Editorial

Genome Editing -- zu modern für ein altes Gesetz?

(18.9.17) Wann gilt ein gentechnisch veränderter Organismus (GVO) auch juristisch als GVO? Bislang kommt es mehr auf die Methode als auf das Ergebnis an – was gerade für kommerzielle Anwendungen die eine oder andere Gesetzeslücke zu öffnen scheint. Die Forscher dagegen hätten gerne mehr Rechtssicherheit. Teil 2 unseres Gesprächs mit dem Potsdamer Pflanzenforscher Bernd Müller-Röber. 
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Dank CRISPR/Cas9 und anderer Gene Editing-Methoden stehen heute Nukleasen zur Verfügung, die zielgerichtet im Genom schneiden – und genau dort das Einsetzen fremder DNA-Sequenzen ermöglichen. Doch Erbgut lässt sich auch ganz ohne den Einsatz von Fremd-DNA editieren: Dann nämlich, wenn man dort, wo die Nuklease zuvor geschnitten hat, lediglich kleinere Mutationen induzieren möchte. Fallen die so erzeugten Organismen dann überhaupt unter das Gentechnikgesetz? Oder kann man auf diese Weise ohne viel Bürokratie sogar neue Nutzpflanzensorten erzeugen und auf den Markt bringen?

Bernd Müller-Röber sucht nach Möglichkeiten, Kulturpflanzen biotechnisch zu optimieren. In Potsdam erforscht er Transkriptionsfaktoren und genregulatorische Netzwerke in Pflanzen an der Universität sowie in einer Gastgruppe am Max-Planck-Institut für molekulare Pflanzenphysiologie. Außerdem ist Müller-Röber aktueller Präsident des Verbands Biologie, Biowissenschaften und Biomedizin in Deutschland e. V. (VBIO) und stellt sich in dieser Rolle auch gesellschaftspolitischen Debatten. Wir wollten von ihm wissen, wie Gene Editing nun rechtlich zu werten ist und was das für Forscher und Freiland-Biologen bedeutet.


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Laborjournal: S1 ist die niedrigste biologische Sicherheitsstufe, die mindestens gilt, sobald man mit genetisch veränderten Organismen, kurz GVOs, hantiert. Ein S1-Labor hat aber ohnehin jede molekularbiologisch ausgerichtete Einrichtung. Abgesehen von etwas mehr Papierkram beim Dokumentieren ist es dann doch eigentlich egal, ob ein harmloser Organismus nun als GVO eingestuft wird oder nicht.

Bernd Müller-Röber: Nein, das ist schon eine wichtige Frage, die am Ende viel nach sich ziehen kann. Gerade wenn es um Zulassung neuer Kulturpflanzensorten geht.

Es scheint jedoch mehr eine juristische als eine biologische Frage zu sein, oder? Denn nicht jede Methode, mit der man als Experimentator die DNA verändert, fällt unter die Regulierung durch das Gentechnikgesetz.

Müller-Röber: Ja. Beispielsweise gibt es die sogenannte Selbstklonierung, bei der man keine fremde DNA einfügt, sondern nur Plasmide überträgt, die DNA desselben Organismus enthalten. Das wäre dann ausgenommen von den genetischen Sicherheitsstufen.

Das klingt nach vielen Spitzfindigkeiten, die es zu beachten gilt. Dabei sind doch S1-Organismen per Definition ohne Risiko für Mensch und Umwelt.

Müller-Röber: Nach Stand des Wissens! Solch eine Einschätzung muss natürlich nicht für die Ewigkeit gelten. Es könnte ja sein, dass morgen jemand herausfindet, dass ein bisher als S1 eingestufter Organismus unter gewissen Umständen doch eine schädigende Wirkung hat und daher umgestuft wird.

Dass man Risiken von Experimenten abwägt, wird jeder Forscher einsehen. Aber ob ein Organismus jetzt beispielsweise pathogen ist oder nicht, hängt ja nicht unbedingt von der Methode ab, mit der er erzeugt wurde.

Müller-Röber: Es geht bei der Sicherheitseinstufung auch nicht allein um eine möglicherweise erhöhte Pathogenität durch die gentechnische Veränderung, sondern auch um andere denkbare Risiken. Nehmen Sie etwa eine Pflanze, die infolge der gentechnischen Veränderung eine höhere Invasivität in der freien Natur verliehen bekommt. Das wäre dann keine Pathogenität, sondern eine im ökologischen Sinne möglicherweise bedenkliche Eigenschaft.

Nun haben Forscher mittlerweile jede Menge Werkzeuge zur Hand, um Organismen genetisch zu verändern. Zuletzt CRISPR/Cas9-Baukästen oder auch Zinkfinger-Nukleasen und TALENs, mit denen man relativ zielsicher ausgewählte Abschnitte der DNA erreichen und schneiden kann. Sie haben schon angedeutet, dass in Deutschland ein GVO im juristischen Sinne normalerweise Fremd-DNA enthält. Das Gentechnikgesetz sagt hierzu, dass bei einem gentechnisch veränderten Organismus „Material in einer Weise verändert worden ist, wie sie unter natürlichen Bedingungen durch Kreuzen oder natürliche Rekombination nicht vorkommt“. Das klingt erstmal recht schwammig.

Müller-Röber: Die Veränderung der Erbinformation eines Organismus kann man ja auf verschiedene Art und Weise vornehmen. Wenn man nach klassischen Methoden vorgeht, würde man mutagene Substanzen oder radioaktive Strahlung einsetzen und so zufällig die Erbinformation verändern. Man hätte dabei keine Kontrolle darüber, wo im Genom diese Veränderungen stattfinden. Diese Mutagenese-Techniken erlauben also kein gezieltes Modifizieren der Erbinformation und sind per Definition keine Gentechnik. Daher können Sie auf diese Weise eine Pflanze züchten und wieder ausbringen, ohne dabei in irgendeiner Art und Weise das Gentechnikgesetz beachten zu müssen. Wenn Sie hingegen Fremdgene einbringen und auf diese Weise transgene Organismen herstellen, wenden Sie Verfahren der Gentechnik an. Sie brauchen dann eine Genehmigung für das Ausbringen solcher Organismen in die Umwelt.

CRISPR/Cas9 und andere Gene Editing-Verfahren kann ich ja auch einsetzen, ohne Fremd-DNA einzubringen. Ich verändere also ein Genom, stelle dabei aber keinen GVO her?

Müller-Röber: Na ja, Sie brauchen eine Leit-RNA mit der Zielsequenz, und Sie brauchen das Cas9-Protein. Beide Komponenten können Sie im Reagenzglas zusammenmischen. Das geben Sie dann in eine pflanzliche Zelle, und die aktive Nuklease schneidet an der definierten Stelle im Genom und verursacht dadurch eine Mutation. Aus der Zelle regenerieren Sie anschließend einen intakten Organismus, und dann wäre diese Pflanze nie transgen gewesen. Im Gegensatz zur chemischen oder radioaktiven Mutagenese können Sie den Ort der Veränderung aber vorab festlegen. Später ist nicht mehr nachweisbar, ob diese Mutation über Cas9 oder einen anderen Effekt entstanden ist. Ihr Organismus war nie transgen, sollte also nicht unter das Gentechnikgesetz fallen.

Zu dieser Einschätzung kam vor zwei Jahren auch das deutsche Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL), als es um ein Verfahren zur Oligonukleotid-gerichteten Mutagenese ging [siehe LJ 5/2015, „Stichwort des Monats“]. Rapid Trait Development System (RTDS) heißt die Methode, die zur Herstellung von herbizidresistentem Raps verwendet wurde. Man präsentiert den Pflanzen künstlich hergestellte Oligonukleotide und trickst so die DNA-Reparatur der Pflanze aus. Die Zellen schreiben dann beim Reparieren nämlich die Sequenz dieses editierten Templates ab. Das BVL meinte damals, beim besagten Raps handele es sich nicht um einen GVO, er unterläge damit nicht den Regulierungen laut Gentechnikgesetz.

Müller-Röber: Ja, das ist am Ende eine Frage der Semantik und der Definition. Die Übergänge sind fließend. All diese Techniken haben letztlich eines gemeinsam: Sie verändern die Erbinformation. Egal ob Sie das nun chemisch, durch Bestrahlung oder über moderne Molekularbiologie erreichen.

Doch der Gesetzgeber hängt sich vor allem daran auf, ob man fremde DNA einbringt oder nicht. Ersetze ich irgendein Enzym einer Kulturpflanze durch das homologe Gen einer entfernt verwandten Pflanzenart, erzeuge ich einen GVO und unterliege den entsprechenden gesetzlichen Einschränkungen. Würde ich die Gensequenz meiner Kulturpflanze durch Mutagenese ändern, bis sie die gewünschten Eigenschaften hat, habe ich keinen GVO erzeugt. Selbst wenn dieser Organismus am Ende dieselbe Gensequenz hat wie das transgene Pendant. Für einen Naturwissenschaftler ist schwer nachvollziehbar, dass man zwei im Grunde gleiche Organismen gesetzlich anders behandelt.

Müller-Röber: Fairerweise sollte man hier klarstellen: Die derzeitigen Gene Editing-Verfahren für Pflanzen sind noch nicht so genau. Wie Sie richtig sagen, können wir über die Leit-RNA einen Schnitt setzen und Reparaturmechanismen der Pflanze ausnutzen. Wie im Detail die Pflanze aber den Doppelstrang-Bruch repariert, können wir eben nicht festlegen. Nach einem CRISPR/Cas9-Schnitt können also unterschiedliche Arten von Mutationen auftreten, und man würde dann im Nachhinein durch Sequenzieren der DNA an der entsprechenden Stelle des Genoms die am besten geeignete Variante identifizieren. Dabei wird es darauf hinauslaufen, dass man zum Beispiel das Blühverhalten einer Kulturpflanze an einen neuen Standort angleichen will. Dann würde man das Wissen über ein spezielles Blüh-Gen zusammentragen und anschließend versuchen, dieses Gen über Genome Editing anzupassen. Sie hätten hier tatsächlich keinen transgenen Zustand. Technisch ebenso interessant ist es aber, eine Pflanze so zu verändern, dass Sie einen völlig neuen Inhaltsstoff synthetisiert, den sie vorher nicht produziert hat. Dann müssen oft komplett neue Gene ins Genom integriert werden, und das wird man kaum durch ein paar Einzelmutationen hinbekommen.

Dann machen wir ein Gedankenexperiment: Ein Forscher kennt ein recht kleines überschaubares Peptid aus einem Bakterium – wenige Aminosäuren lang, aber es ist toxisch für einen bestimmten Pflanzenschädling. Unser Forscher könnte das Peptid-Gen vom Bakterium in die Pflanzenzelle einbringen, müsste dann aber komplizierte Zulassungsverfahren für seine neue Pflanzenlinie durchlaufen. Stattdessen verbessert er eine Gene-Editing-Methode, sucht einen verwaisten Promotor in seiner Kulturpflanze und schreibt den DNA-Abschnitt dahinter um, bis dort der Code für die gewünschte Peptidsequenz drinsteckt. Voilà, schon synthetisiert die Pflanze eine komplett neue Substanz und ist trotzdem nicht transgen!

Müller-Röber: Es ist nicht auszuschließen, dass man diese Technologien in Zukunft so verfeinert, dass man genau das machen kann. Bisher geht es noch nicht. Aber seit wann gibt es Genome Editing? Erst seit wenigen Jahren! Das wird sich also weiterentwickeln. Als das Gentechnikgesetz geschaffen wurde, kannte man diese neuen Technologien noch nicht. Was wir in drei, fünf oder zehn Jahren an Technologien haben, wird sicher weiter verfeinert und noch zielgenauer sein. Natürlich wird es dann wichtig sein, zu entscheiden: Bezeichnet man die so erzeugten Organismen als GVO, womit sie unter das Gentechnikgesetz fallen? Oder nimmt man sie davon aus?

Gibt es denn schon heute Gen-editierte Nahrungsmittel auf dem Markt, die nicht als gentechnisch verändert gekennzeichnet werden müssen?

Müller-Röber: In den Vereinigten Staaten gibt es bereits einen Genom-editierten Champignon. Dort hat man ein Polyphenoloxidase-Gen ausgeschaltet, so dass dieser Pilz jetzt nicht mehr so schnell braun wird, wenn man ihn angeschnitten hat. Der Pilz gilt nicht als gentechnisch verändert und kann frei am Markt vertrieben werden. Ich gehe davon aus, dass es in der Zukunft noch weitere Anwendungen gibt – auch an Kulturpflanzen.

Ist das Gentechnikgesetz überhaupt noch zeitgemäß, wenn die Forschung so schnell neue Methoden hervorbringt? Sinnvoller wäre doch, wenn man für neu gezüchtete Organismen Gefahren und Risiken abwägt, und diese Einschätzung unabhängig von den angewandten Methoden vornimmt.

Müller-Röber: Solange wir im Labor arbeiten, kommen wir mit dem Gesetz, so wie es jetzt ist, gut hin. Wenn wir Genome Editing an Hefe oder Pflanzen vornehmen, dann behandeln wir diese vorsorglich immer als gentechnisch veränderte Organismen, weil hier noch keine Rechtssicherheit herrscht. Dazu steht noch eine Entscheidung durch den Europäischen Gerichtshof aus. Wir haben aber sehr wohl ein Problem, wenn Pflanzen ins Feld oder auf den Markt gebracht werden sollen. Ob eine Kulturpflanze als GVO zu kennzeichnen ist oder nicht, definiert letztendlich auch den bürokratischen Aufwand für den Züchter. Aus Sicht des Wissenschaftlers ist es sicher vollkommen gleichgültig, in welcher Art und Weise eine Erbinformation verändert wurde. Deshalb habe ich mich ja auch immer auf den Standpunkt gestellt, dass wir uns nicht darum kümmern sollten, wie die Veränderungen herbeigeführt wurden, sondern dass wir nur fragen sollten, welche Eigenschaften das Produkt hat. Das ist auch weiterhin meine Meinung. Man muss sich nur überlegen, wie man dann eine Produktbewertung adäquat vornimmt. Man möchte ja am Ende auch nicht, dass auf einmal derjenige, der klassische Züchtung betreibt, mit einem größeren bürokratischen Aufwand konfrontiert ist, nur um nachzuweisen, dass sein Produkt nicht gefährlich ist. Wenn am Ende alles nach einem noch komplizierteren Verfahren bewertet wird, hat niemand etwas gewonnen.

Wenn wir über das Ausbringen von Kulturpflanzen sprechen: In Deutschland findet das, wenn überhaupt, nur noch für Forschungszwecke statt, oder?

Müller-Röber: Den kommerziellen Anbau transgener Pflanzen gibt es in Deutschland nicht. Und auch für die Wissenschaft findet er hierzulande quasi nicht mehr statt. Die Zentrale Kommission für die Biologische Sicherheit (ZKBS) führt dazu Listen, in denen man das nachschauen kann. Das hängt unter anderem damit zusammen, dass viele Freilandexperimente zerstört wurden. Dann ist der wissenschaftliche Gewinn solcher Projekte natürlich gleich Null. Weil die Experimente sehr teuer sind, will das keiner mehr machen. [Anm. d. Red.: Siehe etwa im Register des BVL. Seit 2015 gibt es demnach in Deutschland keine Freisetzungsstandorte gentechnisch veränderter Organismen mehr; Stand: 11. August 2017]

In Deutschland ist die Bevölkerung ja mehrheitlich gegen Grüne Gentechnik. Eine wirklich sachliche und differenzierte Debatte zu den Chancen und Risiken scheint kaum mehr möglich. Haben Forscher die Kommunikation mit der Öffentlichkeit bislang vernachlässigt?

Müller-Röber: Vermutlich hat man da in der Vergangenheit Fehler gemacht. Es ist eben viel einfacher, eine Pflanze resistent gegen Herbizide oder Insektenfraß zu machen als ihr zum Beispiel eine höhere Trockentoleranz zu geben. Umgesetzt worden ist das dann von großen, international aufgestellten Unternehmen. Großes Unternehmen, Gentransfer über weite Artgrenzen, Herbizidtoleranz als primäres Ziel und unzureichende Begleitkommunikation mit Diskussion über die verwendeten Techniken – ich glaube, das alles zusammengenommen war vor zwanzig oder dreißig Jahren der große Fehler, und das hängt noch tief in den Köpfen drin. Man darf sich umgekehrt aber auch nicht täuschen lassen: Information allein führt nicht zwangsläufig dazu, dass die Bevölkerung automatisch eine neue Technologie akzeptiert.

Interview: Mario Rembold


  • Siehe zum Thema "Gene Editing" auch das gleichnamige Special in unserer aktuellen Printausgabe 9/2017.
  • Teil 1 des Interviews mit Bernd Müller Röber über dessen eigene Forschung erschien ebenfalls als Online-Editorial am 17. Juli diesen Jahres unter dem Titel "Jungbrunnen gegen Trockenstress".

 



Letzte Änderungen: 11.10.2017