Editorial

Immunsystem ausgetrickst

(05.09.2018) Gentherapien scheitern oft an der Immunpatrouille. Injiziert man den Vektor zusammen mit einem modifizierten Plasmid, bleibt die Immunreaktion jedoch aus.
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Duchenne-Muskeldystrophie ist ein kleiner genetischer Fehler mit dramatischen Folgen. Durch eine Mutation auf dem X-Chromosom produziert der Körper wenig oder gar kein Dystrophin. Für die Plasmamembran-Integrität von Skelett- und Herzmuskel­faserzellen ist das Protein aber unerlässlich, bei Mangel drohen deshalb sukzessiver Muskelschwund, Kindheit im Rollstuhl und frühes Ableben. Betroffen ist circa einer von 5.000 Knaben.

Da es sich bei der Krankheit um einen gut verstandenen Einzelgendefekt handelt, drängen sich Gentherapie-Ansätze förmlich auf. Theoretisch müsste man Patienten „nur“ das intakte Dystrophin-Gen langfristig untermogeln und die körpereigenen Muskel- und Herzzellen zur Synthese des „richtigen“ Proteins motivieren. So einfach ist es leider nicht, da das Immunsystem permanent patrouilliert und unbekannte Neulinge eliminiert. Kaum dass der Organismus erstmals ein intaktes Dystrophin-Protein hervorbringt, schrillen die Alarmglocken. Dasselbe gilt für die Genfähre selbst, meist handelt es sich hierbei um rekombinante Adeno-Assoziierte Virus (rAAV)-Vektoren.

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Schleuser-Tricks

Einem Forscherteam um den Neurologen und Kinderarzt Lawrence Steinman von der Stanford University ist es gelungen, das Immunsystem auszutricksen, so dass es das eingeschleuste Dystrophin mitsamt Verpackung nicht attackiert. Um die Dystrophin-Fracht handlich genug für den Transport zu machen, reduzierten die Forscher das Gen auf das Wesentliche.

Mit seinen 2,2Mb und 79 Exons nimmt das Dystrophin-Gen gut ein Promille des menschlichen Genoms in Anspruch. Das sprengt das Fassungsvermögen von rAAV-Vektoren bei weitem. Seit Jahren arbeiten Forscher deshalb an abgespeckten Varianten. Eine auf knapp 4kb reduzierte Genvariante, die etwa für ein Drittel des Wildtyp-Proteins codiert, kann das Original zumindest im Mausmodell, funktionell ersetzten. Maus und Mensch sind hier zu 90 Prozent homolog.

Für Therapieerfolge muss die Produktion des Muskelproteins dauerhaft stabil sein. Aber wie lässt sich die Immunantwort gegen das fremde Dystrophin und die Viruskapsel-Proteine verhindern?

G statt C

Die Gruppe nutzte hierzu ein DNA-Plasmid, das ein Micro-Dystrophin-Gen beherbergte. Auf dem übrigen Plasmid, das nicht viel mehr als einen Resistenzmarker für die Selektion sowie einen Replikationsursprung für die Vermehrung in E.coli enthielt, ersetzten die Wissenschaftler CpG- durch GpG-Motive. Aus Bakterienkulturen gewonnene Plasmide enthalten unmethylierte CpG-Motive, die im tierischen Immunsystem den TLR9-Signalweg auslösen, der die Immunreaktion ankurbelt. GpG-Motive wirken dagegen immun­supprimierend und unterdrücken das Immunsystem.

Als Modellsystem für die Dystrophin-Gentherapie verwendete Steinmans Team eine Maus-Doppelmutante, die neben dem Dystrophin-Defekt eine Telomer-Fehlfunktion aufwies. Ihr Krankheitsverlauf ähnelt dem des menschlichen Patienten, spielt sich jedoch wie im Zeitraffer ab: Nach dreißig Wochen entspricht das Krankheitsbild dem eines jungen Erwachsenen.

Wöchentliche Injektion

Die Gruppe injizierte einen rAAV6-Vektor mit der Micro-Dystrophin-cDNA in die Schwanzvene sechs Wochen alter Mausmutanten-Männchen die (noch) keine Krankheitssymptome zeigten. Eine Woche später erhielten die Mäuse wöchentlich eine zusätzliche intramuskuläre Injektion in den Quadrizeps: Der Kontrollgruppe wurde immer nur reine Pufferlösung injiziert. Die zweite Gruppe erhielt eine Pufferlösung mit dem leeren Plasmid, die dritte Gruppe das Plasmid mit dem Micro-Dystrophin-Gen.

Nach 38 Wochen stellten die Forscher die Mäuse mit Betäubungsmittel ruhig und stimulierten den Wadenmuskel (Musculus gastrocnemius) mit einem elektrischen Reiz. Anschließend maßen sie die Stärke der Muskelbewegung. Mäuse, die wöchentlich eine Injektion mit dem Micro-Dystrophin-Plasmid erhalten hatten, reagierten etwa doppelt so stark wie die Kontrollgruppe. Interessanterweise zuckten aber auch die Muskeln der zweiten Gruppe, die leere Plasmide empfangen hatte, etwas kräftiger als die Kontrolle.

Antikörper-frei

Fünf, 16, und 32 Wochen nach Behandlungsbeginn untersuchten die Forscher die Immunantwort im Mäuseserum mithilfe eines Peptid-Microarrays, der 300 zwanzig-Aminosäuren-lange Peptide von menschlichem Dystrophin und viralen Kapsidproteinen repräsentierte. Im Serum der mit dem Micro-Dystrophin-Plasmid behandelten Mäuse waren praktisch keine Antikörper gegen die Dystrophin-Peptide nachzuweisen. Es wurden aber auch keine Antikörper gegen die Peptide der Virushülle gebildet.

In den Kontroll-Mäusen tauchten mit der Zeit jedoch immer mehr Antikörper gegen Dystrophin und die Kapsidproteine auf. Die Immunantwort der Mäuse, die ein leeres Plasmid erhalten hatten, lag dazwischen. Eine plausible Erklärung dafür liegt auf der Hand: Durch den Austausch der CpG-Motive gegen GpG-Motive wurden Entzündungsreaktionen unspezifisch gedämpft.

Das „Toleranz“-Plasmid der amerikanischen Gruppe könnte neuen Schwung in Gentherapien mit Transgenen bringen, die bisher eine zu starke Immunantwort auslösten und deshalb ungeeignet erschienen.

Andrea Pitzschke

Ho P. et al. (2018): Engineered DNA plasmid reduces immunity to dystrophin while improving muscle force in a model of gene therapy of Duchenne dystrophy. PNAS, DOI: 10.1073/pnas.1808648115



Letzte Änderungen: 05.09.2018