Editorial

Erfolgreiche Macher von der Ostsee

(17.05.2018) In Deutschland leiden etwa 3 Millionen Patienten an chronischen Wunden. Coldplasmatech aus Greifswald hat eine Behandlungsmethode mit sogenanntem kalten Plasma entwickelt.
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„Kaltes Plasma gibt es seit vielen Jahren. Unsere Anwendung zeichnet sich dadurch aus, dass sie effektiv, einfach, sicher und schnell ist. Wir können Wunden behandeln, bei denen herkömmliche Therapieformen an ihre Grenzen stoßen, zum Beispiel bei Dekubitus, diabetischem Fußsyndrom und Infektionen durch multiresistente Keime. Und das voraussichtlich zu einem bezahlbaren Preis“, so der Geschäftsführer von Coldplasmatech, Carsten Mahrenholz. Anfang 2017 erhielt das Medizinprodukt die CE-Konformität, das die Übereinstimmung mit den gesetzlichen Bestimmungen bestätigt.

Bei der Entwicklung haben sich die Unternehmer auf die Wünsche und Anregungen von Ärzten und Wundpflegepersonal gestützt. Dem Patienten wird bei der Behandlung eine Wundauflage aus biokompatiblem Silikon, das PlasmaPatch, aufgeklebt. Dieses ist über ein Kabel mit dem Plasmacube, einem kastenförmigen Gerät, verbunden. Letzteres erzeugt die Energie für das ionisierte Gas, das in die Wunde geleitet wird, sie desinfiziert und gleichzeitig Zellteilung, Gefäßneubildung und das Immunsystem anregt. Die Behandlung dauert zwei Minuten und sollte zwei bis drei Mal pro Woche über einen Zeitraum von wenigen Wochen erfolgen. „Mit unserer physikalischen Methode werden Erreger sehr effizient ohne Gefahr der Resistenzbildung abgetötet. Wir haben das in Zusammenarbeit mit dem Nationalen Referenzzentrum für gramnegative Krankenhauserreger in Bochum getestet“, erläutert der Geschäftsführer.

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Ein Knopf reicht

Um die Bedienung möglichst einfach zu gestalten, hat das Gerät nur einen Knopf. „Wir haben bewusst auf alle Einstellmöglichkeiten verzichtet, damit Ärzte die Behandlung auch delegieren können. So können wir die Behandlungskosten senken. Das Gerät liefert automatisch die optimalen Behandlungsbedingungen, die zudem die körpereigenen Zellen schonen“, so Mahrenholz. Die endgültigen Preise muss die Firma noch mit Krankenkassen und Krankenhäusern verhandeln.

Coldplasmatech entstand 2015 als Spin-Off des Greifswalder Leibniz-Instituts für Plasmaforschung und Technologie. Die Gründer waren neben dem Chemiker Mahrenholz der Physiker René Bussiahn, der Maschinenbau-Ingenieur Stephan Krafczyk und der Medizin-Ökonom Tobias Güra.

Bei der Einwerbung von Mitteln waren die Unternehmer bisher äußerst erfolgreich. In der Anfangsphase erhielt die Firma 750.000 € im Rahmen eines EXIST-Forschungstransfers durch das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie, den Leibniz-Gründerpreis über 50.000 €, den IQ Innovationspreis Mitteldeutschland über 15.000 € sowie den Invention-Gründerpreis der deutschen Familienunternehmen über 20.000 €.

2016 investierte der aus der Finanzwelt stammende Business Angel Alfred Möckel eine sechsstellige Summe in die Firma, 2017 kamen Investoren aus Hamburg und der Schweiz hinzu. Im April diesen Jahres wurde den Greifswaldern zudem der Deutsche Innovationspreis in der Kategorie „Start-Ups“ verliehen. Für die klinische und ökonomische Evaluation ihrer Wundbehandlungs­methode, die 2019 mit über 140 Patienten beginnen soll, erhält Coldplasmatech vom Bundesministerium für Bildung und Forschung einen Millionenbetrag. Auch das Land Mecklenburg-Vorpommern hat sich kürzlich mit einer Million Euro an der Firma beteiligt.

Ständig herausgefordert

„Es macht riesigen Spaß, eine neue Anwendung in der Plasmamedizin voranzubringen. Wir betreten ständig Neuland und stehen dadurch immer wieder vor neuen Herausforderungen mit der Möglichkeit zu scheitern“, erklärt Mahrenholz. Seine Strategie ist es, bereits im Vorfeld mehrere Alternativ­lösungen zu entwerfen. „An Investoren bin ich herangetreten, wenn es uns finanziell gut ging. So habe ich mir die Entscheidungsfreiheit bewahrt, ein Angebot auch ablehnen zu können und auszuwählen.“ Es gab bereits Übernahmeangebote, auf die die Unternehmer jedoch nicht eingegangen sind.

Das Start-Up hat seinen Sitz in einer Greifswalder Villa in Bahnhofsnähe, in der zuvor eine Kieferorthopädie untergebracht war. Die Büros haben stuckverzierte Decken und Glaswände, was den Austausch fördert. „Wir haben die Firma bewusst klein gehalten mit sechs Festangestellten. Für die Produktion arbeiten wir mit größeren Firmen zusammen“, berichtet Mahrenholz. „Uns liegt zuallererst daran, die Angestellten bezahlen zu können. Wenn eine Finanzierung noch nicht erfolgreich eingeworben war, haben wir in der Vergangenheit eher die Zahlungen für Tobias Güra und mich aufgeschoben. Dann gab es für uns eben mal Tütensuppe, da für uns das Unternehmen im Vordergrund steht und wir für die Finanzierung verantwortlich sind“, erläutert er.


Entspannt am Strand: Geschäftsführer Carsten Mahrenholz (links) mit seinen Kollegen Rene Bussiahn, Tobias Güra und Axel Kühle. Credit: BMBF/Thilo Schoch

Den Standort Greifswald sieht der Geschäftsführer nicht als Nachteil. „Durch das Leibniz-Institut ist viel Know-how vor Ort vorhanden. Wir haben zwar einen längeren Anreiseweg bei den meisten unserer Geschäftsreisen, aber eben auch einen Strand direkt vor der Haustür“, merkt er an. „Zudem wurde vom Land in uns investiert und wir wollen an den Standort etwas zurückgeben.“ Die Firma ist weltweit mit den Innovationszentren in ihrem Gebiet vernetzt, von denen Mahrenholz häufig Einladungen erhält. „Außerdem kann man sich seine Infrastruktur auch selbst schaffen. Mein neuestes Projekt ist ein Holodeck für große dreidimensionale Konstruktionen. Platz haben wir ja.“

Sei unkonventionell!

Mahrenholz berät inzwischen auch andere Unternehmen. Für den Erfolg eines Start-Ups hält er es für essentiell, unkonventionell zu sein und neue Wege zu gehen. „Viele Gründer überschätzen leider ihr Know-how und ihr Produkt. Es ist wichtig, die Bedürfnisse der Zielgruppe und des Marktes gut zu kennen und zu berücksichtigen“, erklärt er. „Manche Gründer konzentrieren sich zudem zu sehr auf die technische Seite ihres Produkts, vernachlässigen aber die ökonomische Seite. Dieses Know-how können sie auch von außen in ihr Team hereinholen.“

Ein weiteres Minenfeld bei Ausgründungen aus Hochschulen sei die Absicherung des Geistigen Eigentums. Ist der Eigentümer eine Hochschule oder Forschungseinrichtung, müsse ganz klar vertraglich festgelegt sein, wer die Erfindung unter welchen Bedingungen wirtschaftlich nutzen könne. „Start-Ups verlassen sich hier zuweilen blauäugig auf Absichtserklärungen. Das kann teuer werden“, so Mahrenholz. „Ein weiterer wichtiger Punkt sind die Unternehmensanteile. Wer das finanzielle Risiko und die Verantwortung als Unternehmer trägt und dazu zum Beispiel seinen sicheren Job an der Uni gekündigt hat, sollte auch den Löwenanteil an Unternehmens­anteilen bekommen - und nicht der Erfinder oder Mitglieder eines Advisory Boards. Der Erfinder wird über das Patent entschädigt.“

Bettina Dupont



Letzte Änderungen: 17.05.2018