Editorial

Drogenbarone finden grüne Gentechnik toll

Grüne Gentechnologie ist ein Segen, sagen die Chefs von Mosanto und Syngenta. "Stimmt!", sagen Drogenbarone, denn die erzielen mit gentechnisch veränderten Kokapflanzen wahre Traumernten.

(27.06.2005) Die kolumbianischen Drogenfahnder staunten nicht schlecht: Die Sträucher, die sie Ende 2004 bei einer Routinerazzia im Hinterland gefunden hatten, waren größer als alle bisher bekannten. Riesengroß, und viel widerstandsfähiger gegen Schädlinge dazu. Am tollsten aber war das, was einer der verantwortlichen Ackerbauern schließlich den Beamten verriet: Die Pflanzen lieferten achtmal höhere Erträge als herkömmliche.

Achtmal mehr Kokain - ein Traum für jeden Kokabauern und erst recht für jeden kolumbianischen Drogenbaron. Ein Alptraum für den überwiegenden Rest der Menschheit.

Ja, es waren wirklich prachtvolle Kokasträucher, die sich da in der südamerikanischen Höhensonne kraftvoll gen Himmel streckten, meterhohe Erythroxylum-Gewächse, rotberindet und mit lanzettförmigen, dunkelgrünen Blättern. Nun stehen sie wohl nicht mehr dort, wurden ausgerissen und verbrannt von übel meinenden Uniformträgern, doch auf zahlreichen anderen Äckern in Südamerika wuchern immer mehr ihrer kräftigen Brüdern und Schwestern.

Ihre Kraft verdanken sie der grünen Gentechnologie.

Vor einem Jahr vermeldeten kolumbianische Behörden: Die einheimischen Drogenkartelle hätten ausländischen Wissenschaftlern umgerechnet 123 Millionen Euro (andere Quellen sprechen von 150 Millionen Dollar) bezahlt. Die Gegenleistung: gentechnisch veränderte Kokapflanzen, aus deren Blättern sich Kokain mit einem Reinheitsgrad von 97 Prozent herstellen ließe (bei herkömmlichen Kokapfanzen ist ein Reinheitsgrad von maximal 90 Prozent erreichbar).

Eine Angabe, die zu genau scheint, um wahr zu sein. Doch im Kern dürfte sie der Wahrheit entsprechen: Zweifelsohne bedienen sich die Drogenkartelle längst der Gentechnologie, um ihre Umsätze zu steigern - allein das Ausmaß liegt im Dunkeln. Kokain (chemisch: Kokainhydrochlorid) aus Bolivien, Peru und Kolumbien ist der Klassiker unter den illegalen Drogen aus Lateinamerika, angebaut auf 200 000 Hektar und viermal im Jahr geerntet. Jeder Hektar liefert sechs Kilo Kokain, und Kolumbien mit 800 Tonnen Kokain jährlich weltweit den Löwenanteil des weißen Pulvers.

Die Hilflosigkeit der internationalen Behörden gegenüber dem südamerikanischen Drogenanbau ist in zahlreichen Hollywood-Klassikern wie "Scarface" (1983) oder "Traffic" (2001) wunderbar dargestellt. Sie wird noch größer werden, wenn "Gen-Koka" erst einmal flächendeckend angebaut wird.

Ja, die hartnäckige PR-Arbeit der einschlägigen Gentechnik-Konzerne ist auf fruchtbaren Boden gefallen: Lateinamerikas Drogenbarone setzen zunehmend auf die grüne Pflanzenveredelung und lassen von ihren Vertragsbauern wesentlich mehr, sowie qualitativ hochwertigeres Kokain als je zuvor produzieren. Verständlich, denn wer bei Bayer Crop Science auf die Website guckt, der liest staunend von einer "Verbesserung der Leistungsfähigkeit", einhergehend mit einer "Erhöhung erwünschter Inhaltsstoffe". Bei Syngenta Agro weiderum freut man sich über "wertvolle und gesunde Ernten".

Die genannten Konzerne meinen dabei selbstverständlich nicht den Erythroxylum-Anbau. Doch was bei denen mit Raps oder Mais funktioniert, sollte doch prinzipiell auch...?

Genau, und welcher Drogenbaron aus Südamerika könnte angesichts solcher Verlockungen schon "nein" sagen? Zumal er sich über unkontrollierten Pollenflug oder Produktkennzeichnung auch nicht den Kopf zu zerbrechen braucht. Eher darüber, wie sich die neuartigen "Super"-Kokasträucher noch widerstandsfähiger machen lassen - gegen Pflanzengifte etwa, die missgünstige Staatsbeamte aus Helikoptern regnen lassen, um die illegalen Anbauflächen einzudämmen.

Doch keine Sorge: Die Herbizid-resistente Erythroxylum-Sorte mit Supererträgen reinsten Kokains ist sicherlich schon in der Entwicklung. Dass ihr Renate Künasts "Biosiegel" verwehrt bleiben wird, dürfte den Erzeugern herzlich egal sein.

Winfried Köppelle

Kommentare zu diesem Artikel

Liebe(r) Dani, ich habe hier keinen "Trick, Wissenschaftlichkeit und Glaubwürdigkeit zu erwecken" verwendet, sondern Angaben des Landeskriminalamtes von Niedersachsen.

Dass sich höhere Reinheiten erreichen ließen, mag sein. Aufwändig, aber prinzipiell wohl möglich. In der Praxis gelten jedoch die von mir gemachten Angaben (bzw. wird der Stoff, bis er beim Süchtigen ankommt, noch weiter gestreckt; s.u.).

Nochmal: Es geht im Artikel bzw. an der von Ihnen bemängelten Stelle um die traurige Alltagsrealität, nicht um theoretische Möglichkeiten von Chemikern mit sehr viel Zeit. Ich habe mich an der bewussten Stelle wohl missverständlich ausgedrückt - sorry!

Winfried Köppelle (Red.)

1) Die Blätter des Kokastrauches werden (...) zu Kokapaste (...) und anschließend zu Kokainhydrochlorid (Kokain) verarbeitet (...). Das Ergebnis ist ein grobkörniges Rock-Kokain, dessen Reinheit 70-85% beträgt und im pulverisierten Zustand konsumiert werden kann. Es kann jedoch auch weiter verfeinert werden zu einem geruchlosen, weißen, flockigen Pulver mit einem Reinheitsgehalt von 90% (Quelle: LKA Niedersachsen).

2) Heute auf dem Schwarzmarkt verfügbares Cocain ist praktisch niemals auch nur annähernd rein. In der Regel enthält schon "gutes" Cocain (...) nur um die 40% des eigentlichen Stoffes. Reines (über 90%) Cocain ist zwar auch verfügbar aber sehr selten (Quelle: Wikipedia).

Winfried Köppelle (Redaktion), 30-Jun-2005 13:05:19


*****Die Gegenleistung: gentechnisch veränderte Kokapflanzen, aus deren Blättern sich Kokain mit einem Reinheitsgrad von 97 Prozent herstellen ließe (bei herkömmlichen Kokapfanzen ist ein Reinheitsgrad von maximal 90 Prozent erreichbar). Dieser Satz ist ein typisches Beispiel für den Trick, durch sinnlose, aber scheinbar präzise Zahlenangaben den Anschein besonderer Wissenschaftlichkeit und Glaubwürdigkeit zu erwecken. Cocain wird durch geeignete Lösungsmittel extrahiert. Man kann Cocain aus dieser Lösung gewinnen und durch geeignete Methoden wie Umkristallisieren oder Säulenchromatographie reinigen. Die erzielbare Reinheit hängt nur vom Aufwand ab, den man zu treiben bereit ist und von den Verlusten, die man in Kauf nehmen will oder kann. Die Zahlen 90% und 97% sind willkürlich gewählt. Man kan Cocain auch auf 99.8% oder 98.9% reinigen, wenn man das möchte. Die Cocainmoleküle erinnern sich nicht daran, ob sie in der Phiole eines Chemikers, in einem biologisch gezogenen oder einem Gentech-Strauch entstanden sind.

dani, 29-Jun-2005 09:22:40






Letzte Änderungen: 27.06.2005