Editorial

Grüne Peptid-Chemie

(14.06.2018) Die Clean Peptide Technology von Sulfotools ermöglicht eine Peptid-Synthese, die ganz ohne organische Lösungsmittel auskommt und somit Nachhaltigkeit mit Kostenoptimierung verbindet.
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Fluoreszierende Schutzgruppe in Wasser

Auf dem Brett im Erdgeschoss des 70er-Jahre-Betonturmes, das Arbeitsgruppen für Organische Chemie und Biochemie der TU Darmstadt beherbergt, suche ich vergeblich nach dem Namen des Start-ups. Also frage ich mich durch. Ein freundlicher Mitarbeiter an der Chemikalien-Ausgabe schickt mich in den siebten Stock, wo ich die verschiedenen Flügel absuche, um dann doch jeweils vor verschlossenen Türen zu stehen, hinter denen sich offensichtlich Labortrakte befinden. Die Putzfrau macht mich dann auf eine unscheinbare Klingel aufmerksam, die sich an der Wand neben einer Glastür befindet: Sulfotools GmbH. Hier bin ich richtig.

Ich werde von Geschäftsführerin Christina Uth empfangen, werde an einem klassischen Uni-Chemielabor vorbeigeführt und lerne kurz darauf den zweiten Geschäftsführer Sascha Knauer und die beiden Mitarbeiter Niklas Koch und Simon Englert kennen. Dieses kleine Kernteam aus Chemikern steht gemeinsam mit ihrem Mentor und Berater Harald Kolmar hinter dem jungen Start-Up-Unternehmen mit der tragfähigen Geschäftsidee der Clean Peptide Technology (CPT).

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Poster an den Wänden

Im Flur des Labortraktes hängen viele Poster und Aushänge, die das belegen. So hat Sulfotools bereits erfolgreich an vielen Wettbewerben teilgenommen und zahlreiche Auszeichnungen erhalten, zum Beispiel im Rahmen des Science4Life Venture Cups, Deutschlands größtem Life Science und Chemie Business-Plan-Wettbewerb. Außerdem wird das Start-up durch das Exist-Programm des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie und dem Europäischen Sozialfonds für Deutschland finanziell gefördert.

CPT steht für eine neue Technologie, die es ermöglicht, synthetische Peptide sauberer und günstiger herzustellen. Dies betrifft sowohl die chemische Industrie, als auch die Pharmaindustrie und die Kosmetikindustrie. Denn jährlich werden zehntausende Tonnen organischer Lösungsmittel benötigt, um synthetische Peptide herzustellen, die als Wirkstoffe in Pharmaka, Nahrungsergänzungsmitteln und Kosmetika angewendet werden.

Die für die Synthese verwendeten Lösungsmittel müssen als Sondermüll entsorgt werden, da sie giftig und fruchtschädigend sind. Das ist nicht nur mit hohen Kosten, sondern auch mit signifikanten Risiken für Gesundheit und Umwelt verbunden. Die Lösungsmittel sind daher nach der Europäischen Chemikalienverordnung REACH als besonders besorgniserregend eingestuft. Es gab bereits diverse Versuche, die Peptid-Synthese auf wässrige Systeme umzustellen - was aber nur mäßig gut funktionierte, nicht skalierbar war oder in den Waschschritten trotzdem nicht ohne organische Lösungsmittel auskam. Insgesamt konnte so nur eine minimale Senkung des Verbrauchs von organischen Lösungsmitteln erreicht werden.

Missglücktes Experiment

Die CPT von Sulfotools ist eine deutlich günstigere und umweltfreundlichere Alternative zum bisherigen Stand der Technik. Denn statt in organischen Lösungsmitteln kann die Peptid-Synthese in Wasser erfolgen. Vorausgegangen war ein missglücktes Experiment.

Während seiner Dissertation arbeitete Sascha Knauer mit der Merrifield-Festphasen-Peptidsynthese – auf der Suche nach neuen Bausteine für die Peptid-Synthese. Bei der Festphasen-Peptidsynthese erfolgt der Peptidaufbau vom C- zum N-Terminus. Die Carboxygruppe der C-terminalen Aminosäure des gewünschten Peptids wird über eine reversibel spaltbare Ankergruppe an ein festes Trägermaterial, in der Regel eine Polymermatrix mit funktionellen Gruppen (Harze), gebunden. Die α-Aminogruppe und die funktionellen Gruppen der Seitenketten sind dabei reversibel mit sogenannten Schutzgruppen versehen. Die Peptidkette wird Zyklus für Zyklus um eine Aminosäure verlängert, indem jeweils die N-terminale Schutzgruppe abgetrennt wird, die nächste geschützte Aminosäure angeknüpft und anschließend überschüssige Reagenzien ausgewaschen werden, bevor die nächste Aminosäure hinzugegeben wird.

Verloren und wieder gefunden

All diese Schritte erfolgen dabei stets in organischer Lösung, da die geschützten Aminosäuren nur darin löslich sind. Sascha Knauer experimentierte mit dieser Schutzgruppe als er seine Aminosäuren in einem Reaktionsschritt mit Schwefelsäure unerwartet aus der organischen Lösung verlor, um sie vollkommen überraschend in wässriger Lösung wiederzufinden. Mittels chemischer Analytik konnte er das neue, hübsch grün fluoreszierende Molekül charakterisieren und entdeckte, dass als Nebenprodukt zufällig eine neuartige sulfonierte Schutzgruppe mit exzellenter Wasserlöslichkeit entstanden war. „Es war schnell klar, dass man damit auch Peptide in Wasser synthetisieren könne“, erzählt Knauer.


Das Sulfotools-Team (von links): Sascha Knauer, Christina Uth, Harald Kolmar, Simon Englert, Niklas Koch

Kaum war ihm die Bedeutung dieses glücklichen Treffers bewusst, ging alles recht schnell. Von der Geschäftsidee über die Entwicklung der CPT bis hin zur Patent-Anmeldung verging kein Jahr und 2016 erfolgte dann die Firmengründung. Seitdem wird das Team von Senior-Consultants und Spezialisten beraten und arbeitet an der Weiterentwicklung sowie Vermarktung ihrer CPT, die sich zusätzlich durch ein effizientes Aufreinigungs­system und eine simple Wasseraufbereitung auszeichnet. „Das neue Aufreinigungs­system basiert auf Ionentauschersäulen anstatt HPLC-Aufreinigung mit organischen Lösungsmitteln. Die Aufreinigung kann zum einen in wässrigem Milieu durchgeführt werden und zum anderen besitzen Ionentauscher­säulen eine viel größere Kapazität als HPLC-Säulen und wir können damit insgesamt eine Kostenreduktion von bis zu 50 % erreichen,“ sagt Uth.

Noch keine Goldgrube

50 % Kostenreduktion? Da muss es doch um viel Geld gehen. Doch diesbezüglich winken die Gründer direkt ab. Zwar würde man vermuten, dass die Verfügbarkeit einer Technologie wie der CPT nach der REACH-Verordnung doch eigentlich dazu führen müsste, dass sich diese alternative „saubere“ Technologie gegenüber der etablierten durchsetzt. Jedoch ist mit einem allumfassenden Durchbruch nicht so schnell zu rechnen, da beispielsweise bereits bestehende, zugelassene Prozesse nicht umgestellt werden. Zumindest nicht in der chemischen Industrie oder der Pharmaindustrie.

Bei der Neuentwicklung von therapeutischen Wirkstoffen und insbesondere für die Kosmetikindustrie sei die Technologie aber interessant. Denn eine umweltfreundliche und saubere Synthese ohne Lösungsmittel-Rückstände im Endprodukt ist ein wichtiges Argument, das in der Kosmetikbranche direkt an den Endkunden weitergegeben werden kann.

Und in der Tat laufen derzeit mehrere Pilotprojekte mit industriellen Kunden aus der Pharma- und Kosmetikindustrie, die der jungen Firma auch schon erste Einnahmen verschaffen. Bei diesen Pilotprojekten geht es zunächst darum, Machbarkeitsstudien durchzuführen, sie zu optimieren, sowie die Plattform-Technologie weiterzuentwickeln.

Außerdem ist noch eine große und entscheidende Hürde zu nehmen. Um die CPT im industriellen Maßstab durchführen zu können, muss der Prozess hochskaliert werden, was entsprechendes industrielles Equipment, wie z.B. große Laborreaktoren, und mehr Personal erfordert. Die Einnahmen aus den Pilotprojekten reichen dafür nicht aus und es wird dringend ein Investor gesucht. Das ist in der konservativen chemischen Industrie gar nicht so einfach, wie das Sulfotools-Team feststellen musste. Denn viele Pharma-Investoren stecken ihr Geld lieber direkt in die Wirkstoff-Entwicklung anstatt in Technologien.

Christina Uth und ihre Kollegen bleiben diesbezüglich jedoch optimistisch und arbeiten weiter eifrig daran, ihre wasserlöslichen Bausteine für die Peptid-Synthese kommerziell verfügbar zu machen und die Technologie in der Produktionskette von chemischer, Pharma- und Kosmetikindustrie zu etablieren.

Miriam Colindres



Letzte Änderungen: 14.06.2018