Editorial

Biotech-Deal auf Eis: Nationale Sicherheit der USA bedroht!

(8.11.17) Wieso verhindert eine amerikanische Behörde den Verkauf einer deutschen Firma nach China?
editorial_bild

Die US-Sheriffs sind bereits alarmiert!

Der bereits sicher geglaubte Verkauf der Biotest AG (Dreieich, südlich von Frankfurt) steht offenbar auf der Kippe. Wie mehrere Nachrichtenagenturen am heutigen Mittwoch übereinstimmend meldeten, komme die im April vereinbarte Übernahme des hessischen Arzneimittelherstellers durch einen chinesischen Investment-Trust wohl nicht wie geplant zustande.Diese Agenturmeldungen beruhen auf einer ebenfalls heute von Biotech veröffentlichten Pressemitteilung. Gemäß dieser soll der Grund für die überraschende Kehrtwende die Bedenken eines amerikanischen (!) Regierungs-Ausschusses sein: Das Committee on Foreign Investment in the United States (CFIUS) hat Bedenken angemeldet. Es geht um US-amerikanische Interessen, die angeblich gefährdet seien, falls Biotest an die Chinesen geht.

Die deutsche Biotest geht an ein chinesisches Unternehmen – und die USA sind gefährdet?

Editorial

Wie bitte?

Um das zu verstehen, muss man etwas ausholen.

Das CFIUS – zu deutsch: „Ausschuss der US-Regierung zur Kontrolle von Auslandsinvestitionen“ – ist ein Ressort-übergreifendes Gremium (darin vertreten sind unter anderem das Finanz-, das Außen- und das Verteidigungsministerium sowie der Nationale Sicherheitsberater des US-Präsidenten). Dieser Ausschuss prüft Auslandsinvestitionen in den Vereinigten Staaten auf deren Auswirkungen auf die nationale Sicherheit.

Dabei sollte man beachten: Eigentlich haben die Amerikaner gar nichts gegen Auslandsinvestitionen innerhalb ihrer Grenzen – im Gegenteil. Prinzipiell befürwortet die US-Politik sogar ausländische Investitionen; dies war beim Demokraten Obama so und ist beim Republikaner Trump nicht grundlegend anders. Dass zum Beispiel der Anteil ausländischer Investitionen am US-Bruttoinlandsprodukt immerhin rund 25 Prozent beträgt, oder dass gut fünf Millionen US-Bürger bei in den USA ansässigen Töchtern ausländischer Firmen beschäftigt sind, ist ganz im Sinne dieser Politik. Dahinter steht der Gedanke, dass die USA-Wirtschaft ihre Wettbewerbsfähigkeit verlieren würde, wenn man ausländischen Investoren den Zutritt erschweren würde. Zudem kassieren die US-Finanzämter natürlich auch eine Menge zusätzlicher Steuern von nicht-amerikanischen Unternehmen mit US-Töchtern (andersherum ist’s manchmal hingegen nicht so, etwa im Fall des Weltkonzerns Apple, dessen Steuersatz in Irland im Jahr 2014 beispielsweise exakt 0,005 Prozent betrug – siehe dazu auch die aktuelle Berichterstattung zu den „Paradise Papers"…!).

Aber zurück zum Thema: Wieso reden Amerikaner mit, wenn eine deutsche Firma von einer chinesischen übernommen wird? Was geht die das an, beziehungsweise wieso glauben sie, dass es sie was angeht?

Die bekannte US-amerikanische Paranoia?

Bekanntermaßen legen die US-Behörden beziehungsweise die dort tätigen Beamten und Politiker eine ausgeprägte Paranoia an den Tag, sobald es um die „nationale Sicherheit“ geht. Daher wollen sie ausländische Investitionen innerhalb der USA unter einer gewissen Aufsicht halten. Dies zu kontrollieren obliegt der 1975 von US-Präsident Gerald Ford gegründeten CFIUS. Wenn es beispielsweise um den Verkauf amerikanischer Computerchips oder Flugzeugtechnologie geht, die (auch) militärische Bedeutung haben könnten, oder wenn ausländische Unternehmen in solche US-Firmen investieren oder mit ihnen verschmelzen wollen, wird das CFIUS aktiv. Selbst bei Eigentümer-Veränderungen wichtiger Seehäfen („kritische Infrastruktur“ genannt) spricht seit ungefähr zehn Jahren die US-Regierung ein immer gewichtigeres Wörtchen mit – zumindest, wenn beteiligte Firmen nicht amerikanischen Ursprungs sind.

Selbst Deals, bei denen die USA unmittelbar gar nicht betroffen sind, mischen die Cowboys neuerdings kräftig mit. So etwa wurde 2016 in deutschen Medien berichtet, das CFIUS habe 2015 dem holländischen Philips-Konzern mit Importbeschränkungen gedroht – weil dieser seine Lumileds-Sparte nach China verkaufen wollte. Da ging’s nicht etwa um Atomraketen, sondern um profane Glühbirnen, LEDs und Leuchtstofflampen! Prompt platzte der geplante Verkauf – und Ende 2016 erfuhr man, dass Lumileds stattdessen – na sowas! – an einen US-Investor verkauft worden war. Und dass das CFIUS sich eingeschaltet habe, weil man befürchtete, dass China die Galliumnitrid-basierte Halbleiter-Technologie von Philips/Lumileds für militärische Zwecke nutzen könnte.

Und damit wären wir wieder bei der Biotest AG. Deren rund 2.500 Mitarbeiter stellen in Dreieich vor den Toren Frankfurts Plasmaprotein-Produkte und biotherapeutische Arzneimittel (beispielsweise Antikörper) her, gewonnen unter anderem aus menschlichem Blutplasma. Den Großteil dieser Arzneimittel setzen die Hessen bislang in Deutschland und den USA ab; 2016 betrug der damit erwirtschaftete Umsatz gut 610 Millionen Euro. Speziell das US-Therapiegeschäft war zuletzt defizitär; im Vorjahr betrug der resultierende Gesamt-Nettoverlust von Biotest knapp 46 Millionen Euro.

Im April 2017 vermeldete das hessische Biotechunternehmen, das mehrheitlich (zu 51 Prozent) der Eigentümerfamilie Schleussner gehört, man sei sich mit der Creat Group mit Sitz in Peking einig geworden. Diese ist laut Website „mainly engaged in equity investment” vor allem in den Branchen „financial service, biopharmaceuticals, high-end manufacturing, mineral resources and other industries highly benefit from China’s growing domestic demand”. Das Aktienpaket der Schleussners solle, mit Zustimmung von Vorstand und Aufsichtsrat, den Asiaten übertragen werden. Ebenso hatte im Juni 2017 die Kreissparkasse Biberach ihre gut 15 Prozent Firmenanteil zum Verkauf gestellt, und zusammen mit weiteren verkaufswilligen Aktionären hätten, wie damals gemeldet wurde, gut 77 Prozent der Inhaber von Biotest-Stammaktien die chinesische Offerte angenommen. Inklusive der Schulden, Rückstellungen und des damaligen Kassenbestands bedeutete dies einen Kaufpreis von rund 1,3 Milliarden Euro.

Ein 1,3-Milliarden-Euro-Deal

Tja, und irgendwann muss dann das CFIUS auf die geplante Übernahme aufmerksam geworden sein. Es habe, so wird vermeldet, prompt Kritik an der geplanten Transaktion angemeldet. Offenbar sind US-nationale Sicherheitsinteressen betroffen.

Biotest produziert beziehungsweise verkauft, wie gesagt, Plasmaproteine und biotherapeutische Arzneimittel.

Die Chinesen und die Biotest AG haben in Reaktion auf die CFIUS-Bedenken, so die diesbezügliche Pressemitteilung vom 7. November, „entschieden, dass sie die Anmeldung zurückziehen […] und eine neue Anmeldung mit dem Antrag auf ein beschleunigtes Prüfungsverfahren einreichen werden“. Parallel will man „weitere Gespräche mit CFIUS […] führen, um Möglichkeiten auszuloten, damit die von CFIUS gesehenen Sicherheitsbedenken ausgeräumt oder andere Maßnahmen ergriffen werden können, um die Transaktion durchzuführen.“

Nicht offiziell mitgeteilt wurde, inwiefern Plasmaproteine aus deutschen Landen die nationale Sicherheit der USA zu bedrohen in der Lage sind. Gerüchteweise befürchtet man offenbar, individuelle Patienten- und Spenderdaten könnten in falsche Hände gelangen beziehungsweise missbraucht werden. Denn, wie oben erwähnt, werden die Biotest-Arzneimittel unter anderem aus menschlichem Blutplasma gewonnen.

Seltsamerweise hatten die deutschen Behörden nichts einzuwenden. Das bedeutet entweder, dass man hierzulande schläft, oder dass die Amerikaner überreagieren.

Suchen Sie sich aus, was Sie glauben wollen!

Winfried Köppelle



Letzte Änderungen: 01.12.2017