Editorial

Die Bremsen lösen

(01.10.2018) James P. Allison und Tasuku Honjo teilen sich den diesjährigen Medizin-Nobelpreis. Ihre Entdeckungen ebneten den Weg für die Immunonkologie.
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Auch wenn es derzeit einige Wissenschafts­preise gibt, die zum Teil mit mehr Preisgeld aufwarten können, an Prestige und Ehrwür­digkeit des Nobelpreises kommt keiner so schnell ran. Und so rutschen wohl so manche Wissenschafts­interessierte auf der ganzen Welt (inklusive einiger Wissen­schaftler) jedes Jahr Anfang Oktober aufgeregt auf ihren Stühlen hin und her und warten auf die Preis-Verkündung.

Erst anderthalb Stunde vor der offiziellen Pressekonferenz hatte sich das Nobelpreis-Komitee, das sich aus Professoren des Karolinska-Instituts zusammensetzt, auf die Gewinner geeinigt. Die Entscheidung ist ihnen sicher nicht schwer gefallen. Denn die beiden Preisträger haben für den Kampf gegen Krebs eine völlig neue Waffe entwickelt. Im Gegensatz zu den konventionellen Behan­dlungs­möglichkeiten (Strahlen- und Chemotherapie) greifen Immun-Checkpoint-Inhibitoren nämlich nicht die Krebszellen direkt an, sie machen aber das körpereigene Immunsystem kampfbereit.

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Aktivierung und De-Aktivierung

Der Texaner James P. Allison, derzeit am MD Anderson Cancer Center in Houston tätig, ist Pionier dieser Immuntherapie gegen Krebs. In den Neunziger entdeckte er, dass das T-Zell-Oberflächenprotein CD28 als Co-Stimulator für die T-Zell-Aktivierung gebraucht wird. Allison fand auch heraus, dass ein weiteres Molekül, cytotoxic T-lymphocyte-associated Protein 4 oder kurz CTLA-4, diese Co-Stimulation unterbindet und damit die T-Zell-Aktivierung unterdrückt.

Unter normalen Umständen sorgt CTLA-4 somit dafür, dass das Immunsystem nicht überreagiert. In anderen Fällen, wie bei einer Krebserkrankung, wäre es allerdings hilfreich, wenn sich das Immunsystem etwas mehr mit einbringt. Allisons Idee: wenn man die Blockade löst, könnte die T-Zelle ihre Aufgabe in der Tumorerkennung und -beseitigung aktiver nachkommen. Gesagt getan. Weihnachten 1994 gelangen die entscheidenden Experimente im Labor an der Universität von Kalifornien, Berkeley. Tumore von Mäusen, die mit einem Antikörper gegen CTLA-4 behandelt wurden, wuchsen nicht weiter, zwei von fünf Tieren waren auch rund 2 Monate später noch Tumor-frei.

Nachdem eine Pharma-Firma gefunden wurde, die den Antikörper herstellte wollte, waren klinische Studien der nächste logische Schritt. Letztlich führten diese zur Zulassung von Ipilimumab in den USA und Europa für die Behandlung von metastatischem Melanom im Jahr 2011. Derzeit laufen klinische Studien zur Wirksamkeit des Antikörpers bei Lungen-, Blasen- und Prostatakrebs.

Mit Preisen überschüttet

Allison hat allein in den letzten vier Jahren diverse hochkarätige Preise abgeräumt – darunter der Breakthrough Prize (2014), der Gairdner Prize (2014), der Lasker-Award (2015), und der Balzan-Preis (2017). Der Nobelpreis war also nur eine Frage der Zeit.

Sein Co-Preisträger Tasuku Honjo von der Universität Kyoto hat noch etwas Platz im Trophäenschrank – obwohl seine Entdeckung der von Allison in nichts nachsteht, im Gegenteil sogar. Ebenfalls in den Neunzigern beschäftigte sich Honjo nämlich mit einem weiteren Oberflächen-Molekül auf T-Zellen: Programmed cell death protein 1 oder PD-1. Dieses Protein agiert, ähnlich wie CTLA-4, als Immun-Checkpoint. Gute Sache unter normalen Umständen; jedoch exprimieren viele Krebszellen zum Beispiel Melanomzellen PD-L1, den Programmed death-ligand 1, der an PD-1 auf T-Zellen bindet. Diese fatale Bindung setzt die T-Zellen komplett außer Gefecht. Auch hier gilt: wenn man dieses Stopp-Signal aufheben kann, kann das Immunsystem wieder loslegen und die malignen Feinde bekämpfen.

Spektakuläre Kombination

Klinische Studien mit einem Anti-PD-1-Antikörper zeigten noch weitaus vielversprech­endere Resultate als die mit dem Anti-CTLA-4-Antikörper. Kein Wunder also, dass die Zulassung dieser neuen Therapie ebenfalls nicht lange auf sich warten ließ. Seit 2014 ist Nivolumab bei metastatischem Melanom auf dem US-Markt, in Europa ist es seit 2015 zugelassen. Verschiedene Pharma-Firmen basteln zurzeit an ihren eigenen Anti-PD-1-Versionen.

Ein weiteres Highlight: Die Kombination beider Präparate scheint noch effektiver zu sein als jeder Antikörper allein. So fügt sich die Arbeit auf zwei Kontinenten zu einem großen Ganzen zusammen – mit, wie es das Nobelkomitee beschreibt, „spektakulären Fortschritten“ für die Medizin.

Kathleen Gransalke

P.S. Leider hat es mal wieder keine Frau auf den Nobel-Thron geschafft.



Letzte Änderungen: 01.10.2018