Editorial

Antrags-Eseleien

(16.5.17) Ein Antrag jagt den nächsten, die Intervalle sind grausam kurz geworden. Häufig bleiben Forschern daher nur gewisse Tricks, um bei dem Tempo nicht abgehängt zu werden. Aber die bergen natürlich Gefahren…
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Nach dem Antrag ist bekanntlich vor dem Antrag. Gerade die zunehmende „Asthmatisierung“ der zeitlichen Förderstrukturen hat dies zuletzt besonders deutlich gemacht: Kaum ist ein Antrag durch, muss man schon den nächsten vorbereiten...

Aber Forscher sind ja in der Regel keine kleinen Dummen. Und so haben vor allem größere Gruppen schon länger eine Art Patentrezept entwickelt, wie man verhindern kann, dass einen die immer schneller rotierende Antragsmühle nicht unversehens abwirft: Man muss Projekt und zugehörigen Antrag einfach nur zeitlich gegeneinander verschieben.

Konkret geht das folgendermaßen: Man beantragt zwar Projekt n, startet mit den bewilligten Mitteln aber bereits (hauptsächlich) Projekt n+1. Das wiederum geht natürlich nur, wenn man Antrag n zu einem Zeitpunkt stellt, zu dem das darin beantragte Projekt n schon so gut wie fertig ist – auf welche Art und mit welchen Mitteln auch immer. In besagtem Antrag n tut man also größtenteils nur so, als wolle man gewisse Experimente machen. Tatsächlich liegen die meisten entsprechenden Ergebnisse schon fertig in der Schublade.

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Wird Antrag n dann bewilligt, macht man Projekt n noch schnell ganz fertig, schreibt das Paper – und investiert die restliche Laufzeit und den Großteil des Geldes bereits in das nächste Projekt n+1. Bis dann wiederum n+1 tatsächlich beantragt wird, hat man schon ausreichend Ergebnisse für einen soliden Folgeantrag n+2 in der Festplatte – und der Zyklus geht von neuem los.

Auf diese Weise laufen die Anträge den Projekten hinterher wie der sprichwörtliche Esel der Karotte, die an einem langen Stab vor seinem Gesicht baumelt. Doch was ist, wenn ein Stab mal bricht und der Esel „seine“ Karotte tatsächlich frisst – und einschläft? Große Gruppen haben damit in der Regel wenig Probleme – sie haben viele Karotten vor vielen Eseln hängen, so dass die verbleibenden Esel die gesamte Kutsche trotzdem locker weiter ziehen.

Bei kleinen Gruppen ist das etwas anders. Die haben nur wenige Karotten und wenige Esel, und müssen daher schon eher schauen, dass keine Stäbe brechen. Riskante Pionierarbeit, die in unbekanntes Terrain aufbricht und lange Zeit keine greifbaren Resultate liefert, kann da schnell alle Esel zum Erlahmen bringen. Sollte man also eher meiden.

Lieber treibt man die Esel über breite, gut erforschte Pfade, räumt dort die letzten offensichtlichen Steinchen beiseite und hält so den Zyklus am Laufen – quasi mit mickrigen Karotten an dicken Stäben. Nicht gerade befriedigend, aber auch so kann man den Anträgen eine ganze Weile mit Resultaten voraus bleiben.

Riskant ist es aber dennoch: Denn werden die Karotten allzu mickrig, interessiert sich irgendwann auch der dümmste Esel nicht mehr dafür.

Ralf Neumann



Letzte Änderungen: 09.06.2017