Editorial

Kuriosität der Natur

(17.07.2018) Die Hefe Ascoidea asiatica hat die Wahl. Soll sie das CUG-Codon in Serin oder lieber in Leucin translatieren? Der Zufall entscheidet.
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Lange Zeit galt der genetische Code als universell: alle Lebewesen nutzen die gleichen Codons, um die gleichen Aminosäuren zu kodieren. Mit der Zeit wurden jedoch Ausnahmen entdeckt wie beispielsweise Stop-Codons, die in die Aminosäure Seleno­cystein umgeschrieben werden. Allerdings ist dies immer kontext­abhängig, d. h. an einer bestimmten Stelle in einem bestimmten Gen kodiert das Stop-Codon immer für die nicht-kanonische Aminosäure. Zusätzlich gibt es beispielsweise einige Hefen, die ein Aminosäure-kodierendes Codon unterschiedlich behandeln. Sie übersetzen das Codon CUG entweder in Alanin oder in Serin anstatt in Leucin wie sonst üblich.

Was aber blieb, ist die Eindeutigkeit des Codes in der Richtung von DNA zu Protein: Bei jedem Organismus kodiert ein Codon am gleichen Genort immer für die gleiche Aminosäure. Auch diese letzte Bastion scheint jetzt aber gefallen zu sein. Die Hefe Ascoidea asiatica entscheidet nämlich rein zufällig, ob sie für CUG ein Serin oder ein Leucin in die entsprechende Peptidkette einbaut. Die Konsequenz ist, dass sich ausgehend von einem Gen die Protein-Sequenz nicht mehr eindeutig vorhersagen lässt. Dies ist bisher einzigartig und umso erstaunlicher als Serin und Leucin zwei Aminosäuren sind, die sehr unterschiedliche Eigenschaften aufweisen und somit einen großen Einfluss auf die Funktio­nalität eines Proteins haben sollten.

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Zwei Aminosäuren für ein Codon

In Abhängigkeit von ihrem Anticodon werden die Transfer-RNAs mit der entsprechenden Aminosäure beladen. Dies wird von einer für die jeweilige Aminosäure spezifischen Aminoacyl-tRNA-Synthetase bewerkstelligt. Interessan­terweise zeigte die tRNA mit dem Anticodon zu CUG aus A. asiatica keine Ähnlichkeit zu tRNA(CUG)s von anderen Organismen. Wissen­schaftler aus Göttingen und Bath (England) schauten sich deshalb bei dieser Hefe und ihren nahen Verwandten an, welche Aminosäuren proteomweit für CUG eingebaut wurden. Auffällig war dabei zuerst einmal, dass im Genom von A. asiatica im Vergleich zu anderen Hefen nur sehr wenige CUG-Codons gefunden wurden. Diese kodierten dann je zur Hälfte für Leucin bzw. Serin. Die verwandten Hefen Saccharo­mycopsis fibuligera, Saccharo­mycopsis malanga und Ascoidea rubescens übersetzen das Codon dagegen fast ausschließlich in Serin.

Wie aber entscheidet sich A. asiatica zwischen Leucin und Serin? Geschieht dies rein zufällig oder wird die Aminosäure durch an das Codon angrenzende Sequenz­motive festgelegt, so wie es bei der Kodierung von Seleno­cystein der Fall ist? Letzteres konnten die Forscher ausschließen, denn die Analyse ergab, dass dasselbe Codon in beide Aminosäuren umgeschrieben werden konnte. Offensichtlich erfolgt die Auswahl also wirklich zufällig. Was ist aber die molekulare Grundlage dafür? Zum einen könnten zwei tRNAs existieren, die dasselbe Anticodon tragen, aber spezifisch entweder mit Serin oder Leucin beladen werden, zum anderen könnte es beim Beladen zu Fehlern kommen, die den Einbau falscher Aminosäuren zur Folge hätte. So weiß man, dass bei Candida albicans die tRNA mit dem Anticodon zu CUG tatsächlich manchmal fälschlicherweise mit Leucin beladen wird. Allerdings geschieht dies nur in etwa 3% der Fälle, während eine falsche Beladung jeder zweiten tRNA, wie es bei A. asiatica ja der Fall sein müsste, extrem unwahr­scheinlich erscheint.

Wettbewerb der tRNAs

Viel wahrscheinlicher ist, dass zwei verschiedene tRNAs mit dem gleichen Anticodon vorliegen, die sich gegenseitig Konkurrenz machen. Dabei kommt wohl wirklich der Zufall ins Spiel wie Martin Kollmar vom Max-Planck-Institut für Biophysi­kalische Chemie und Letztautor der Veröffentlichung darlegt: „Aus unseren Daten lässt sich schließen, dass in jeder einzelnen A. asiatica-Zelle die CUG-Codons zufällig übersetzt werden, und dies ist eigentlich nur vorstellbar, wenn immer die tRNA verwendet wird, die gerade in der Nähe ist.“

Der experimentelle Beweis ist allerdings technisch zurzeit kaum möglich. „Was uns dazu fehlt, ist das Proteom einer einzelnen Zelle, damit man direkt sehen kann, ob die CUG-Codons in demselben Gen wirklich 50:50 mit Serin oder Leucin übersetzt werden. Um oberhalb der Detektions­grenze bei der LC-MSMS [Flüssig­chromatographie mit Massen­spektrometrie-Kopplung] zu sein, bräuchten wir aber mindestens 50-100 Protein-Kopien. Für die nur schwach exprimierten Gene, in denen CUG bei A. asiatica vorkommt, ist das sehr unwahrscheinlich.“ Computer-Analysen ergaben jedoch, dass die drei Arten A. asiatica, S. fibuligera und S. malanga zwei konkur­rierende tRNAs besitzen. Allerdings scheinen die Saccharo­mycopsis-Arten die tRNA für Leucin nur sehr selten zu benutzen.

Seit Millionen Jahren fit

Wie man sich leicht vorstellen kann, ist eine uneindeutige, zufällige Nutzung von Codons für einen Organismus eher ungünstig. Normaler­weise wird ein solches Problem gelöst, indem eine der beiden tRNAs mit der Zeit verloren geht. A. asiatica lebt aber seit mindestens 100, wahrscheinlich 200 Millionen Jahren mit der zufalls­gesteuerten Translation und scheint dadurch keine Fitness-Einbußen zu haben. Wie kommt die Hefe mit diesem ungünstigen Übergangs­zustand zurecht? Es scheint so, als würde sie es schlicht und einfach vermeiden, das Codon CUG zu benutzen. An allen konservierten und für die Funktio­nalität von Proteinen wichtigen Stellen kommt das Codon auf jeden Fall nicht vor. Überhaupt wurde es nur in Genen mit niedrigem Expres­sionslevel gefunden. „Die Funktion der CUG-kodierten Aminosäure ist wahrscheinlich nur ein ‚Platzhalter‘ in der Peptid-Kette, zum Beispiel um eine bestimmte Länge und damit Flexibilität eines Oberflächen-Loops zu erhalten“, so Kollmar.

Außerdem sei dem Wissen­schaftler kein Beispiel bekannt, bei dem der Austausch von Serin/Leucin zu verschiedenen Protein­funktionen führen würde. „Leucine sind wichtig für die Proteinfaltung und liegen im Allgemeinen im Inneren der Proteine. Beim Austausch mit Serin würden dann die Proteine instabiler“, erklärt Kollmar. „Falls dagegen die OH-Gruppe von Serin für die Protein­funktion wichtig wäre, würde ein Leucin an der Position das Protein funktions­unfähig machen und zu dessen Abbau führen.“ Auf diese Weise würde der Austausch keinen Schaden in der Zelle anrichten.

Nützlich oder übrig geblieben?

Während die Serin-tragenden tRNAs von Ascoidea und Saccharo­mycopsis nah miteinander verwandt sind, scheinen die Leucin-tragenden tRNAs erst nach der Trennung der beiden Gattungen aufgetreten zu sein. Wahrscheinlich hat diejenige bei Saccharo­mycopsis mit der Zeit ihre Funktion verloren. Sie besitzt in der D-Schleife Purine statt Pyrimidine, was bei anderen Organismen die Effizienz der Übertragung von Leucin verringert. A. rubescens besitzt keine Leucin-tragende tRNA mit dem Anticodon zu CUG, aber da das Codon wie bei A. asiatica an konservierten Stellen nicht vorkommt, ist es wahrscheinlich, dass diese tRNA existierte und erst kürzlich verloren gegangen ist. Dass alle drei Hefen keine funktionelle tRNA für Leucin haben, lässt sich mit der größeren Fitness durch einen eindeutigen genetischen Code erklären.

Ob die zufalls­gesteuerte Translation unter bestimmten Umständen vielleicht sogar nützlich sein kann, muss noch geklärt werden. „Es könnte sich auch einfach um eine Kuriosität der Natur handeln. Vielleicht ist einfach noch nicht genug Zeit vergangen oder ein auf dieses Merkmal gerichteter evolutionärer Druck hat bislang gefehlt, so dass dieses Überbleibsel der Evolution noch nicht ausgemerzt wurde. Ascoidea rubescens hat diesen Schritt dagegen vollzogen“, so Kollmar.

Bisher wurde A. asiatica ausschließlich aus „Taschen“ von holzfressenden Käfern isoliert, die darin Pilze für ihre Pilzgärten zwischenlagern. „Falls dies der einzige Ort ist, an dem A. asiatica vorkommt, dann ist das wahrscheinlich eine spezielle Nische ohne den evolutionären Druck, die zufällige Translation aufzugeben“.

Larissa Tetsch

Mühlhausen S. et al. (2018): Endogenous Stochastic Decoding of the CUG Codon by Competing Ser- and Leu-tRNAs in Ascoidea asiatica. Current Biology, 28(13):2046-57



Letzte Änderungen: 17.07.2018