Editorial

Viel Luft nach Oben

(29.10.2018) Zu selten initiieren Deutschlands Uni­versitätsmediziner klinischen Studien, beklagen Wissen­schaftsrat und Deutsche Forschungsgemeinschaft.
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„Das Potenzial klinischer Studien wird in Deutschland nicht ausgeschöpft.“ So leitete der Wissenschaftsrat auf seiner Herbst­tagung die Präsentation seiner frischen „Empfehlungen zu Klinischen Studien“ ein. Und in der gemeinsamen Erklärung mit der DFG-Senatskommission für Grundsatz­fragen in der Klinischen Forschung, die die Empfehlungen flankiert, legen beide sogar noch einen drauf: „Rezente Analysen zeigen, dass die Leistungsfähigkeit Deutschlands in bestimmten Feldern klinischer Studien [...] derzeit nicht den Erwartungen Deutschlands als führende Wissenschaftsnation entspricht.“

Neu ist das nicht. Blenden wir sechs Jahre zurück zu einem Übersichtsartikel über klinische Studien in Deutschland in Trials, der letztlich festhielt: „Obwohl deren Nutzen bereits in vielen anderen Ländern erkannt wurde, finden klinische und vergleichende Effektivitätsstudien in Deutschland sehr selten statt.“ Als Ursache identifizierten die Autoren vor allem strukturelle Barrieren, die die Studienzahl auf derart niedrigem Niveau hielten.

Editorial
Mit Pharmafirmen aufs Siegertreppchen

Vor zwei Jahren überschlug sich dann der Verband Forschender Arzneimittelhersteller (vfa) geradezu mit der Meldung, dass Deutschland weltweit die Nr. 2 bei denjenigen klinischen Arzneimittelstudien sei, die von Pharmafirmen veranlasst wurden. Was generell hieß, dass der Standort offenbar doch einiges für Arzneimittelstudien zu bieten hat.

Dennoch klaffte zwischen den Pharma-Arzneimittelstudien und den klinischen Grund­lagenstudien, die von der akademischen Medizin initiiert werden und keine kommerzielle Verwertung anpeilen, ein Riesenloch. Betrachtete man nur die „Königsdisziplin“ der großen randomisierten und kontrollierten Vergleichsstudien (RCT), die die Effektivitäten verschie­dener Behandlungsmethoden für ein und dieselbe Krankheit miteinander vergleichen, sah die Welt ganz anders aus: Von über hundert publizierten RCT-Studien eines Jahres kam gerade mal eine Handvoll aus deutschen Landen.

Der Wissenschaftsrat hatte diese Schieflage damals schon erkannt, denn kurz zuvor hatte er in seinem damaligen Papier „Perspektiven der Universitätsmedizin“ bereits bilanziert, dass „die Strukturen und Ressourcen für eine leistungsfähige klinische Forschung hierzulande nicht in ausreichendem Maße gegeben“ seien.

Therapie-Empfehlungen

Die Diagnose für den Patient „Klinische Forschung“ steht also schon länger fest. Mit seinen neuen Empfehlungen startet der Wissenschaftsrat nun einen ersten Therapievorschlag.

„Pille Nummer 1“ ist Geld. Studien von acht bis zehn Jahren Dauer und Kosten im Umfang von fünf bis zehn Millionen Euro sollten durch entsprechende Förderangebote ermöglicht werden. Adressaten sind natürlich zunächst einmal das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) sowie die DFG. Dazu regen die Empfehlungen aber an, mittelfristig auch die Krankenkassen in die Finanzierung mit einzubeziehen – „auch wenn dies eine weitreichende Änderung des Rechtsrahmens erfordert“.

„Pille Nummer 2“ ist die Verbesserung der Rahmenbedingungen durch die Schaffung professionalisierter Clinical Trial Units (CTUs) an den Universitäten – wie auch von Specialized Clinical Trial Units (SCTUs), um spezifische Profile in klinischen Studien auszuprägen.

Patienten und Industrie einbeziehen

Des Weiteren empfiehlt der Wissenschaftsrat noch die Einnahme weiterer kleinerer Pillen. Dazu gehört etwa die Einbeziehung der Patienten in die Entwicklung und Konzeption klinischer Studien, um sie besser als bislang am Patientenwohl zu orientieren. Und weiterhin – wie eigentlich zu erwarten war – die Professionalisierung und Intensivierung der Zusammenarbeit von Universitätsmedizin und Industrie.

Ob die gesamte Therapie am Ende anschlägt und der Patient Linderung erfährt, müssen die weiteren Untersuchungen zeigen. Eine komplette Genesung jedoch dürfte eher eine langwierige Angelegenheit werden. Vorausgesetzt die Therapie wird nicht nur empfohlen, sondern auch konkret gestartet.

Ralf Neumann



Letzte Änderungen: 29.10.2018