Editorial

Heilbringende Hauben?

(01.03.2018) Eine US-Firma entwickelt eine “spektakuläre” Technologie gegen Hirntumore. Deutsche Neurologen sind skeptisch.
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(01.03.2018) Glioblastoma multiforme – zwei Wörter, die einem Todesurteil gleichkommen. Jährlich werden in Deutschland etwa 2000 Menschen mit der Diagnose Hirntumor konfrontiert. In den allermeisten Fällen ist die Prognose schlecht. Nur 5 bis 10% der Patienten überleben die nächsten 5 Jahre. Selbst mit der geballten Zerstörungskraft von Operationen, Chemo- und Strahlentherapie ist dem Tumor nur schlecht beizukommen.

Neue Ideen sind also gefragt und so entwickelte die US-Firma Novocure eine Behandlungsmethode, die auf Wechselstromfelder setzt. Die Theorie dahinter? Wechselstromfelder oder wie es bei Novocure heißt Tumor-Treating Fields wirken anti-mitotisch und stören somit die Zellteilung der Krebszellen sowie den korrekten Zusammenbau von Organellen. Appliziert werden die elektrischen Felder über eine Haube, ähnlich einer Badekappe, die die Patienten bis zu 18 Stunden am Tag tragen müssen.

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Spektakuläre Ergebnisse

Erst Ende Dezember letzten Jahres veröffentlichte JAMA die Details einer klinischen Studie, an der knapp 700 Patienten, auch in Deutschland, teilnahmen. Die Ergebnisse sind „spektakulär“, um es mit den Worten von Hauptstudienleiter Roger Stupp vom Universitätsspital der Universität Zürich (seit Januar 2017 an der Northwestern University, USA) zu sagen. „Sie belegen, dass TTFields als neue Standardtherapie für Patienten mit Glioblastomen geeignet ist. Diese Ergebnisse etablieren einen Grundsatznachweis einer völlig neuen Krebsbehandlungsmodalität,“ wird er von Business-Wire zitiert.

Eine Revolution in der Glioblastom-Behandlung also? Na ja, es gibt (wie so oft) einen Haken. Die JAMA-Studie wurde vom Hauben-Hersteller gesponsert. Nicht nur das, Novocure war auch bei der Studienplanung, -ausführung, beim Daten sammeln und analysieren direkt beteiligt. Die Firma entschied auch, ob das Manuskript schlussendlich veröffentlicht wird oder nicht. Hinzu kommt, dass fast alle Studien-Autoren Verbindung zum Hersteller haben, sei es durch Honorare, Reisekostenerstattung, als Mitglieder des „strategic advisory boards“ oder als Chief Science Officer und Anteilseigner der Firma. Selbst der „unabhängige Statistiker“ der Studie ist offensichtlich schon öfter für Novocure tätig gewesen. Die Aufzählung der Conflicts of Interest ist fast länger als der Artikel selbst.

Noch ein Haken

Und, es gibt noch einen Haken. Die Studie war nicht mal verblindet. Grund dafür: Novocure konnte es seinen Patienten „ethisch nicht zumuten“, ein Schein-Gerät zu tragen. Außerdem wäre es für sie auch noch unpraktisch gewesen.

Wie viel kann man also auf eine solche Studie überhaupt geben? „Spektakulär“ ist wohl nicht das Wort, das einem sofort einfällt. Eher „irgendwie vorhersehbar“: eine Hersteller-verhätschelte Studie produziert durchweg positive Ergebnisse, oh Wunder! Zu Recht fällt der Kommentar einiger deutscher Neurologen-Kollegen eher verhalten aus. „[Die Konflikte sind] sicher ein Problem, aber auch ein Grund für die Skepsis in der ‚Fachwelt‘. Transparenz ist wichtig und wie transparent diese potentiellen Konflikte bei der nicht verblindeten Studie gehandhabt wurden, vermag ich nicht zu beurteilen“, schreibt uns Wolfgang Wick, Ärztlicher Direktor in der Abteilung Neuroonkologie am Universitätsklinikum Heidelberg. Wick nahm als Principal Investigator an der Vorläuferstudie (EF-14) teil.

„200 kHz Wechselstrom kann in vitro die Spindelbildung für die Zellteilung recht spezifisch und mit einer Korrelation zwischen Frequenz und Zellgröße unterbinden. Dies soll auch in vivo über die Oberflächenelektroden relevant sein, wenngleich es hier sicher weniger klar ist“, fügt er hinzu. Genauere Untersuchungen, auch an Tiermodellen, sind also eminent wichtig. Jedoch verwehrte Novocure Wick eine in-vivo-Studie an Mäusen mit „Verweis auf die Komplexität der Anwendung“ am Nager-Modell.

Marketing vor Forschung

Ist Novocure also gar nicht daran interessiert, die exakte Wirkungsweise der Hauben zu ergründen? Dazu passt, dass laut des Geschäftsberichts für 2017, die US-Firma fast doppelt so viel Ausgaben unter dem Posten „Marketing/Sales“ verbucht hat (63,5 Millionen US-Dollar) als für den Kostenpunkt „Klinische Studien, Forschung und Entwicklung“ (38,1 Millionen US-Dollar). Allein im vierten Quartal 2017 erwirtschaftete die Firma einen Nettoumsatz von 53 Millionen US-Dollar. In Deutschland kostet eine Hauben-Behandlung rund 23.000 Euro und wird in den meisten Fällen von den Krankenkassen genehmigt.

„Der Gemeinsame Bundesausschuss fordert eine unabhängige Studie. Fachgesellschaften halten auch eine kontrollierte/verblindete Studie mit einer Scheintherapie für wichtig, da die Zuwendung für die Patienten mit dem Gerät erheblich von der für die Kontrollpatienten differierte und wir über die Jahre eine Verbesserung der Studiendaten sehen, die offenbar unabhängig von der Therapie und sehr stark abhängig von der besseren allgemeinen Betreuung ist“, sagt Wick.

Unabhängig untersucht?

Und was sagt Novocure zu den Forderungen nach einer unabhängigen Studie? In einer Mail an Laborjournal teilt der Senior Manager, Brand Public Relations, mit: „In der EF-14-Studie ist Optune die erste Behandlungsmöglichkeit in mehr als 10 Jahren, die die mittlere Überlebenszeit bei neu diagnostiziertem Glioblastoma multiforme erhöht. Novocure hat auch eine zweite Phase-3-Studie beendet (EF-11) mit 237 Patienten, in der Optune als Monotherapie bei Erwachsenen mit Glioblastoma multiforme untersucht wurde, deren Tumor nach einer Chemotherapie wieder auftauchte. Hinzu kommen 19 Investigator-Sponsored Trials (IST), die Optune in unterschiedlichen Szenarien testen“.

Klingt erst mal nicht schlecht. Allerdings übernimmt bei diesen ISTs der Principal Investigator nur die „Verantwortung für die Initiierung, das Management und/oder die Finanzierung einer klinischen Prüfung“. Das heißt, er sorgt dafür, dass die Studie stattfinden kann und finanziert ist. Woher dann zum Beispiel das Geld für die Studie kommt, steht auf einem anderen Blatt.

Kathleen Gransalke



Letzte Änderungen: 01.03.2018