Editorial

Praktikantin, Philosoph und Katze

(02.10.2018) Unsere (andere) TA erhält einen verzwei­felten Anruf und startet eine Vermissten­suche. Löst sich der Fall bevor die Polizei kommt?
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Ein weltbekannter Philosoph soll einmal gesagt haben: „Es ist sehr schwer, eine schwarze Katze in einem dunklen Zimmer zu finden. Erst recht, wenn sie gar nicht da ist!“ Nun war es in unserem Fall keine schwarze Katze, sondern eine Praktikantin.

Es begann mit einer Stimme am Telefon.

„Guten Tag, ich bin der Lehrer von Paula. Sie macht gerade ein Praktikum bei Ihnen und ich würde sie gerne mal sprechen.“

Ich bin verwirrt. Derzeit haben wir nicht eine einzige Schulpraktikantin. Außerdem darf man ja heutzutage nicht alles glauben, was einem fremde Menschen am Telefon erzählen. Andererseits fragt dieser Mann nicht nach unseren Kontodaten, er will auch keine Umfrage machen oder uns einen Autogewinn verkünden. Er fragt nur nach Paula. Deshalb gebe ich bereitwillig Auskunft.

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„Hier gibt es keine Paula.“

„Aber hier im Praktikumsvertrag steht Ihre Telefonnummer.“

„Es tut mir leid, aber es gibt in unserer Arbeitsgruppe derzeit keine Paula, und die nächste Schulpraktikantin kommt erst in fünf Wochen.“

Der Lehrer gibt nicht auf.

„In Paulas Praktikumsvertrag stehen Ihre Adresse und Telefonnummer.“

Ich halte die Muschel zu. „Weiß jemand etwas von einer Schulpraktikantin namens Paula?“, rufe ich ins Labor hinein. Es kann ja sein, dass es mal wieder alle wissen, nur ich nicht.

Schweigen.

„Es tut mir leid, aber meine Kollegen wissen auch nichts von einer Paula.“

„Aber wo ist sie denn dann?“

Der arme Mann scheint richtig verzweifelt. Wahrscheinlich fragt er sich, mit welch zwielichtigen Gestalten sich Paula da eingelassen hat, und sieht sein verirrtes Schäfchen schon von knurrenden Wölfen umringt. Dem muss ich abhelfen.

„Geben Sie mir bitte Ihre Telefonnummer. Ich werde der Sache auf den Grund gehen“, verspreche ich und lege auf.

In der nächsten Viertelstunde frage ich mich durch nahezu unsere gesamte Arbeitsgruppe. Sekretärin, zwei von vier Postdocs, die anderen beiden betreuen gerade das Studenten­praktikum, meine TA-Kollegin – niemand weiß etwas von Paula.

Dann hat meine TA-Kollegin eine Idee. „Wir sollten die Postdocs frage, die das Praktikum betreuen. Einer muss doch was wissen.“

„Weißt du denn, wo das stattfindet?“

„Kann nur bei AG Müller oder AG Schmidt sein. Wohin gehen wir zuerst?“

Es war schon immer mein Traum, bei anderen Arbeitsgruppen vorzusprechen und folgende Frage zu stellen: „Guten Tag, uns ist womöglich eine Schulpraktikantin abhandengekommen, sofern wir sie denn überhaupt gehabt haben. Ist die vielleicht bei euch?“

Von meiner Entscheidung hängt es jetzt also ab, ob wir diese Tatsache vor einer oder in zwei Arbeitsgruppen ausbreiten müssen. Meine erste Wahl erweist sich natürlich als Zonk. Die Blicke der AG-Schmidt-Mitarbeiter stehen denen unserer eigenen Kollegen in nichts nach. Wir machen uns also auf den Weg zur AG Müller. Ob der Philosoph mit seiner metaphorischen Katze auch solche Mühe hatte? Hieß die vielleicht sogar auch Paula?

Endlich finden wir einen unserer Postdocs im ersten der beiden Praktikumsräume, umgeben von zehn Studenten.

„Ist hier eine Schülerpraktikantin namens Paula?“, ruft meine Kollegin in die Menge. Ein Moment des Schweigens, dann erklingt die Stimme unseres Postdocs aus dem Hintergrund.

„Die ist in der anderen Gruppe.“

Aha! Endlich eine Spur. Also marschieren meine Kollegin und ich zum nächsten Praktikumsraum. Und dort finden wir Paula! Es stellt sich heraus, dass diese pünktlich um 9:00 Uhr zum Praktikum bei uns angetreten, dann aber den beiden praktikums­ausrichtenden Postdocs über den Weg gelaufen ist, die sie kurzerhand unter den Arm klemmten und mit ins Studentenpraktikum nahmen.

Paula aber ist völlig zufrieden. „Der Postdocs und die Studenten sind total nett und erklären mir alles.“

Ich gebe ihr den Zettel mit der Telefonnummer ihres Lehrers und bitte sie, sich dennoch unverzüglich bei ihm zu melden, bevor dieser uns wegen „Verlust von Schutzbefohlenen“ die Polizei auf den Hals hetzt.

Wir kehren in unsere eigene Arbeitsgruppe zurück, in der Gewissheit, dass Paula ein schönes Praktikum verbringt und ihr Lehrer seinen Seelenfrieden zurückerlangt hat. Diese Gewissheit war allerdings ein schweres Stück Arbeit.

Oder, frei nach dem Philosophen „Es ist sehr schwer eine Praktikantin in der eigenen Arbeitsgruppe zu finden. Erst recht, wenn sie im Studentenpraktikum ist.“

Maike Ruprecht



Letzte Änderungen: 02.10.2018