Editorial

Stichwort „Zirkuläre RNAs“

(16.01.2018) Neben den drei klassischen RNA-Mole­külen und den zig neuen RNA-Typen (zum Beispiel siRNA, miRNA, tasiRNA, piRNA, shRNA, snoRNA, usw.) blieb eine ganz spezielle Variante über dreißig Jahre unbeachtet: die zirkulären RNAs. In Berlin interessieren sich jetzt Forscher ganz besonders für die Kringelmoleküle.
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Bereits 1979 hatte man zirkuläre RNA, die bis dahin nur von Viren bekannt war, auch auf Elektronenmikroskop-Bildern von Säugerzellen entdeckt (Nature 280: 339-40). Bis 2012 hielt man diese Moleküle jedoch für funktionslose Artefakte, die durch fehlerhafte Transkription entstehen. Dann aber fanden Julia Salzman und Kollegen von der Stanford University in mehreren humanen Zelltypen sehr viele circRNAs von Hunderten von Genen (PLoS One 7: e30733). Am Ende entpuppte sich die Transkription von circRNAs als konserviert, gewebe- und entwicklungspezifisch. Und eine Studie an Fibroblasten enthüllte schließlich, dass die Zellen circRNAs von jedem achten Gen herstellen (RNA 19(2): 141-57).

CircRNAs werden vom Spliceosom gebildet, indem es das 3’-Ende eines Exons kovalent an das 5’-Ende eines upstream liegenden Exons bindet. „Backsplicing“ nennt man diesen Vorgang. Die Moleküle lassen sich recht einfach isolieren, denn sie sind absolut resistent gegen die Behandlung mit RNase R, die ausnahmslos lineare RNA-Moleküle zerschneidet.

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Es erschien wenig glaubhaft, dass Zellen einen solchen Aufwand überflüssigerweise ohne einen Sinn betreiben würden. Also begann man, dem Phänomen auf den Grund zu gehen.

Zwar kennt man die Funktion der meisten Moleküle noch nicht, doch punktuell ist man bereits fündig geworden. So stellte sich beispielsweise heraus, dass manche circRNAs die Funktion von microRNA (miRNA)-Molekülen steuern. Die circRNAs des CDR1as-Gens beispielsweise bindet in neuronalem Gewebe wie ein Schwamm die miRNA miR-7 an sich (Nature 495: 333-38). Und eine circRNA, die vom Gen SRY abstammt, welches das männliche Geschlecht bestimmt, saugt förmlich miR-138 Moleküle auf (Nature 495: 384-88). Damit wirken diese zirkulären Moleküle wie Antagonisten auf die miRNA-Funktionen.

Eine spannende Frage ist natürlich, ob circRNA-Moleküle translatiert werden. Ursprünglich nahm man an, dass circRNAs wie sämtliche kleinen RNAs höchstens regulatorische Funktion haben und nicht zur Proteinproduktion genutzt werden. Diese Vermutung ist derart pauschal nicht mehr zu halten. Forscher vom Berliner Max-Delbrück-Zentrum um Nikolaus Rajewsky und Sebastian Kadener isolierten zusammen mit Kollegen von der Hebrew University of Jerusalem gut 120 verschiedene circRNAs aus den Köpfen von Drosophila. Diese erreichten Längen bis zu zwei Kilobasen und waren an Ribosomen gebunden. Und zumindest zwei davon werden translatiert (Mol Cell 66: 9-21). Nachfolgend fanden die Berliner In Kooperation mit Forschern des Istituto Pasteur Italia in Rom auch in Mäusen und Menschen eine translatierte circRNA, die die Vermehrung der Myoblasten steuert (Mol Cell 66: 22-37).

Weil die kurzen RNAs sich regulatorisch ins Zellgeschehen einmischen, lag es natürlich nahe zu überprüfen, ob circRNAs unter Umständen eine Rolle bei Krankheiten spielen. Wieder machte sich ein Team um Nikolaus Rajewski ans Werk. Es typisierte circRNAs in zwanzig klinisch relevanten Geweben – von arteriellen Endothelzellen bis zu Plazentazellen – und fanden viele gewebespezifische Moleküle, die meist in höherer Konzentration vorlagen als ihre linearen mRNA-Versionen (J Mol Med 95: 1179-89). Von den insgesamt 71 Molekülen halten die Forscher einige für gute Biomarker-Kandidaten. Beispielsweise fanden sie in den Proben von Patienten mit der schweren Immundefizienz ADA-SCID wie auch von Patienten mit Wiskott-Aldrich-Syndrom circRNAs, die offenbar spezifisch mit der jeweiligen Erkrankung auftauchen.

Das Jahrzehnt bleibt also weiter aufregend für die RNA-Forschung. Nach CRISPR und jeder Menge neuer Funktionen von kleinen RNAs präsentieren sich nun die circRNAs als ein fundamental neues biologisches Phänomen. Was die zirkulären RNA-Moleküle am Ende tatsächlich alles bewirken – das zu verstehen, haben wir allerdings gerade erst begonnen.

Karin Hollricher



Letzte Änderungen: 15.01.2018