Editorial

Lahme Muskelprotze

(24.7.17) Große Tiere haben mehr Muskelmasse und können daher schneller laufen als kleine. Warum die Größten trotzdem nicht immer die Schnellsten sind, erklärt ein neues mathematisches Modell von Forschern aus Leipzig und Jena.

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T. rex war offenbar ein ziemlich lahmer Geselle
© Pixabay

Sanft wiegen sich die Blattwedel des Schachtelhalms im Wind. Von Ferne hört man ein leises Donnergrollen, das sich langsam nähert. Ein Schwarm Vögel fliegt von einem Baum auf und setzt sich nach aufgeregtem Flattern wieder nieder, bis der Boden ein zweites Mal und dann in immer kürzeren Abständen bebt. In einer Fußspur auf dem Lehmboden zittert das angesammelte Regenwasser. Plötzlich bricht ein Geländewagen aus dem dichten Urwald, gefolgt von einer zweibeinigen Riesenechse. Tyrannosaurus rex ist auf der Jagd!

So oder so ähnlich könnte eine Filmszene in einem berühmten Kino-Mehrteiler aussehen. Aber hätte Tyrannosaurus wirklich eine Chance gegen das moderne Auto? Forscher des Deutschen Zentrums für Integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) in Leipzig und des EcoNetLab der Friedrich-Schiller-Universität Jena beantworten diese Frage jetzt mit einem klaren „Nein“. Stattdessen wären der Königsechse vermutlich sogar Menschen davon gelaufen – zumindest wenn es sich um trainierte Leistungssportler handelt.

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Mittelgroße im Vorteil

Bewegung ist ein wichtiges Merkmal des (tierischen) Lebens. Tiere bewegen sich, um Nahrung und Sexualpartner zu finden, aber auch um Räubern zu entkommen und in Gegenden mit günstigen Lebensbedingungen einzuwandern. Dabei gibt es eine artspezifische Maximalgeschwindigkeit, von der man lange dachte, dass sie einfach proportional mit dem Körpergewicht zunimmt. In der Realität sind aber eher mittelgroße Tiere die schnellsten, wie etwa der Gepard (Acinonyx jubatus) oder der Fächerfisch (auch Segelfisch, Istiophorus platypterus). Beide erreichen Spitzengeschwindigkeiten von 113 km/h und sind damit dreimal so schnell sind wie ein sprintender Mensch.

Insgesamt scheint eine parabelartige Kurve den Zusammenhang zwischen Körpermasse und Maximalgeschwindigkeit am besten wiederzugeben. Ein neues mathematisches Modell der ostdeutschen Wissenschaftler gibt diesen Zusammenhang zu neunzig Prozent korrekt wieder – und muss dazu lediglich mit Daten zur Körpermasse und zur Fortbewegungsart, also Rennen, Fliegen oder Schwimmen, „gefüttert“ werden (Nat. Ecol. Evol. 1: 1116-22). 

Masse ist träge

Das Maximalgeschwindigkeits-Modell basiert auf der Annahme, dass Tiere ihre Spitzengeschwindigkeit durch einen kurzen Sprint erreichen. Während beim Laufen über lange Strecken langsame Muskelfasern zum Einsatz kommen, die einen effizienten aeroben Stoffwechsel betreiben und folglich dauernd Energie in Form von ATP nachliefern, nutzen die Tiere beim Sprinten schnelle Muskelfasern, die Energie ohne Sauerstoffverbrauch sehr schnell bereitstellen können. Allerdings bedienen sie sich dazu aus einem ATP-Speicher, der schnell erschöpft ist. Entscheidend für das Erreichen der Maximalgeschwindigkeit ist somit die maximale anaerobe Kapazität, also die Zeit, die für die Beschleunigung zur Verfügung steht, bevor der Energiespeicher leer ist.

Die Geschwindigkeit, die das Tier in dieser Zeit erreicht, ist seine physiologische Maximalgeschwindigkeit. Dieser Wert deckt sich bei kleinen Tieren weitgehend mit der theoretischen Maximalgeschwindigkeit, die sich anhand der Muskelmasse berechnen lässt, die wiederum proportional zur Körpermasse ist. Die theoretische Maximalgeschwindigkeit nimmt folglich mit der Körpergröße zu, denn je mehr Muskelmasse ein Tier besitzt, desto schneller kann es sprinten.

Interessanterweise bleibt aber die Maximalgeschwindigkeit umso mehr hinter der theoretisch zu erreichenden Geschwindigkeit zurück, je größer das Tier wird. Hier kommt die Trägheit der Masse ins Spiel, die bewirkt, dass große Tiere eine längere Anlaufzeit haben als kleine. Sie beschleunigen also langsamer, so dass sie es nicht schaffen, ihre theoretische Maximalgeschwindigkeit zu erreichen, bevor ihre Energievorräte erschöpft sind.

Passend für winzig bis riesig 

Das Maximalgeschwindigkeits-Modell wurde empirisch an 474 Arten mit Körpermassen von 30 µg bis 108 Tonnen getestet. Dabei konnte es die Geschwindigkeiten für laufende, schwimmende und fliegende Tiere gleichermaßen gut berechnen. Allerdings zeigte sich, dass fliegende Tiere insgesamt ungefähr sechsmal schneller sind als laufende mit vergleichbarer Größe. Im Wasser waren kleine Tiere dagegen langsamer als Landtiere gleicher Größe, während sich die Werte bei größeren Land- und Wassertieren anglichen.

Dieser Effekt lässt sich auf die größere Dichte des Wassers im Vergleich zur Luft zurückführen, denn bei der Bewegung im dichteren Medium kommt es zu einer stärkeren Reibung. Deshalb bietet dort eine größere Körpermasse einen größeren Vorteil, da die relative Oberfläche bei großen Tieren geringer ist und dadurch die Reibung abnimmt. Außerdem muss die Art der Thermoregulation berücksichtigt werden, denn unter den rennenden und fliegenden Tieren waren allgemein die gleichwarmen Tiere im Vorteil – wahrscheinlich weil sie unter den üblicherweise eher niedrigen Umgebungstemperaturen in der Natur mehr Energie zur Verfügung haben.

Im Wasser dreht sich diese Beziehung um, was dadurch erklärt wurde, dass die gleichwarmen Meerestiere (Vögel und Säuger) ursprünglich aus einem terrestrischen Umfeld kommen und deshalb generell eine geringere Schwimmeffizienz aufweisen als Fische. Zudem sind die Kosten der gleichwarmen Tiere für die Aufrechterhaltung der Körpertemperatur höher, da Körperwärme im kalten Wasser schneller abgeführt wird als in kalter Luft. 

Laufen Tiere schneller als das Modell vorhersagt, ist dies ein Hinweis auf einen starken, positiven Selektionsdruck während der Koevolution von Räubern und Beute. Der berüchtigte Tyrannosaurus rex bewegte sich dem Modell zufolge mit maximal 27 km/h. Das ist deutlich langsamer als der kleine und wendige Raubsaurier Velociraptor (auch bekannt aus den Jurassic Park-Filmen) mit 55 km/h, aber auch langsamer als ein Hase (56 km/h), eine Libelle (64 km/h) oder ein sprintender Mensch (36 km/h).

Wie aber hat Tyrannosaurus dann überhaupt Beute machen können? Zum Glück waren zumindest die großen vierbeinigen Dinosaurier Triceratops (24 km/h), Apatosaurus (17 km/h) und Brachiosaurus (12 km/h) noch langsamer. Ansonsten blieb der schrecklichen Echse wohl nur das Überraschungsmoment. 

Larissa Tetsch



Letzte Änderungen: 25.08.2017