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Klangvolle Geißelschläge

(20.11.17) Menschliche Spermien schwimmen vorwärts, indem sie zur Schlagbewegung eine Welle von vorne nach hinten über ihre Geißel laufen lassen. Bonner Forscher haben jetzt gezeigt, dass sie die Schwimmrichtung dabei auf quasi „musikalische“ Weise steuern. (Mit Video)
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Beim Menschen starten bis zu einer halben Milliarde Spermien ins Rennen um die befruchtungsfähige Eizelle. Die 50 bis 60 µm langen Spermien brauchen für die Strecke von etwa 20 cm bis zur Eizelle ein bis drei Stunden. Das entspricht etwa einer halben bis ganzen Körperlänge pro Sekunde. Jedes Spermium besteht aus einem 5 µm großen Kopf, einem Hals sowie einem Schwanz – einer Geißel, die das Spermium vorwärts treibt. Dazu führt sie eine Schlagbewegung aus, bei der Flüssigkeit nach hinten gestoßen wird. Gemäß dem Newton‘schen Wechselwirkungsgesetz erzeugt der Geißelschlag im Spermium eine entgegengesetzt gerichtete Kraft (Vortrieb), wodurch dieses nach vorne katapultiert wird. Die Schlagbewegung des Spermienschwanzes wiederum entsteht dadurch, dass die im Inneren der Geißel liegenden Bündel von Mikrotubuli eine aktive Formveränderung durchmachen. Infolgedessen läuft eine Welle von vorne nach hinten die Geißel entlang (siehe Video unten).

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Immer der Nase nach

Neben der Erzeugung des Vortriebs hat die Geißel noch weitere Aufgaben. So dient sie als Antenne, mit der das Spermium Umweltreize wahrnehmen kann. Um auf eine Eizelle zu treffen, messen die Spermien die Konzentration von chemischen Verbindungen („Duftstoffen“), die die Eizelle freisetzt – und bewegen sich entlang des entsprechenden Gradienten. So wird das Steuerungssystem der Spermien unter anderem durch das weibliche Hormon Progesteron aktiviert, welches in den Spermien die Kalziumkonzentration ansteigen lässt und das Schlagmuster des Schwanzes so verändert, dass die Schwimmrichtung angepasst wird. Diese Funktion der Geißel als „Steuer“, das die Schwimmbahn korrigiert, haben Wissenschaftler vom Helmholtz-Forschungszentrum Jülich sowie vom Center of Advanced European Studies and Research (CAESAR) und der Universitätsklinik in Bonn nun unter die Lupe, oder besser gesagt unter das Mikroskop, genommen (Nat. Commun. 8: 1415).

Damit sie um eine Kurve schwimmen können, müssen Spermien die Schlagbewegung der Geißel verändern – denn Spermien, deren Geißeln symmetrisch schlagen, bewegen sich geradlinig vorwärts. Um das Schwimmen auf einer gekrümmten Bahn zu ermöglichen, schlägt der Spermienschwanz dagegen asymmetrisch, also stärker zu einer Seite. In erster Näherung kann man sich die Geißel also wie ein Schiffsruder vorstellen, das die Fahrtrichtung verändert, wenn es zu einer Seite hin bewegt wird.

Eingefangene Spermien

Bei genauer Betrachtung hinkt der Vergleich jedoch – etwa bei der Frage, wie die Asymmetrie der Schlagbewegung zustande kommt. Grundsätzlich waren anfänglich zwei Mechanismen denkbar: Einerseits könnte der Spermienschwanz aufgrund seines Aufbaus eine Krümmung aufweisen, die das Spermium aktiv verändern kann. Eine Geißel, die an einer Seite kürzer ist und dadurch eine Krümmung aufweist, schlägt nicht mehr gerade. Eine andere Möglichkeit bietet die Knickinstabilität – ein Phänomen, das auftreten könnte, wenn bei starker Schlagbewegung Scherkräfte im Innern der Geißel wirken. Die Knickinstabilität würde zur plötzlichen seitlichen Auslenkung der Geißel führen. Analog zum Schiffsruder würden diese beiden Mechanismen die Schlagsymmetrie der Geißel räumlich brechen.

Die neuen Ergebnisse um Seniorautor Jens Elgeti vom Forschungszentrum Jülich zeigten dagegen, dass die Spermien auf einen ganz anderen Trick zurückgreifen. Insbesondere brechen sie die Schlagsymmetrie nicht räumlich, sondern vielmehr zeitlich, wie die Wissenschaftler an Spermien herausfanden, die mit dem Kopf an einer Unterlage fixiert waren. Unter diesen Bedingungen verlief der Geißelschlag mehr oder weniger parallel zur Oberfläche, sodass er sich mit einer Hochgeschwindigkeitskamera aufzeichnen ließ. Ein asymmetrischer Geißelschlag führte zu einer Rotation der Spermien um den Fixierungspunkt.

Mit Harmonie zum Ziel

Mit der Hochgeschwindigkeitskamera ließ sich der Geißelschlag „einfrieren“ und über die Zeit beobachten. So konnte für jede einzelne Stelle der Geißel die Bewegung im Raum dokumentiert werden. Dabei hatten die Erstautoren Guglielmo Saggiorato und Luis Alvarez erwartet, eine Sinuskurve aufzuzeichnen, wie sie eine Welle produziert, die mit einer bestimmten Frequenz schwingt. Stattdessen fanden sie eine sägezahnartige Kurve und vermuteten, dass diese durch die Überlagerung von zwei Wellen mit unterschiedlichen Frequenzen zustande kommt. In der Tat schwingt der Spermienschwanz nicht mit einer Frequenz, sondern es kommt zu einer Überlagerung einer Grundfrequenz von zwanzig Hertz und einer weiteren mit genau der doppelten Frequenz.

Die beiden Schwingungen stehen damit im gleichen Verhältnis zueinander wie in der Musik die Töne einer Oktave. Nach diesem Prinzip aus Grundton und einem oder mehreren Obertönen, deren Frequenz ein ganzzahliges Vielfaches der Grundfrequenz darstellen, schwingen beispielsweise Gitarrensaiten. Dabei bezeichnet man die Grundfrequenz als „erste Harmonische“ und die Schwingung mit der doppelten Grundfrequenz als „zweite Harmonische“. In der Akustik bilden Grund- und Obertöne zusammen – im Unterschied zum Ton als reine Sinusschwingung – einen Klang.

Im Spermienschwanz überlagern sich die erste und zweite Harmonische zu einer Welle, die die Schlagbewegung charakterisiert. Dabei kann das Spermium die Auslenkung der Geißel verändern, indem es die Phase von Grund- und Oberton gegeneinander verschiebt. Eine Phasenverschiebung bricht die Schlagsymmetrie – und das Spermium schwimmt um die Kurve. Ändert sich nun nichts mehr, schwimmt das Spermium allerdings wenig produktiv im Kreis. Deshalb müssen die Phasen der beiden Wellen ständig neu aufeinander abgestimmt werden, um eine gerichtete Fortbewegung des Spermiums zu ermöglichen.

Motoren mit Taktgefühl

Als Konsequenz der asymmetrischen Schlagbewegung entstand bei den fixierten Spermien ein Drehmoment, der das Spermium um den Fixierungspunkt rotieren ließ. Dabei wurde die Rotationsgeschwindigkeit von der Amplitude und der Schwingungsphase der hochfrequenten zweiten Harmonischen bestimmt. Deren Einfluss verstärkte sich offensichtlich in Anwesenheit von Progesteron, denn Spermien rotierten deutlich schneller, wenn sie Progesteron ausgesetzt waren.

Dies sprach zusätzlich gegen einen Einfluss der Knickinstabilität, denn Progesteron reduzierte gleichzeitig die Schlagfrequenz der Geißel. Dadurch verringern sich Scherkräfte, sodass die Rotation der Spermien hätte abnehmen sollen, falls die Knickinstabilität ihre Ursache wäre. Im Unterschied dazu konnte ein zusätzlicher Einfluss einer intrinsischen Krümmung der Geißel auf die Schlagsymmetrie nicht ausgeschlossen werden.

Auch in freischwimmende Spermien von Stieren wurde bereits eine zweite Harmonische nachgewiesen. Welchen Einfluss diese auf das Schwimmverhalten der Spermien im dreidimensionalen Raum hat, muss allerdings noch untersucht werden. Dies gilt auch für die Frage, wie der Oberton genau entsteht. Zumindest scheint klar, dass der durch Progesteron erzeugte Kalziumeinstrom zu seiner Verstärkung führt. Möglicherweise ist das Motorprotein Dynein an der Entstehung der beiden Schwingungen beteiligt. Dynein gibt es in mehreren Isoformen, die bei einer bestimmten ATP-Konzentration mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten an den Mikrotubuli entlang laufen. Diese könnten folglich unterschiedliche Schlagfrequenzen erzeugen.

Dies jedoch ist Stoff für zukünftige Experimente. Die aktuellen Ergebnisse sind dagegen nochmals anschaulich in dem folgenden Video zusammengefasst:

 


Larissa Tetsch



Letzte Änderungen: 13.12.2017