Editorial

Lazarett für Raubameisen

(20.02.2018) Ameisen sind nicht empathisch. Dennoch rettet die afrikanische Matabele-Ameise verwundete Artgenossen und erhöht als “Wundärztin” deren Überlebens­wahrscheinlichkeit.
editorial_bild

(20.02.2018) Ameisen sind für ihr komplexes Sozialgefüge, ihre eindrucksvollen Bauten und ihre ungewöhnliche Orientierungs­fähigkeit, aber sicher nicht für ihre Nächstenliebe bekannt. Im Ameisenstaat mit seinen bis zu mehreren Millionen Mitgliedern ist jedes Tier ein Rädchen im Getriebe, aber das Individuum zählt nichts. Umso größer war die Überraschung, als Würzburger Biologen um Erik Frank herausfanden, dass eine afrikanische Raubameisenart sich sehr wohl um einzelne Nestgenossen kümmert.

Überfälle auf wehrhafte Gegner

Die afrikanische Matabele-Ameise (Megaponera analis) ist in den Gebieten südlich der Sahara weit verbreitet und lebt dort von der Jagd auf Termiten, deren Bauten ausgekundschaftet und regelrecht ausgenommen werden. Zum Beutezug organisieren sich mehrmals täglich mehrere hundert Ameisensoldatinnen zu einer Marschkolonne, die sich bis zu 50 Meter vom Nest entfernt. Der Angriff auf den Termitenbau erfolgt dann arbeitsteilig: Zuerst bricht eine Gruppe von größeren Ameisen den unterirdischen Bau auf, kleine Artgenossen dringen durch die Öffnung ein, töten die Beute und schleppen sie ans Tageslicht. Anschließend formiert sich die Kolonne zum gemeinsamen Rückmarsch zum Nest, wobei die getöteten Termiten von den großen Ameisen abtransportiert werden.

Die Termiten sind jedoch ihren Angreifern nicht wehrlos ausgeliefert. Auch sie schicken Soldaten ins Rennen, die mit einem gepanzerten Kopf und gefährlichen Kieferzangen ausgestattet sind. Der Angriff auf die wehrhafte Beute beschert den Ameisen – und hier bedingt durch die Arbeitsteilung vor allem den kleineren, ins Nest eindringenden Individuen – zum Teil erhebliche Verluste. In erster Linie verbeißen sich die Termiten in die Beine der Angreifer, beißen sie ab oder bleiben dort hängen, so dass sich die verwundete Ameise nur noch sehr eingeschränkt bewegen kann.

Editorial
Abtransport vom Schlachtfeld

Erst kürzlich hatten Frank und sein Team publiziert, dass auf diese Weise verwundete Ameisen auf dem Rückweg zum Nest mit der Geschwindigkeit der Marschkolonne nicht mehr mithalten können. Allein auf sich gestellt, starb ein Drittel von ihnen an Erschöpfung oder Angriffen von Räubern wie Spinnen oder anderen Ameisen-Arten.

Um die Verluste für die Kolonie zu minimieren, treten deshalb Sanitäterinnen auf den Plan. Bei diesen handelt es sich um die großen Ameisen, die verwundete Artgenossen anhand zweier von diesen abgegebenen Pheromonen erkennen und ins Nest zurück tragen. Dort erholen sich die Patientinnen erstaunlich schnell und gewinnen selbst bei einem Verlust von bis zu zwei Beinen nahezu ihre alte Laufgeschwindigkeit zurück. Fast alle geretteten Jägerinnen schlossen sich in den Experimenten der Würzburger bereits am nächsten Tag einem erneuten Raubzug an. Wie Frank und Kollegen errechneten, ermöglicht dieses Verhalten den Ameisen, bis zu 30 Prozent größere Kolonien aufzubauen.

Wundärzte als Lebensretter

Ihre neueste Publikation zeigt nun, dass sich die Matabele-Ameise nicht nur als Sanitäterin sondern auch als Krankenpflegerin betätigt. Durch den Verlust von Beinen entstehen offene Wunden in der Insekten-Kutikula, in die in der unsterilen Umgebung des Nests leicht Infektionserreger eindringen können. Durch intensives Lecken reinigen die Pflegerinnen diese Wunden der ins Nest zurückgebrachten Artgenossen und streichen sie zur Infektionsvorbeugung wahrscheinlich sogar mit einem antibakteriellen Sekret ein.

Diese Behandlung durch die tierischen Wundärzte senkt die Sterblichkeit von 80 Prozent bei unbehandelten auf 10 Prozent bei den behandelten Ameisen. Der Pflegeeffekt kommt allerdings nur in einer unsterilen Umgebung zum Tragen, was beweist, dass die Wundversorgung tatsächlich eine lebensgefährliche Infektion verhindert. Ob die Behandlung ausschließlich vorbeugend stattfindet oder auch therapeutisch bei einer bereits bestehenden Infektion eingesetzt wird, ist bislang noch unklar.

Empathiefähigkeit unnötig

Auffällig ist dabei, dass schwer verwundete Ameisen – etwa solche, die fast alle Beine verloren und somit keine Überlebenschance mehr haben – weder gerettet noch im Nest behandelt werden. Dies ist sinnvoll, denn ein solches Verhalten wäre für die Kolonie reine Energieverschwendung.

Anders als erwartet, war es aber nicht die Sanitäterin, die diese Entscheidung über Leben und Tod traf, sondern die Patientin selbst. Verwundete Ameisen signalisieren ihre Hilfebedürftigkeit über die Abgabe der zwei Pheromone Dimethyldisulfid und Dimethyltrisulfid. Sobald sich die Helfer nähern, nimmt die verwundete Ameise eine Art Puppenhaltung ein, die den Abtransport erleichtert. Eine schwer verwundete Ameise bemüht sich dagegen vergeblich aufzustehen. Vereinfacht gesagt, verhindert ihr hilfloses Zappeln, dass die Sanitäter zupacken können. Dies zeigt sehr deutlich, dass die Hilfeleistung nicht durch Empathie oder Einsicht zustande kommt, sondern alleine durch ein bestimmtes Verhalten des Patienten ausgelöst wird.

Larissa Tetsch



Letzte Änderungen: 20.02.2018