Editorial

Mutieren ohne Geschwindigkeitsbegrenzung

(14.11.2018) Mit einem cleveren orthogonalen DNA-Replikationssystem lassen sich Bio­moleküle im Hochdurchsatz mithilfe der gerichteten Evolution optimieren.
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Der bislang übliche Weg zu Biomolekülen mit Wunsch-Eigenschaften führt über endlose Runden PCR-Mutagenese, gefolgt von Klonierung, Transformation und Selektion. Er ist zeitaufwendig, erfordert mehrfache Iterationen und die Adaptations­möglichkeiten sind begrenzt. Ein weiterer Nachteil ist, dass dieser Weg nicht für Hochdurchsatz-Experimente geeignet ist.

Ein Forscherteam um den Spezialisten für die Synthetische Evolution Chang Liu von der University of California in Irvine, USA, war überzeugt, dass es auch einfacher, schneller und effizienter gehen müsse. Dazu orientierten sie sich am effektivsten Evolutionssystem – an lebenden Zellen. Das ist im Prinzip nicht neu und wird auch bei Evolutions-Experimenten mit Mikroorganismen genutzt. Den Forschern aus Irvine waren die bestehenden bakteriellen Evolutions­systeme jedoch nicht praktikabel genug, da einzelne Gene aufgrund der sehr geringen Mutationsrate nur sehr langsam evolvieren. Eine Erhöhung der Mutationsrate in vivo ist aber nur sehr eingeschränkt möglich, da die Wirtszellen nur eine gewisse Mutationsrate tolerieren. Zudem stören Mutationen im Genom, die auch außerhalb der Zielgene entstehen, die gewünschte zielgerichtete Evolution.

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Ein besonderer Mechanismus

Die Lösung des Problems fand die Gruppe mit der DNA-Polymerase TP-DNAP1, die in Hefezellen das lineare DNA-Plasmid p1 repliziert. Die Initiation der p1-Replikation findet über einen besonderen Protein-Priming-Mechanismus statt. Zudem ist das p1-TP-DNAP1-System von der nuklearen DNA räumlich getrennt. Änderungen an der TP-DNAP1 sollten deshalb keinen Einfluss auf das Wirtsgenom haben – soweit die Annahme der kalifornischen Gruppe.

Die Forscher nahmen sich deshalb die TP-DNAP1 vor und unterzogen sie einer zielge­richteten Mutagenese. Die resultierenden Mutanten-Bibliotheken screenten sie nach fehleranfälligen TP-DNAP1-Varianten. Anschließend erzeugten sie Mutanten-Bibliotheken mit kombinierten Mutationen, die in der ersten Runde zu TP-DNAP1 mit erhöhten Fehler­raten geführt hatten, um die Fehlerrate von TP-DNAP1 weiter zu optimieren. Auf diese Weise erhielt die Gruppe schließlich eine TP-DNAP1-Variante mit einer mehr als 100.000-fach höheren Fehlerrate. Diese Variante mutierte p1 auch über 90 Generationen hinweg mit hoher Geschwindigkeit ohne die Mutationsrate der genomischen DNA im geringsten zu verändern. Die Kalifornier nannten dieses orthogonale Replikations­system deshalb OrthoRep.

Auch mehrere Gene möglich

Das Team um Liu integrierte OrthoRep in verschiedene Hefe-Systeme, darunter auch diploide Formen und industriell relevante Stämme. Außerdem hat es bereits verschiedene Integrationsvektoren in petto, um die p1 Genexpression anzupassen. Offensichtlich kann p1 mindestens 18-kb-lange DNA kodieren, sodass auch die Evolution von Signalwegen mit mehreren Genen möglich ist.

Mit OrthoRep ist die schnelle Evolution von Genen oder Gen-Gruppen möglich, die mit den üblichen Methoden nur über langwierige und groß angelegte parallele Experimente zu erreichen ist. Da nur geringe Zellkultur-Volumina benötigt werden, können viele Experi­mente parallel durchgeführt werden. OrthoRep lässt sich leicht skalieren und ist auch für die gerichtete Evolution von Genen im Bioreaktor-Maßstab geeignet. Ein entscheidender Vorteil ist zudem, dass das System in einer eukaryotischen Wirtszelle funktioniert, wodurch es insbesondere für humanbiologische Fragestellungen interessant ist.

Evolution der Mutation

Am Beispiel der Dihydrofolat-Reduktase aus dem Malaria-Erreger Plasmodium falciparum (PfDHFR) zeigen die Forscher, wie man mit OrthoRep die Ausbildung von Resistenzen untersuchen kann. Dazu mutierten sie die PfDHFR mit OrthoRep und erhielten PfDHFR-Mutanten, die gegen den PfDHFR-Inhibitor Pyrimethamin resistent waren. Über eine Sequenzanalyse der Mutanten konnte sich die Gruppe anschließend einen Überblick darüber verschaffen, wie sich die verschiedenen Mutationen im Verlauf der gerichteten Evolution auf die Entwicklung der Pyrimethamin-Resistenz auswirkten.

Miriam Colindres

Ravikumar A. et al. (2018): Scalable, continuous evolution of genes at mutation rates above genomic error thresholds. Cell, DOI: 10.1016/j.cell.2018.10.021



Letzte Änderungen: 14.11.2018