Editorial

Wie schon vor hundert Jahren

(24.10.2017) Der globale Durchschnittsforscher zeichnet pro Jahr zwei Paper – das war vor hundert Jahren so und hat sich bis heute nicht nennenswert verändert. Intuitiv hätten sicher viele was ganz Anderes vermutet. Aber das ist nun mal das Ergebnis einer frischen Analyse von Microsoft-Forschern.
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Anfang Oktober postete ein Forscherteam von Microsoft ein Paper auf dem Preprint-Server arXiv mit dem Titel: „A Century of Science: Globalization of Scientific Collaborations, Citations, and Innovations“. Ein Analyse-Ritt quer durch die letzten hundert Jahre wissenschaftlichen Veröffentlichens quasi. Denn die Masse an Publikations- und Referenzdaten, so die simple Überlegung der Autoren, sollte doch hinreichend analysierbar sein, um jede Menge Folgerungen daraus abzuleiten, auf welche Art und Weise sich die Wissenschaft im Laufe dieser hundert Jahre verändert hat. Vorausgesetzt natürlich, die Daten werden richtig analysiert.

Und so präsentieren die Autoren denn auch jede Menge Weltkarten, auf denen sich etwa die Netzwerke der Koautor-Verknüpfungen von einem einstmals dünnen Fädchen zwischen USA und Europa in den Jahren 1900 bis 1924 zu einem dicken Strom in den Jahren 2000 bis 2015 entwickelten. Und auf denen genauso abzulesen ist, ab wann und in welchem Ausmaß sich die Koautoren-Netzwerke in die anderen Teile der wissenschaftlichen Welt ausdehnten. Alles nicht wirklich neue Erkenntnisse – aber schön, dass mal jemand den Großrechner über die ganzen Daten laufen ließ und das Ganze am Ende in netten Bildchen dingfest machen konnte.

Hängen geblieben sind wir schließlich an den folgenden zwei Abbildungen 2a und b: 

Abbildung 2a sagt zunächst einmal, dass die Zahl der Paper pro Jahr schon über einen längeren Zeitraum exponentiell wächst – mit einer Verdopplungsrate von zwölf Jahren. Spätestens 2030 müssten wir auf diese Weise bei 10 Millionen Veröffentlichungen pro Jahr angekommen sein.

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Interessant aber ist, dass sich die Anzahl der Autoren in den letzten Jahren nahezu deckungsgleich zur Anzahl der Paper nach oben entwickelt hat. Was wiederum bedeutet, dass sich die durchschnittliche Zahl der Paper, die ein Wissenschaftler pro Jahr publiziert, über die letzten hundert Jahre nicht verändert hat. Und jetzt hebe die Hand, wer hier intuitiv nicht etwas anderes vermutet hätte!

Abbildung 2b schlüsselt das nochmals auf – und bestätigt es. Das Verhältnis von der Gesamtzahl der Publikationen zur Gesamtzahl der Autoren hat über hundert Jahre leicht abgenommen (lila Kurve). Was dagegen stark zugenommen hat, ist logischerweise die Anzahl der Autoren pro einzelnem Paper: Heute zeichnen im weltweiten Schnitt über alle Disziplinen dreimal so viele Autoren eine Veröffentlichung wie noch vor hundert Jahren (rote Kurve).

Die blaue Kurve in Abbildung 2b zeigt es dann direkt und endgültig: Vom frühen zwanzigsten Jahrhundert bis zum Jahr 2015 publizierte der weltweite und Disziplin-übergreifende Durchschnittsforscher relativ konstant etwa zwei Paper pro Jahr. Nur dass er heute von dreimal so vielen Ko-Autoren flankiert wird wie noch vor hundert Jahren.

Das jedoch muss die Leistung des einzelnen Wissenschaftlers überhaupt nicht schmälern. Vielmehr zeigt es indirekt sehr schön, dass Wissenschaft tatsächlich immer mehr auf kooperativen Leistungen basiert statt auf individueller Kleingruppen-Arbeit innerhalb der eigenen vier Wände.

Dazu wird die Leistung des Einzelnen für ein Paper mit dreifach höherer Ko-Autorenzahl natürlich auch dadurch aufgewertet, dass zumindest für ein naturwissenschaftliches Paper heutzutage ein vielfaches Mehr an Datenmasse nötig ist als vor hundert Jahren. Abgesehen davon, dass in aller Regel auch eine höhere Diversität an Daten für ein und dasselbe Paper zusammengetragen wird als früher – also beispielsweise Sequenzdaten und Expressionsdaten und Strukturdaten und Assay-Daten und Statistik…

Klar, dass sind jetzt wieder eher intuitive Einsichten. Aber vielleicht könnten die Microsoft-Leute auch das mal irgendwie mit ihrer Rechner-Power durchchecken. Nur damit einem die Intuition hier nicht das nächste Schnippchen schlägt.

Ralf Neumann 



Letzte Änderungen: 17.11.2017