Editorial

Gehorsamer Geburtshelfer

(19.12.17) Die griechische Göttin der Geburt, Eileithyia, bekommt Unterstützung: Einem internationalen Forscherteam um einen Wiener Chemiker ist es gelungen, ein selektiveres und stabileres Pendant zum „Liebeshormon“ Oxytocin herzustellen, was auch Geburten bald erleichtern könnte.
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Sie zittert und verzerrt das Gesicht voller Schmerzen. Die werdende Mutter liegt im Kreißsaal und erleidet Höllenqualen. Oxytocin sollte die Geburt unterstützend einleiten, nun kontrahiert ihr Uterus kontinuierlich. Zwischen den Wehen hat sie weniger als zwei Minuten Zeit sich zu erholen. Der Wehensturm tobt.

Oxytocin gilt allgemein als „Liebeshormon“. Es fördert die Mutter-Kind-Bindung, partnerschaftliche Beziehungen und soziale Interaktionen. Doch auch in der Klinik wird das Neuropeptid eingesetzt: Beispielsweise um Geburten einzuleiten, schwache Kontraktionen während des Gebärens zu verstärken, postpartale Blutungen (Nachgeburtsblutung) zu behandeln oder die Milchproduktion zu fördern.

Doch gerade bei zu hoher Dosis oder zu langer Anwendung können die Nebenwirkungen von Oxytocin sowohl für die Mutter als auch das Un- oder Neugeborene kritisch werden. So kann die intravenöse Zugabe des „Liebeshormons“ bei Frauen unter anderem anaphylaktische Reaktionen, Herzrhythmusstörungen, Uterusrupturen (das Zerreißen des Uterus) oder – wie eingangs beschrieben – Wehenstürme auslösen. Aber auch Krämpfe, Koma und Tod können mögliche Folgen sein. Doch wodurch werden solche Nebenwirkungen ausgelöst? Dazu gleich mehr.

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Verwechslungsgefahr

Angesichts der möglichen gravierenden Folgen einer Oxytocin-Gabe sind Wissenschaftler weltweit daran interessiert, eine nebenwirkungsärmere Alternative zu finden. Einem internationalen Forscherteam um den Chemiker Markus Muttenthaler von der Universität Wien ist nun der Durchbruch gelungen. In Science Signaling haben sie ihre Ergebnisse jetzt vorgestellt (10: eaan3398).

Die Gruppe synthetisierte insgesamt zehn Oxytocin-Analoga, die sich vom ursprünglichen Hormon nur geringfügig unterschieden, und testete ihre Eigenschaften bezogen auf die Selektivität und Stabilität der Peptide. Denn ein Grund, warum Oxytocin in Patienten zu Nebenwirkungen führt, ist, dass es dem Neuropeptid Vasopressin sehr ähnlich ist. Die beiden Hormone unterscheiden sich lediglich in zwei Aminosäuren. Es ist also nachvollziehbar, dass Oxytocin sowie Vasopressin die gleichen vier Rezeptoren ansteuern: Oxytocin bindet sowohl an den Oxytocin-Rezeptor als auch an die drei Arginin-Vasopressin-(AVP)-Rezeptoren vasopressor V1aR, pituitary V1bR und antidiuretic V2R; Vasopressin interagiert im Gegenzug nicht nur mit den AVP-Rezeptoren, sondern auch mit dem Oxytocin-Rezeptor. Besonders der Cross-talk von Oxytocin mit dem AVP-Rezeptor V1aR scheint für gebärende Mütter problematisch zu sein. Als primärer Rezeptor-Subtyp im Herzen und der glatten Gefäßmuskulatur (wie sie auch im Uterus vorhanden ist) kann V1aR kardiovaskuläre Nebenwirkungen auslösen.

Doch von den zehn Oxytocin-Analoga konnte sich letztlich nur eines beweisen – [Se-Se]-Oxytocin-OH. Der neue Ligand unterscheidet sich von seinem Vorbild-Hormon in zwei wesentlichen Punkten: Muttenthaler et al. hatten die ursprüngliche Disulfidbrücke des Oxytocins durch eine Diselenid-Brücke (R1-Se-Se-R2) ersetzt und gleichzeitig das C-terminale Amid zur Säure umgewandelt.

Allein die Kombination dieser beiden Modifikationen führte zum erwünschten Effekt. [Se-Se]-Oxytocin-OH hatte in In-vitro-Versuchen eine doppelt so lange Halbwertszeit wie Oxytocin und war gegenüber des Oxytocin-Rezeptors selektiver, interagierte also weniger stark mit den AVP-Rezeptoren. Warum das so ist, erklären sich Muttenthaler und Co anhand zweier Hypothesen: Entweder erkennen sich AVP-Rezeptor und das modifizierte Oxytocin nicht mehr, weil das freie Elektronenpaar des entfernten Stickstoff-Atoms vom Amid fehlt, oder die neu gewonnene negative Ladung der Säure führt zu einem Aktivitätsverlust am AVP-Rezeptor.

Soziale Stütze

Dass [Se-Se]-Oxytocin-OH weniger mit den AVP-Rezeptoren interagiert, zeigte auch folgendes Mausexperiment: Muttenthaler und sein Team konditionierten zwei männliche Mausgruppen unterschiedlich. Zunächst setzten sie alle Nager isoliert in unterschiedliche Kammern, in die nach kurzer Eingewöhnungszeit eine zweite Maus hinzugegeben wurde. Während Versuchstiere der einen Gruppe mit ihren Artgenossen uneingeschränkt Kontakt aufnehmen durften, bekam die andere Gruppe nur beim leisesten Schnüffeln einen elektrischen Schock durch die Pfote gejagt. Nach weiteren Trainings, welche die soziale Angst der Mäuse steigerten, injizierten die Versuchsleiter unter anderem [Se-Se]-Oxytocin-OH. Und siehe da: Das Oxytocin-Analogon reduzierte die sozialen Ängste der Mäuse. „Das bestätigt, dass die Handlung [der Mäuse] durch den Oxytocin-Rezeptor und nicht den V1a- oder V1b-Rezeptor vermittelt wird“, schreiben Muttenthaler et al. in ihrer Publikation. Sprich: [Se-Se]-Oxytocin-OH ist selektiv für den Oxytocin-Rezeptor und hat wenig bis gar keinen Cross-talk mit den anderen Rezeptoren.

Auch Versuche mit menschlichen Zellen aus dem glatten Muskel des Uterus überzeugten die Chemiker: Im Vergleich zu Oxytocin kontrahierten die Muskelzellen unter Einfluss von [Se-Se]-Oxytocin-OH wesentlich regelmäßiger. Lediglich die Kontraktionsrate stieg beim neuen Oxytocin-Analogon an. Doch dieses Problem relativierte sich, denn obwohl sich unter Oxytoxin die Muskelzellen weniger häufig zusammenzogen, war die Dauer der Kontraktionen und somit insgesamt auch die kontraktile Aktivität länger. Klinisch eingesetzt könnte [Se-Se]-Oxytocin-OH dafür sorgen, dass die Geburt geregelter und angenehmer verläuft. Der verminderte Cross-talk dürfte indes die Nebenwirkungen reduzieren.

Allerdings ist [Se-Se]-Oxytocin-OH noch einen großen Schritt davon entfernt, in der Klinik eingesetzt zu werden. Die vorgestellten Ergebnisse von Muttenthaler und Co deuten jedoch darauf hin, dass das neue „Liebeshormon“ zukünftig einen besseren Geburtshelfer abgeben könnte, als das bisher verwendete, nebenwirkungsanfälligere Oxytocin.

Juliet Merz

 

(Im Video fasst Muttenthaler alle wichtigen Punkte noch einmal zusammen und nennt außerdem zwei weitere Anwendungsgebiete vom Oxytocin-Analogon.)



Letzte Änderungen: 21.12.2017