Editorial

Konstanzer Genomsequenzierer GATC Biotech wird verkauft

(8.6.17)  Bislang galt die Biotechfirma vom Bodensee als bodenständig und familiär. Doch die kuscheligen Zeiten sind vorbei: Die Gebrüder Pohl verkaufen ihre Firma an den Großkonzern Eurofins.
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CEO Peter Pohl bei GATCs 15-Jahr-Feier. Eine 30-Jahr-Feier wird's nicht mehr geben.
© GATC

Bei mutmaßlich achtstelligen Summen wird auch ein biederer Schwabe schwach. Und so haben die Gebrüder Fritz, Thomas und Peter Pohl ihr jahrelang vor sich her getragenes Mantra vom "mittelständisch-soliden Familienunternehmen" aufgegeben - und die 1990 von ihnen und ihrem Vater Fritz senior in Konstanz gegründete Sequenzierfirma GATC Biotech an den Eurofins-Konzern verkauft. Über den Kaufpreis "wurde Stillschweigen vereinbart", doch die eingangs erwähnte, geschätzt achtstellige Summe (in Euro) dürfte nicht allzuweit entfernt von der Realität liegen.

Diese Aktion wird bei GATC so ziemlich alles ändern, was bislang als selbstverständlich galt - speziell in Bezug auf die Belegschaft. Während GATC mit ihren 140 Mitarbeitern seit der Gründung von den Inhabern Pohl & Pohl geleitet wurde, ist die "Eurofins Scientific SE" (mit Sitz in Luxemburg) eine börsennotierte Laboranalyse-Firmengruppe, deren Anteile sich zu 55 Prozent im (Streu)Besitz von externen Eignern befinden - und deren Führungsriege sich daher auch nach diesen Aktionären richten muss. Erfahrungsgemäß werden dabei Dinge wie "gutes Arbeitsklima" und "Verantwortung für die eigenen Mitarbeiter" gerne dem profanen Gewinnstreben untergeordnet. Immerhin gelten der Mutterkonzern Eurofins und dessen Tochterunternehmen noch als vergleichsweise "gnädige" Arbeitgeber - will heißen: Man legt Wert auf Kontinuität.

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1987: Weinzucker-Analyse als Geschäftszweck

Es hätte also schlimmer kommen können. Zudem steht, wie bislang auch bei GATC, bei Eurofins noch immer der Firmengründer an der Spitze, und der ist erstens Wissenschaftler und gilt zweitens als vergleichsweise umgänglich: Der 53-jährige Franzose Gilles Martin gründete den heutigen Lebensmittel- und Umweltanalyse-Giganten Eurofins einst an der Universität Nantes, um den Zuckergehalt in Wein zu ermitteln. Martin hatte der Hochschule 1987 eine von ihm dort entwickelte Methode namens "Site-Specific Natural Isotope Fractionation-Nuclear Magnetic Resonance" (SNIF-NMR) abgekauft und diese für seine Zwecke patentieren lassen.

Martin erweiterte das Analyse-Spektrum dieser Technologie bald auf alle möglichen weiteren Lebensmittel und übernahm im Laufe der Jahre, rasant wachsend, dutzende Kleinlabore und mittelgroße Analysefirmen weltweit (zum Beispiel auch vor Jahren die deutschen Biotechfirmen MWG Biotech/Ebersberg und Genescan/Freiburg). Längst ist die Eurofins-Konzernzentrale in Brüssel angesiedelt. Die Eurofins-Gruppe beschäftigt heute in über 300 Laboren in knapp 40 Ländern rund 28.000 Mitarbeiter; diese führen pro Jahr nach Unternehmensangaben "mehr als 150 Millionen Einzelanalysen" durch, um die Sicherheit, die Inhaltsstoffe, die Herkunft und die Reinheit biologischer Substanzen zu bestimmen. Als zweites Standbein kam in den letzten Jahren die Humandiagnostik hinzu. Insgesamt erwirtschaftet Eurofins Scientific auf diese Weise 2,5 Milliarden Euro Umsatz jährlich.

Bisherige Grundsätze über Bord geworfen

Ab Juli 2017 wird also auch das "vom ersten Tag an profitable" Konstanzer "Familienunternehmen" GATC Biotech (rund 20 Millionen Euro Umsatz) diesem Giganten zugeschlagen. Über die Gründe schweigen sich die Pohl-Brüder bislang aus; die offizielle Verlautbarung von Noch-CEO Peter Pohl besteht aus den bei derartigen Transaktionen üblichen, inhaltsfreien 08/15-Phrasen:

"Wir freuen uns, in die Eurofins-Familie einzutreten und freuen uns auch auf die nächste Phase unserer Entwicklung als Teil des Konzerns. Wir sind zuversichtlich, dass wir mit dem weltweiten Netzwerk und den technischen Kompetenzen von Eurofins unser analytisches Portfolio und unsere Dienstleistungen erweitern können, was allen unseren bestehenden und zukünftigen Kunden zugute kommen wird."

Nach außen hin hatten sich die Pohl-Brüder bislang als bescheidene Mittelständler gegeben; und in einem Gespräch mit dem Spiegel vor zehn Jahren einen Börsengang noch ausgeschlossen - Zitat: "Wir Brüder sind recht bescheiden."

Und auf der eigenen Website lässt CEO Pohl Sätze wie diesen vom Stapel: "Kontinuierlich Wachstum aus eigener Kraft und motiviert voranzutreiben, ist und bleibt für uns als mittelständisches Unternehmen die Hauptherausforderung."

Der nun anstehende Verkauf ihrer Firma, mitsamt allen Mitarbeitern, passt da gar nicht so recht ins Bild. Doch im Laufe der Zeit ändert sich so manches - auch so manche scheinbar in Stein gemeißelte Lebensmaxime.

"Wir wissen, dass es optimale Arbeitsbedingungen braucht, um die Motivation und den Zusammenhalt unserer 140 Mitarbeiter zu fördern, was sich wiederum positiv auf ihre Leistungsfähigkeit auswirkt", ließ Pohl die Allgemeinheit gerne wissen; man pflege zu den GATC-Mitarbeitern "ein enges, familiäres Verhältnis" - und begeistert sich im Interview über die "begeisternde Unternehmenskultur". 

Ob sich diese kuschelige Atmosphäre am Bodensee, sofern sie jemals Realität war, auch unter der Regie eines börsennotierten Großkonzerns aufrechterhalten lässt, wird die Zukunft zeigen.

Winfried Köppelle



Letzte Änderungen: 05.07.2017