Der Weg zum Wirkstoff, der inzwischen in der EU, der Schweiz, den USA, Japan und Kanada unter dem Namen Prevymis zugelassen ist, war jedoch nicht ganz einfach. Am Anfang, damals noch in der Entwicklungsabteilung der Bayer AG, standen drei aussichts­reiche Substanzen, von denen zwei bereits in der präklinischen Phase aufgegeben werden mussten. Die dritte Substanz jedoch war ein Volltreffer. Erste Entwick­lungspläne wurden geschmiedet. Dann kam jedoch etwas Unerwartetes: „Ende 2004 wurde mir gesagt, dass Bayer sich aus der Infektionsforschung zurückzieht. Das Geld fehlte, um weiterarbeiten zu können!“, erinnert sich Rübsamen-Schaeff.

Wie sollte es nun weitergehen? Eine Ausgründung wäre eine Option, aber Bayer signa­lisierte nur geringe Unterstützung bei dem Vorhaben und so entschloss sich Rübsamen-Schaeff ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen. „Ich saß vor dem Fernseher und hörte, dass die Brüder Strüngmann ihre Firma [Hexal] verkauft hatten. Ich kannte sie, weil ich bei ihnen, als ich noch in Frankfurt tätig war, über AIDS vorgetragen hatte und wir einen Tag lang sehr intensiv diskutierten, ob Hexal in die AIDS-Forschung einsteigen sollte, was dann aber nicht zustande kam. Am nächsten Tag – ich musste mich, ehrlich gesagt, ein bisschen überwinden – habe ich dort angerufen.“ Der Rest ist, wie es so schön heißt, Geschichte. Rübsamen-Schaeff gründete mit Strüngmann-Unterstützung die AiCuris GmbH 2006 und war bis 2015 deren Geschäftsführerin.

Einiges in der Pipeline

Womöglich bereut Bayer seine Entscheidung inzwischen. Denn AiCuris macht derzeit rund fünf Millionen Euro Umsatz mit Letermovir – monatlich! Dabei sind die Wuppertaler am Umsatz nur beteiligt, vertrieben wir das Medikament vom US-amerikanischen Pharma-Unternehmen Merck Sharp & Dohme. Von Merck gab es auch verschiedene Meilenstein-Zahlungen, die sich bisher auf 260 Millionen Euro belaufen und in die Entwicklung weiterer Wirkstoff-Kandidaten investiert werden sollen. So befinden sich aktuell drei weitere Sub­stanzen in klinischen Studien: AIC316 (Pritelivir), ein Helicase-Primase-Inhibitor gegen Herpes-Simplex-Infektionen; AIC649, ein neuartiger biologischer Immun-Modulator zur Behandlung von Hepatitis-B-Infektionen und AIC499, ein „Resistance Breaker“ bei Infektionen mit Gram-negativen Bakterien.

„Das waren sehr einsame Momente, in denen ich die Entscheidung traf, ob ich überhaupt eine Firma gründen und leiten wollte,“ erinnert sich Rübsamen-Schaeff. „Dann ist sie aber gefallen, aus Überzeugung. Ich habe mir gesagt: Einer muss es machen, man muss sich um diese wichtige und sehr innovative Forschung kümmern.“ Eine goldrichtige Entscheidung, wie der Zukunftspreis beweist.

Kathleen Gransalke

Das sehr lesenswerte Interview mit Rübsamen-Schaeff und Zimmermann gibt es auf der Seite des Deutschen Zukunftspreises.



Letzte Änderungen: 29.11.2018