Editorial

“Ich kann jetzt in Frieden leben“

(05.11.2018) Die Philipp Schwartz-Initiative unterstützt seit 2016 gefährdete Wissenschaftlicher. Ein Stipendiat und sein Supervisor berichten von ihren Erfahrungen.
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Laborjournal: Weshalb sind Sie nach Deutschland gekommen?

Stipendiat: Nach dem Rückzug der Sicherheitskräfte hat ISIS 2014 meine und weitere Regionen im Irak besetzt. Sie begannen, in meinem multikulturell und multiethnisch geprägten Land die Leute zu zwingen, nach ihren Regeln zu leben. Das Leben wurde täglich schlechter, weshalb ich meine Region verlassen habe und an meine Arbeitsstelle an der Universität zurück­gekehrt bin. Ich konnte dann meine Familie nicht mehr besuchen, da das Reisen sehr gefährlich für mich wurde. Bei den Sicherheitskontrollen der Regierung, der Milizen oder von ISIS wurde ich schlecht behandelt und musste befürchten, umgebracht zu werden oder verschleppt zu werden und spurlos zu verschwinden wie so viele andere.

Wie gelang es Ihnen, den Irak zu verlassen?

Stipendiat: Ich habe bei Kurt Pfannkuche an der Uni Köln bereits 2015 nachgefragt, ob ich in seiner Arbeitsgruppe unterkommen könnte. Wir haben daraufhin ein Philipp Schwartz-Stipendium beantragt, das es mir ermöglicht hat, 2017 nach Deutschland zu kommen. Dank meiner Universitätsausbildung und da ich bereits internationale Erfahrung in Europa hatte, konnte ich als Wissenschaftler kommen und nicht als Flüchtling.

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Herr Pfannkuche, kannten Sie den gefährdeten Wissenschaftler bereits vorher?

Kurt Pfannkuche: Ja. Vor einigen Jahren ist er schon einmal für drei Monate über den DAAD in meiner Gruppe zu Gast gewesen. In der Zwischenzeit haben wir den Kontakt immer sporadisch aufrechterhalten. Seine Integration in mein Team hat ganz problemlos funktioniert. Im Labor konnte er sich schnell in den Arbeitsbereich eines ausscheidenden Postdocs einarbeiten und die Projekte weiterführen.

Wie ging die Antragstellung für das Stipendium vonstatten?

Pfannkuche: Das International Office der Universität Köln hat mich vorab bei der Antrag­stellung beraten. Im Vergleich zu anderen Fördermittelanträgen ist die Beantragung des Philipp Schwartz-Stipendiums unbürokratisch und der Aufwand recht überschaubar. Allerdings muss die Gefährdung des aufzunehmenden Wissenschaftlers belegt werden. Die in London ansässige Organisation CARA hat den betreffenden Wissenschaftler schon länger begleitet und beraten und ein entsprechendes Gutachten erstellt. Wir haben dann ungefähr acht Wochen auf die Entscheidung der Humboldt-Stiftung gewartet. Das ging extrem schnell.

Gab es auch Hürden zu überwinden?

Pfannkuche: Ihn aus dem Irak herauszubekommen, war richtig problematisch. Das hat ab Bewilligung des Stipendiums ein halbes Jahr gedauert, weil kein Visum ausgestellt wurde. Es wurden deutsche Übersetzungen von nebensächlichen Dokumenten nachgefordert und der Vorgang wurde durch das deutsche Konsulat vor Ort extrem langsam bearbeitet. Zusätzlich habe ich erfolglos versucht, den deutschen Botschafter im Irak zu kontaktieren. Das war sehr nervenaufreibend.

Welche Unterstützung hat die Universität angeboten?

Stipendiat: Besonders das International Office der Universität hat mich und meine Familie in vielerlei Hinsicht unterstützt. Zum Beispiel hat das Büro kurzfristig eine möblierte Wohnung in der Nähe der Universität besorgt und andere administrative Aspekte organisiert. Wir erhielten Zugang zu Deutschkursen und regelmäßigen Treffen. Das Büro unterstützte uns auch dabei, die deutsche Kultur kennenzulernen und uns zu integrieren.

Wie hat sich Ihr Leben seither verändert?

Stipendiat: Ich kann jetzt in Frieden leben. Ich fühle mich sicher und kann gut schlafen, da ich auf der Straße nicht in Gefahr bin. Ich habe neue Menschen entdeckt, eine neue Sprache, ein neues Leben, eine neue Kultur und ein neues gesellschaftliches und wissen­schaftliches Umfeld. Alle diese Dinge haben mein Denken und Wissen erweitert. Natürlich vermisse ich auch den Irak. Ich habe dort noch eine Stelle, nur gibt es derzeit keine Unterstützung für die Forschung im Irak.

Wie sehen Ihre Erwartungen an die Zukunft aus?

Stipendiat: Ich werde versuchen, meine Forschung in Deutschland oder Europa fort­zusetzen, soweit möglich. Ich würde auch gerne Wissen und Technologie in mein Land transferieren, um das Erziehungs- und Wissenschaftssystem dort zu verbessern. Ich bin allen Personen extrem dankbar, die mir geholfen haben, hierher zu kommen, in Sicherheit zu leben und Wissenschaft betreiben zu können, die den Menschen zugutekommt.

Unterstützen Sie weitere gefährdete Wissenschaftler oder planen Sie dies?

Pfannkuche: Derzeit habe ich keine entsprechenden Pläne. Ich habe aber noch andere internationale Projekte. Gemeinsam mit einem Mitarbeiter bauen wir eine Zusammenarbeit mit der Sindh Agriculture University in Tandojam, Pakistan auf. Dieses Jahr haben wir eine Online-Vorlesung zum Thema Zellkultur-Technik gehalten. Langfristig möchten wir an der Universität den Zugang zu aktueller Forschung in der Stammzelltechnologie ermöglichen.

Die Fragen stellte Bettina Dupont



Letzte Änderungen: 05.11.2018