Editorial

Methoden-Paper im Vor(ur)teil

(8.5.17) Viele meinen, dass methodische Artikel im Schnitt häufiger zitiert werden als „echte“ Research Paper. Könnte das ein Vorurteil sein?

editorial_bild

Sicher, methodische Artikel gehören zu den meistzitierten der jüngeren Wissenschaftsgeschichte. Wer denkt da nicht an das 1970er Paper von Ulrich Karl Lämmli über die SDS-Polyacrylamid-Gelelektrophorese (Nature 227: 680-5)? 240.000 Zitate zählt Web of Science momentan für die Lämmlis Pioniertat – 3.000 davon kamen erst im letzten Jahr dazu. Ein Einzelfall? Nicht ganz. Auch die erste Proteinfärbung mit Coomassie im Jahr 1976 durch Marion Mckinley Bradford (Analytical Biochemistry 72: 248-54) spielt mit knapp 190.000 Zitaten in derselben Liga.

Klar also: Es gibt absolute „Raketen“ unter den Artikeln, die vor allem Methodisches beschreiben. „Raketen“, die in punkto Zitierungen auch den Publikationen der größten rein wissenschaftlichen Erkenntnisse in nichts nachstehen – ja diese in der Spitze sogar überflügeln.

Aber haben sie das nicht auch verdient? Schließlich meinen nicht wenige, dass vor allem neue – oder zumindest deutlich verbesserte – Methoden die Forschung nennenswert voranbringen. Erst dadurch, so deren Credo, würden oftmals ganze Rattenschwänze von Problemen und Theorien einer experimentellen Prüfung überhaupt erst zugänglich.

Editorial

Neue Methoden als die Türöffner für neue Erkenntnisse – auch das Nobelpreiskommittee scheint dies immer wieder so zu sehen: Frederic Sanger, Walter Gilbert, Georges Köhler, Cesar Milstein, Kary Mullis, Michael Smith, Craig Mello, Andrew Fire... Allesamt bekamen sie den Nobelpreis für Erkenntnisse von hohem methodischen Wert: Protein- und DNA-Sequenzierung, monoklonale Antikörper, PCR, Site-directed mutagenesis, RNA-Interferenz,...

Aber haben methodische Paper deshalb grundsätzlich einen Vorteil? Werden sie im Schnitt tatsächlich häufiger zitiert als Artikel, die ausschließlich Forschungsergebnisse vorstellen?

Im Vorgriff könnte man dies durchaus meinen, zumal methodische Artikel ja häufig auch per se ein breiteres Publikum ansprechen als viele Research Paper, die in ihrer jeweiligen Nische oft nur für eine Handvoll Forscher interessant sind.

Daraus ließe sich aber zunächst nur schließen, dass man unter den kaum oder gar nicht zitierten Artikeln nur wenige Methoden-Paper antreffen dürfte. Ob sie es deswegen aber auch grundsätzlich leichter an die Spitze schaffen? Ein Indiz spricht schon mal dagegen: Über Jahre hinweg veröffentlichten die ehemaligen Betreiber des Web of Science, Thomson ISI beziehungsweise Thomson Reuters, jeweils die meistzitierten biomedizinischen Paper des Vorjahres – lange war so gut wie nie ein methodisches unter den Top 25. Erst zuletzt schaffte es die eine oder andere bioinformatische Analyse-Software in diesen erlauchten Kreis.

Dass Methoden-Artikel hingegen im Schnitt (!) grundsätzlich kaum häufiger zitiert werden als reine Research Paper – das bestätigen letztlich auch die Impact-Faktoren (IF) rein methodischer Zeitschriften. Nicht berühmt, was Journals wie Methods in Microbiology, Electrophoresis, Analytical Biochemistry, BioTechniques, Methods in Enzymology oder das Journal of Immunological Methods hier zu bieten haben. Eine Recherche unsererseits auf Scijournal.org fand unter sechzig solch reinen Methodenblättern kaum eines mit einem IF unter 1, aber auch nur fünf mit einem IF von über 3. Spitzenreiter waren natürlich Nature Methods mit einem IF von 25,3 sowie Nature Protocols mit 9,6; dahinter folgte interessanterweise Methods in Ecology and Evolution (IF 6,3) vor Separation and Purification Methods mit einem IF von knapp 5,8. Letzteres ist damit etwa auf Augenhöhe mit dem Journal Of The American Academy Of Dermatology.

Klar, die absoluten Top-Methoden-Paper erscheinen eher weniger in diesen Sparten-Blättern, sondern schaffen es vielmehr in die breiter aufgestellten, eher erkenntnisorientierten Forschungsjournale. Für die große Masse methodischer Artikel könnte das Fazit aber dennoch lauten: Sie werden selten nie, aber auch selten viel zitiert.

Ralf Neumann



Letzte Änderungen: 01.06.2017